Schon in der April-Ratsversammlung gab es ja eine derbe Debatte zu den neuen verkehrsorganisatorischen Anordnungen vorm Hauptbahnhof, nachdem zwei Leipziger Zeitungen ordentlich Gewitter gemacht und ihren Lesern suggeriert hatten, das Leipziger Verkehrsdezernat würde hier völlig unrechtmäßig agieren. Die Freibeuter-Fraktion stellte dann doch lieber ein paar Fragen an die Stadtspitze, um sich über die Sache etwas kundiger zu machen.

Obwohl mit Sven Morlok ein ehemaliger sächsischer Verkehrsminister in der Fraktion sitzt, der sehr genau weiß, dass Verkehrsorganisation ganz und gar nicht zu den Hoheitsrechten von Ratsversammlungen gehört, sondern ganz allein die Verwaltung in der Verantwortung steht, den Verkehr so sicher und gesetzeskonform wie möglich zu organisieren.

Die Antwort für die Nachfragen der Freibeuter zum Hauptbahnhof.

Trotzdem fragte die Fraktion lieber nach: „Handelt es sich bei der in Rede stehenden Fläche vor dem Hauptbahnhof um einen Unfallschwerpunkt, wie er im Freistaat Sachsen im Jahr 2023 als Unfallschwerpunkt definiert ist und besteht aufgrund dessen für die Stadt Leipzig eine Rechtspflicht zur Umsetzung der vorgenommenen Maßnahmen?“

Eiertanz um (Massen-)Unfälle

Die Unfallhäufungen vom Hauptbahnhof – insbesondere die im Längsverkehr der hier vorher auf vier Spuren fahrenden Kraftfahrzeuge – hatte Baubürgermeister Thomas Dienberg ja tatsächlich als ein Argument für die neue Verkehrsführung vorgebracht. Aber insbesondere die Leipziger Boulevardzeitung machte dann eine Definitionsfrage draus, als sie sich an dem Wort „Massenunfallschwerpunkt“ festbiss und ihren autofahrenden Lesern suggerierte, der zuständige Bürgermeister hätte die Unwahrheit gesagt.

Doch das Dezernat Stadtentwicklung und Bau antwortet den Freibeutern geduldig: „Grundsätzlich wird darauf hingewiesen, dass es Aufgabe der Verwaltung ist, gemäß § 45 (1) Straßenverkehrs-Ordnung (StVO) die Sicherheit und Ordnung des Verkehrs zu gewährleisten. Ein Indiz für eine fehlende Sicherheit ist die Unfalllage. Die StVO enthält jedoch nicht die Vorgabe, dass die Verwaltung erst tätig werden muss, wenn die Kriterien einer (Massen-)Unfallhäufungsstelle erreicht sind.

Auch eine erhöhte Unfalllage ist als Anlass ausreichend, um Maßnahmen zur Erhöhung der Verkehrssicherheit zu prüfen und zu ergreifen. Im aktuellen Protokoll der Verkehrsunfallkommission wird zum einen der Bereich vor dem Hauptbahnhof als Massenunfallhäufungsstelle sowie die Fußgängerquerung in Höhe des Ostzugangs als Unfallhäufungsstelle aufgeführt.

Zwischenzeitlich wurde die Unfalllage für den Bereich vor dem Hauptbahnhof geprüft. In 2022 wurden 12 Fahrunfälle polizeilich registriert. Damit wird der für eine Massenunfallhäufungsstelle erforderliche Wert von 15 Unfällen des gleichen Unfalltyps pro Jahr unterschritten. Wie eingangs erwähnt, entbindet dies jedoch die Verwaltung nicht davon, geeignete Maßnahmen zur Behebung der erhöhten Unfalllage umzusetzen.“

Das könnte man auch präventives Handeln nennen: nämlich den Verkehr neu zu ordnen, bevor es noch mehr Unfälle gibt.

Muss es erst krachen?

Was dann natürlich ein anders Herangehen ist, als es in der Zeitung beschworen wurde, die irgendwie der Meinung ist, eine Stadt dürfe erst reagieren, wenn es zu Massenunfällen gekommen ist, also erst genug Schaden entstanden ist, der dann eine Neuordnung des Verkehrs erst legitimieren würde.

Aber so ist auch die StVO nicht angelegt, auch wenn das manche glauben. Das Ziel der Verkehrsorganisation muss sein, Unfälle möglichst zu verhindern und eben nicht erst aktiv zu werden, wenn es richtig bösen Schaden gegeben hat.

Aber auch die Freibeuter haben irgendwie diese Mutmaßungen aus den Zeitungen ernst genommen und fragten dann noch dezidiert nach: „Wann wurde die verkehrsrechtliche Anordnung ausgesprochen und bis wann wäre die Umsetzung nach rechtlicher Frist spätestens durchzuführen gewesen? (Wir bitten um Beifügung der verkehrsrechtlichen Anordnung.)“

Eine eigentlich schon seltsame Frage, denn vorausgegangen war ja im Oktober 2022 auch noch ein Stadtratsbeschluss, der genau das zum Inhalt hatte: die Anbringung eines Radweges auf der Fahrbahn vor dem Hauptbahnhof.

