Es ist schon erstaunlich: Kaum gehen Leipzigs Autofahrern ein paar Fahrspuren verloren, werden die uralten Ideen vom Mittleren Ring wieder ausgekramt, den die Leipziger Verwaltung schon 2015 ad acta gelegt hat. Weil er in großen Teilen überhaupt nicht umsetzbar ist und tatsächlich nur neuen, zusätzlichen Verkehr anziehen würde. Aber wenn eine Zeitung diese Ideen aus dem letzten Jahrhundert wieder auskramt, verunsichert das selbst die Linksfraktion im Stadtrat.
Zumindest drei Stadträte, die jetzt in der nächsten Ratsversammlung ein ganzes Fragenpaket stellen wollen, wie es nun zu der neuen Verkehrslösung vorm Hauptbahnhof gekommen ist, die Baubürgermeister Thomas Dienberg und Michael Jana, Leiter des Verkehrs- und Tiefbauamtes, am 6. April vorgestellt haben.
Es geht nicht um eine Reduzierung des motorisierten Verkehrs, auch wenn das die eine Zeitung mit der dominierenden Autofahrersicht so am 5. April suggerierte. Denn ein Unfallschwerpunkt ist die Stelle schon deshalb, weil es beim Spurwechsel der aus zwei Straßen vor den Hauptbahnhof rollenden Fahrzeugströme immer wieder zu Auffahrunfällen kommt.
Was dadurch gelöst werden soll, dass beide Straßen – die Brandenburger Straße und der Georgiring – künftig eigene Grünphasen bekommen sollen, das Aufeinanderprallen also verhindert wird. Was dann vorm Hauptbahnhof nur noch zwei Fahrspuren notwendig macht.
Dadurch werden zwei Spuren frei, von denen eine für den Radverkehr genutzt werden soll. Das heißt: Fünf Jahre nach dem Urteil des OVG Bautzen zum Radfahren auf dem Leipziger Promenadenring hat Leipzigs Verkehrsdezernat hier endlich auch für den Radverkehr eine Lösung vorgelegt.
Wie funktioniert die Verkehrswende?
Drei Stadträte der Linksfraktion – Sören Pellmann, Dr. Volker Külow und Oliver Gebhardt – haben nun ihre Fragen dazu für die nächste Ratsversammlung am 19. April als Dringliche Anfrage an den Oberbürgermeister gerichtet.
„Wir sind überzeugt davon, dass die notwendige Verkehrswende nur gelingen kann, wenn sie gemeinsam mit den Leipzigerinnen und Leipzigern und nicht gegen sie gestaltet wird“, erklären die Stadträte Sören Pellmann, Dr. Volker Külow und Oliver Gebhardt.
„Dabei müssen die Mobilitätsbedürfnisse aller Verkehrsteilnehmerinnen und -teilnehmer fair und ausgewogen im Zentrum der Politik stehen und dementsprechend sehr viel Kommunikation mit der Stadtgesellschaft geleistet werden. Es kommt dabei stets auf eine kluge und sinnvolle Schrittfolge an. Statt einer durchdachten und breit diskutierten Strategie wird hier eine einzelne Maßnahme mit der Brechstange durchgedrückt.“
Sicher eine Sichtweise, die Radfahrer und Fußgänger an dieser Stelle nicht unbedingt teilen. Sie warten seit Jahren darauf, dass es für sie endlich eine kluge Verkehrslösung vorm Hauptbahnhof gibt. Abgesehen davon, dass die Stadt gesetzlich verpflichtet ist, einen solchen Unfallschwerpunkt zu entschärfen.
Dem ÖPNV fehlt das Geld
Dass Leipzig parallel dazu ein echtes Finanzierungsproblem beim ÖPNV hat, merken die drei Stadträte ebenfalls an: „Eine gelingende Verkehrswende und durchdachte Mobilitätsstrategie brauchen darüber hinaus unverzichtbare Voraussetzungen. Derzeit verwalten Leipzig und die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) aber nur den Status quo des ÖPNV.
Es fehlt die finanzielle Kraft, die erforderlichen Investitionen in eine leistungsfähigere Infrastruktur zeitnah umzusetzen, weil Bund und Land die Stadt dabei nicht im notwendigen Umfang unterstützen. Mit der Verwaltungsvorlage VII-DS-07344 wird dieses Dilemma besonders handgreiflich. Der Ausbau des ÖPNV und die Sanierung von Strecken wird in die Zukunft verschoben bzw. auf Eis gelegt. Und schon bald droht wegen der Unterfinanzierung des ÖPNV in Leipzig sogar die Ausdünnung von Linien.“
Aber wo liegt die Lösung? Vielleicht doch wieder in den alten Plänen von Leipzigs einstigem Baubürgermeister Engelbert Lütke Daldrup, den Verkehr in einem großen Tangenten- und Ringsystem um die Innenstadt herumzulenken?
