Warum Naturschutz immer wieder unter die Räder kommt – auch in Leipzig –, das machten zwei Einwohneranfragen zum Stadtpalais Holbeinstraße 6 (haben wir nach Leserhinweis nachgetragen, d. Red.) in der letzten Ratsversammlung deutlich. Beziehungsweise die etwas verdrucksten Antworten aus dem Amt für Bauordnung und Denkmalpflege, die Grünen-Stadtrat Michael Schmidt dann noch zu ein paar Nachfragen brachten. Womit dann einige Bausünden in Leipzig nur zu erklärlich werden.
Denn eigentlich ist es laut Sächsischem Wassergesetz verboten, Uferrandstreifen zu bebauen. Das gilt auch für die Weiße Elster. Aber dieses Gesetz kann man aushebeln, indem man einfach die umweltrechtlichen Genehmigungen hintanstellt.
Das klingt dann zwar irgendwie amtlich, wenn Dirk Matscheroth auf seine Einwohneranfrage hin geantwortet wird: „Grundsätzlich unterliegen die Baugenehmigungsverfahren strengen rechtlichen Rahmenbedingungen, die den Verfahrenslauf und die Entscheidung im Verfahren zwingend vorschreiben.
Das beantragte Bauvorhaben befindet sich in einem unbeplanten Innenbereich und wird nach § 34 Baugesetzbuch (BauGB) beurteilt. Nach § 34 BauGB ist ein Vorhaben zulässig, wenn es sich innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteiles nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt und die Erschließung gesichert ist. Die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse müssen gewahrt bleiben; das Ortsbild darf nicht beeinträchtigt werden.
Sind die vorgenannten Kriterien erfüllt, ist die Baugenehmigung gem. § 72 Abs. 1 SächsBO zu erteilen. Ein Ermessen besteht hierbei nicht.“
Die Antwort der Stadt zur Anfrage von Dirk Matscheroth.
So ticken die Sachbearbeiter im Leipziger Amt für Bauordnung und Denkmalpflege.
Keine Prüfung vor Baugenehmigung
Aber wo bleiben die Umweltgüter? Sind die nicht zu prüfen, bevor eine Baugenehmigung erteilt wird?
Nein, findet das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege: „Bei der Weißen Elster handelt es sich um ein Gewässer 1. Ordnung, für dessen Unterhaltung der Freistaat Sachsen verantwortlich ist (Zuständigkeit Landestalsperrenverwaltung). Mit der wasserrechtlichen Entscheidung vom 12.12.2022 wurde u. a. eine Befreiung gemäß § 38 (5) WHG i. V. m. 24 (3) Nr. 2 SächsWG von dem Verbot der Errichtung baulicher Anlagen (Gebäudeteil mit wasserseitig auskragenden Balkonen) im Gewässerrandstreifen der Weißen Elster erteilt.“
Genau das aber fand Dirk Matscheroth seltsam und fragte auch: „Flussufer haben einen hohen ökologischen, touristischen und Erholungswert. Was unternimmt die Stadt Leipzig, um ihre Flussufer vorzunehmender Bebauung zu schützen? Diese Frage bezieht sich nicht nur auf die freie Landschaft, sondern besonders auf den städtischen Innenbereich.“
Aber darauf war die Antwort ebenso windelweich: „Für Gewässer 2. Ordnung ist die Stadt Leipzig zuständig. Jegliche neue Bebauung muss grundsätzlich die 5 m Uferrandstreifen beidseitig einhalten. Als Gewässerrandstreifen gelten gemäß § 38 (3) WHG i. V. m. § 24 (2) SächsWG die zwischen Uferlinie und Böschungsoberkante liegenden Flächen sowie die hieran landseits angrenzenden Flächen, letztere in einer Breite von fünf Metern (im Innenbereich) sowie 10 m (im Außenbereich).“
Was Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am 17. Mai ebenso bestätigt.
Spielt Naturschutz tatsächlich keine Rolle?
Aber trotzdem wird es genau hier an der Weißen Elster nicht eingehalten. Was auch Elke Thiess in ihrer Einwohneranfrage thematisiert hatte.
Sie hatte gefragt: „Der betreffende Uferbereich der Weißen Elster bedarf aufgrund der Gewässersituation (hohe Frequentierung durch Wassersport und Tourismus) dringend des Erhalts und einer Verbesserung der ökologischen Funktionen. Warum ist hier ein Eingriff in den Gewässerrandstreifen nötig und wie kann dieser durch Planänderung – auch während der Bauphase – vermieden werden (Vermeidungsgebot des § 15 BNatSchG)?“
Und darauf gab es dann eine Antwort, die erst recht ausweichend war: „Das Bauvorhaben befindet sich im Innenbereich, wo der Gesetzgeber gem. § 18 Abs. 2 BNatSchG bestimmt hat, dass die Eingriffsregelungen der §§ 14 – 17 BNatSchG nicht anzuwenden sind. Die Naturschutzbehörde hat vorliegend keine rechtliche Grundlage, das Vermeidungsgebot anzuwenden.“
Die Antwort auf die Einwohneranfrage von Elke Thiess.