„Der Erlass der verkehrsrechtlichen Anordnung erfolgte am 29.03.2023. Am 31.03.2023 wurde die erste Änderung und am 24.04.2023 die zweite Änderung zur verkehrsrechtlichen Anordnung erlassen“, erläutert das Verkehrsdezernat. Und betont dann noch extra: „Die StVO enthält keine Vorgaben, bis zu welchem Zeitpunkt eine verkehrsrechtliche Anordnung umzusetzen ist. Gemäß § 45 (5) StVO ist der zuständige Baulastträger für die Umsetzung der verkehrsrechtlichen Anordnung jedoch verpflichtet.“

Schon seit 2020 im Fokus

Im Pressegespräch zur neuen Verkehrsanordnung vor dem Hauptbahnhof merkte Michael Jana, Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes (VTA) zwar an, dass die neue Verkehrsführung zuvor ausführlich simuliert worden sei und die Simulationen keinerlei Stau befürchten ließen. Aber irgendwie wurde das in der erhitzten medialen Diskussion dann wieder völlig infrage gestellt.

Also fragten die Freibeuter auch dazu nach: „Gab es für den Bereich vor dem Hauptbahnhof und für den Martin-Luther-Ring eine vorangegangene Simulation und welche Ergebnisse haben diese Simulationen ergeben?“

Die Antwort macht dann deutlich, wie lange sich das VTA schon mit der Problemstelle vor dem Hauptbahnhof beschäftigt hat: „Für den Bereich vor dem Hauptbahnhof wurde in 2020/2021 eine Voruntersuchung einschließlich Simulation durchgeführt. Bestandteil der Untersuchung war die Verbesserung der ÖPNV-Bevorrechtigung an den Lichtsignalanlagen vor dem Hauptbahnhof sowie die mögliche Einordnung von Radverkehrsanlagen.“

Und dabei gab es auch ein Ergebnis, das für die Straßenbahn noch wichtig werden kann. Denn: „Die Ergebnisse aus der Voruntersuchung zeigten, dass die Lichtsignalanlagen vor dem Hauptbahnhof hinsichtlich der ÖPNV-Bevorrechtigung deutlich verbessert werden konnten. Es zeigte sich jedoch auch, dass der ursprüngliche verfolgte Ansatz zur Einordnung eines Radfahrstreifens unter Wegfall einer Fahrspur in der Brandenburger Straße und unter Beibehaltung der gleichzeitigen Freigabe des Verkehrs aus der Brandenburger Straße und aus dem Georgiring aufgrund eines gravierenden Rückstaus in der Brandenburger Straße als Lösungsansatz ungeeignet waren.“

Also musste man die Ampelschaltungen völlig neu denken.

Die Lösung: Trennung der Verkehrsströme

Das Ergebnis: „Daher wurde im Nachgang auf Grundlage einer bereits in 2018 durchgeführten Verkehrsuntersuchung geprüft, ob die Leistungsfähigkeit der Verkehrsanlage bei einer getrennten Freigabe der Verkehrsströme aus der Brandenburger Straße und Georgiring erhalten werden kann. Dieses Prüfergebnis war positiv. Mit Fortschreibung der Planung wurde eine Simulation auf Basis der getrennten Freigaben mit ebenfalls positiven Ergebnis durchgeführt.“

Und mit dieser Trennung der Verkehrsströme hat man nicht nur mehr Ordnung und Übersicht geschaffen, sondern konnte auch die Spurwechsel vorm Hauptbahnhof drastisch reduzieren. Denn wenn jetzt jedes Mal nur aus zwei Fahrspuren vor den Hauptbahnhof gefahren wird, braucht es auch dort nur zwei Fahrspuren. Für viele Autofahrer eine klare Erleichterung.

Am Martin-Luther-Ring habe man hingegen nichts simulieren müssen, so das Verkehrsdezernat: „Am Martin-Luther-Ring wurde keine Anpassung an den Lichtsignalanlagen vorgenommen. Entsprechend gab es keinen Grund, im Vorfeld eine Simulation der LSA durchzuführen und notwendige Ressourcen zu binden.“

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Keine Kommentare bisher

Wer sich mal ein paar Minuten hinstellt und das Verkehrsgeschehen beobachtet, kann vor allem eines feststellen: Es läuft zivilisiert ab.
Es wird nicht mehr mit 70+ dort lang gerast, sondern überwiegend mit ca. 30km/h. Die Konflikte Rad-/Fußverkehr sind erheblich weniger geworden.
Der Vorplatz hat allein dadurch, dass Verkehr (egal welcher) nun nicht mehr so dominant den Raum in Beschlag nimmt, erheblich an Qualität gewonnen (auch wenn man mit baulichen Maßnahmen und Begrünung hier noch einiges verbessern sollte).
Die Bänke sind sind nun sehr oft in Nutzung, weil es auch nicht mehr so unerträglich laut ist.

Schreiben Sie einen Kommentar