„Dass der Autoverkehr die Innenstadt und insbesondere den Innenstadtring übermäßig belastet, ist seit vielen Jahren bekannt. Leider gibt es bislang keine qualifizierten Planungen, um das Tangentenviereck und den Mittleren Ring endlich zu realisieren“, meinen die drei Stadträte.
„Verkehrsplanung und -steuerung sind sehr komplex. Der Wunsch nach punktueller Entlastung eines mutmaßlichen Unfallschwerpunkts vor dem Leipziger Hauptbahnhof kann nur sinnvoll erfüllt werden, wenn Verkehre großräumig an Nadelöhren vorbeigeführt und auch für den erforderlichen Wirtschaftsverkehr ein tragfähiges Konzept entwickelt und umgesetzt werden. – Mit unserer Dringlichen Anfrage stellen wir genau die drängenden Fragen dazu, wollen die längerfristigen Planungen und Umsetzungsstände in Erfahrung bringen und vor allem wissen, wer wann wie in die aktuellen Maßnahmen vor dem Hauptbahnhof eingebunden war.“
Eine zumindest erstaunliche Haltung, da der Ausbau des Mittleren Ringes ebenso teuer werden würde wie der Ausbau des ÖPNV. Und damit die 2018 vom Stadtrat beschlossene Mobilitätsstrategie völlig aushebeln würde. Und das 2022 beschlossene Energie- und Klimaschutzprogramm (EKSP) ebenso.
Mit der CDU-Fraktion sowieso nicht
Dass die CDU-Fraktion sowieso dagegen ist, dem Umweltverbund mehr Raum einzuräumen, machte am Freitag, dem 7. April, Dr. Sabine Heymann, Vorsitzende des Fachausschusses Stadtentwicklung und Bau, deutlich, als sie formulierte: „Natürlich wird es mehr Platz für Radfahrer und Fußgänger geben. Das ist klar und logisch, wenn man dem motorisierten Verkehr zwei Spuren nimmt. Damit sind alle Vorteile aber auch aufgezählt. Die Nachteile überwiegen: Radfahrer können mit der neuen Regelung nur noch in eine Richtung den Fahrstreifen befahren. Trotz Zusatzspur für die Einfädelung zu den Taxistellplätzen, bleibt der Konflikt zwischen Taxifahrern und Radfahrern.
Möglicherweise wird dieser sogar verstärkt, da sich der Radfahrer auf einer kreuzungsfreien Schnellspur vermutet. Diese vermeintliche Schnellspur endet aber abrupt: Nach dem Hauptbahnhof fährt man als Radfahrer dann wieder auf den gewohnten Trassen inklusive des weiter ungelösten Problems am Tröndlinring auf Höhe des ehemaligen Landratsamts.“
Ihre Lösung für das Unfallproblem? – „Der PKW und LKW-Verkehr fährt dann künftig verdichtet auf eine ohnehin schon zugestaute Stelle zu. Die Beseitigung der Unfallgefahr hätte man schon längst über das Untersagen des Spurwechsels im Kurvenbereich lösen können.“
Das dürfte dann auch die dort stationierten Taxifahrer verwundern.
Dafür, dass der Radweg übrigens auf die Fahrbahn kommt, stimmte erst im Oktober die Mehrheit des Stadtrates. Und ob die gefundene Lösung nun die Folgen hat, die aus Sicht der Autofahrer an die Wand gemalt werden, wird man nun einmal erst sehen, wenn die Lösung umgesetzt ist. In den Verkehrssimulationen, so Michael Jana, wurde jedenfalls kein erhöhtes Stauaufkommen sichtbar.
Es gibt 9 Kommentare
Absolut, es gibt ja auch beim Reihenhaus Vorteile. Ich mag diese Busse auch und bin in verschiedenen Städten mit ihnen gefahren.
Sie sind eben an feste Routen gebunden, machen während der Fahrt auch nicht weniger Lärm als aktuelle Verbrennerbusse. Die Modelle in Luzern, Zürich oder San Fransisco waren auch nicht flinker als zum Beispiel gut motorisierte Verbrennerbusse in Stuttgart, allerdings etwas schneller als die schweren Akkubusse.
Technisch interessant sind sie definitiv, aber dort wo heute schon Busse fahren, gibts doch eigentlich keine Vorteile durch eine Umstellung auf O-Bus. Verbrenner werden eh langsam auslaufen, von daher gibts auch keinen Vorteil von lokal emissionsfreiem Betrieb gegenüber dem Akkubus. Reifenabrieb hat er genauso.
@Rudi
Interessant. Grundsätzlichen Anspruch auf Barrierefreiheit in der DDR gab es sogar gesetzlich seit 1976, scheiterte aber allzu oft an den Ressourcen.
Das “Blaue Wunder” hatte zumindest an den Kreuzungsecken jeweils eine Rampe.
Für die Bahnsteigrampen war vielleicht auch zu wenig Platz. Aber so ein Autobahnverkehr wie heute war damals dort auch nicht.
@Sebastian
O-Bus: Es gibt aber doch nicht nur Nachteile!
Für eine feste Linie ist das schon eine gute Idee.