Elke Thiess weiter: „Hat die zuständige Wasserbehörde eine Befreiung vom Eingriffsverbot gem. § 38 (5) WHG erteilt und ist diese Befreiung Teil der Baugenehmigung? Falls ja, welche Begründung und welche Auflagen beinhaltet diese?“
Aber da wurde es dann ganz kryptisch, wie das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege antwortete: „Mit der wasserrechtlichen Entscheidung vom 12.12.2022 wurde u. a. eine Befreiung gemäß § 38 (5) WHG i. V. m. 24 (3) Nr. 2 SächsWG von dem Verbot der Errichtung baulicher Anlagen (Gebäudeteil mit wasserseitig auskragenden Balkonen) im Gewässerrandstreifen der Weißen Elster unter Auflagen erteilt (Az: 36.10.02-2022/003602). Die wasserrechtliche Entscheidung wurde als nebenstehender Bescheid zur erteilten Baugenehmigung erteilt.
In der o. g. wasserrechtlichen Entscheidung wurden u. a. die maximale Breite der wasserseitigen Überbauung des landeseigenen Gewässergrundstückes, die Übergabe eines Standsicherheitsnachweises für die Uferböschung und der Rückbau der künstlichen Aufschüttung und deren Befestigung geregelt.“
Wenn Baugenehmigungen Umweltschutz von vornherein aushebeln
Und genau hier fragte Grünen-Stadtrat Michael Schmidt dann nach. Denn was heißt das eigentlich?
Und er brachte es im Grunde auf den Punkt. Denn dann hat die Baubehörde eine Baugenehmigung für das Bauwerk direkt am Ufer der Weißen Elster in Schleußig erteilt, bevor überhaupt die wasserrechtlichen Genehmigungen erteilt wurden. Und Bürgermeister Heiko Rosenthal konnte es nur bestätigen: Wenn erst einmal eine Baugenehmigung erteilt ist, hat die Umweltbehörde keine Möglichkeiten mehr, den Bau zu untersagen.
Was in diesem Fall heißt: Die Baubehörde genehmigte 2022 das opulente Bauwerk direkt am Fluss auf einem Uferstreifen, der nach Sächsischem Wassergesetz gar nicht bebaut werden darf. Und die Wasserbehörde konnte im Nachgang nur noch eine wasserrechtliche Genehmigung erteilen.
Was letzten Endes heißt, dass der Umgang mit dem Baurecht in Leipzig die Einspruchsmöglichkeiten durch die Umweltbehörden auf null reduziert. Was dann auch erklärt, warum sich der Stadtrat seit Jahren vergeblich darum bemüht, dem Umweltschutz bei Bauvorhaben in Leipzig irgendwie Geltung zu verschaffen. Es interessiert die zuständige Baubehörde einfach nicht.
Es gibt 5 Kommentare
Wenn ich mir nach §34 die Bebauung des Elsterufers von Entenbrücke bis Stahlbrücke anschaue (Luftbild GE bzw Bing), würde ich als Bauherr oder Planer erstmal von einer Bebaubarkeit bis direkt ans Ufer ausgehen.
Was sollte – bei unbeplantem Innenbereich – zunächst dagegen sprechen, dies so wie die ganzen Fabrikbauten der Gründerzeit zu machen?
Im Detail angeschaut, sind die Hinterhöfe der Wohnbebauung der Holbeinstraße nicht bis ans Ufer bebaut – da könnte man natürlich eine entsprechend aufgelockertere Bebauung erwarten, und nicht eine komplette Versiegelung.
Klar, auch die 5m Abstnand zum Wasser wären da als Auflage nicht abwegig.
Aber ohne mehr Informationen zu dem geplanten Bauvorhaben ist alles reine Spekulation, und da den städtischen Ämtern diese Informationen sicherlich vorliegen, besteht für mich an sich kein Grund, die Entscheidung zu bezweifeln.
Sollte die Planung jedoch Anlaß geben, daran zu zweifeln – ja, dann wäre eine Info dazu hilfreich, als Plan, als Skizze oder Rendering.
Vielleicht sollten weniger Bilder des ursprünglich grünen Flussufers im Kontext solcher Artikel genutzt werden, sondern mehr Fotos der zum Großteil bereits jetzt existierenden Bau-/Naturschutz-Sünden in Plagwitz/Schleusig verwendet werden, um die künftige Realität zu verdeutlichen.
Sonst fällt die Botschaft der Text-/Bild-Schere zum Opfer.
Die geschilderte Schildbürger-Bürokratie lässt eigentlich nur den Schluss zu, dass der Naturschutz den politisch Verantwortlichen im Leipziger Stadtrat komplett egal ist und/oder Investoren- immer vor Naturschutz-Interessen bzw. Gemeinwohl kommt.😡
so geht Naturschutz voran / Sarkasmus. Ganz bewußt wird die Reihenfolge der Genehmigungen so gewählt, dass Bauvorhaben ermöglicht werden und Natur devastiert werden darf. Im LK Leipzig ist das nicht anders. Der Schilfgürtel am Störmthaler See (“östl. Gunaer Bucht” darf auch devastiert werden, obwohl Schilf im BNatSchG nicht antastbar ist. Aber das SEB der Stadt Leipzig hat der Gemeinde Großpösna ein Gelände abgekauft und bekommt 22 Mio Strukturfördermittel für einen Inklusions-Campingplatz. Sag da mal was dagegen ! Dafür müssen halt 123 geschützte Arten “umziehen” – fertig. Alles hier zu lesen : http://uferleben.de/?p=2338
„Wohnpalais Holbein 6a“
Ich habe das jetzt zweimak durchgelesen, aber trotz Ortskenntnis als Bewohner Schleussigs habe ich nicht herauslesen können, um welches Bauvorhaben an welcher Stelle es geht.
Ein Foto wäre da auch ganz hilfreich gewesen – es wiurd doch sicher nicht an dem abgebildeten Abschnitt der Weissen Elster gebaut?