Ein O-Bus ist wesentlich flexibler als die Straßenbahn, wenn z.B. ein Auto zu nah an den Schienen steht. Und die Infrastruktur ist ggü. der Straßenbahn wesentlich schneller errichtet.
Haha, als wenn Kunos Worte zum Fraktionsaustritt noch einen Beweis brauchten.
@christof
Das Ring-Tangenten-System entstammt dem ersten Generalverkehrsplan von 1929. Da war der Gormsen gerade geboren.
Ansonsten: Wenn DDR-Bürger wie Sören zwischen Auto und Barrierefreiheit entscheiden müssen, dann werden sie immer fürs Auto stimmen. Barrierefreiheit gab es in der DDR nicht. Nimm nur das Blaue Wunder am Goerdelerring oder geh mal durch Grünau. Abgesenkte Borde findest du da kaum, aber Treppen statt Rampen.
Reaktionismus, Erziehungsbedarf, unhaltbare Zustände, Tischkante… Was mögen das für befürchtete Antworten sein, die man auf die Fragen hin erwartet?
Das Ergebnis ist doch ungefähr klar: Herr Dienberg wird “natürlich” gute Antworten haben, das Amt eine “berechtigte” Zurückweisung an die Fragenden geben, und “selbst in der Linken” hat man noch Leute von vorgestern, die die Zeichen der Zeit nicht gehört haben.
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O-Busse mag ich auch, aber insgesamt scheinen sie die Reihenhäuser unter den Verkehrsmitteln zu sein: Sie vereinigen die Nachteile von Bus und Bahn…
Wenn Fragen bestehen, sollte diese auch lösungsorientiert dort gestellt werden, wo diese grundlegend beantwortet werden können, zum Beispiel im Verkehrsausschuss. Falls sich die Herren von den Linken tatsächlich für Behinderte und Fußgänger einsetzen wollten, sollten sie sich dringend für eine Änderung der bestehenden Situation vor dem Hauptbahnhof und im Haltestellenbereich einsetzen, denn gerade die bestehende Situation ist für alle Verkehrsteilnehmenden unhaltbar. Und mit den Plänen des vta bietet sich eine mögliche Lösung an, die wahrscheinlich noch in Teilen optimierbarer ist. Zum Mittleren Ring für Autoverkehr: war mal eine interessante Idee aus den 90zigern (meiner Ansicht nach von Herrn Gormsen), aber im dicht bebauten Leipzig nur schwer umsetzbar, teuer und rechtlich bedenklich. Den Bedarf für Verkehrslösungen als mittleren Ring durch den ÖPNV (Bus+Tram), Feuerwehr, Notdienste, Wirtschaft (Handel+Handwerk), Dienstleistungen wird es weiterhin in 10 oder 20 Jahren geben. Für den Fahrzeugverkehr sollten immer in Verbindung mit Fuß- und Radwegen kleinteilige örtliche Lösungen gefunden werden. Und zu berücksichtigen ist, das der MIV sich durch neue Techniken (selbstfahrende Fahrzeuge, Car-sharing + Änderungen in der Wohn- und Arbeitsstruktur) stark reduzieren wird. Auch eine Ringlösung durch ein ÖPNV-O-Bus Angebot wäre eine Möglichkeit.
@michel
Besonders beachtlich ist an der Stelle wohl, dass Sören Pellmann behauptet, er würde sich für die Interessen der Behinderten und für Arme Menschen einsetzen – also die Gruppen, die besonders unter dem Kfz-Verkehr vor dem Hauptbahnhof leiden.
Wie das eben so ist: Sobald es ums Auto geht, müssen sich alle unterordnen.
Vielleicht wäre es sinnvoll, die Drei mal einer Verkehrserziehung zu unterziehen. Sie sollen einfach dazu verdonnert werden, an einem Tag je fünfzigmal zu Fuß von der Straßenbahnhaltestelle zum Bahnhofseingang und zurück die Straße zu queren. Dann fünfzigmal mit dem PKW die Spur von der linken Spur zur ganz rechten zu wechseln und natürlich genauso das Ganze noch mit dem Fahrrad (fünfzigmal einen Slalom um die Fußgänger fahren, die auf dem Radweg stehen).
Aber wer in diesem Alter politisch gefestigt ist, wird sich selbst durch Offensichtlichkeiten und eigene Erfahrungen wohl nicht beirren lassen.
Na ja, ich könnte natürlich noch 25 Jahre warten, bis ihre tollen Ideen greifen. Einfach darauf hoffen, dass deren ultimative-einzig-richtige Lösung noch greift, bevor ich abnippele oder im Pflegeheim sitze und eh nicht mehr Rad fahren kann.
Wer in meinen Zeilen Spott, Sarkasmus oder Ironie erkennt, hat vermutlich recht. Meine Frau hat mir verboten, vor Wut in die Tischkante zu beißen und daher musste ich eben zu diesem Mittel greifen.
Vielen Dank für den Artikel.
Ich werde wohl nie verstehen, was Pellmann und Külow in der Linken machen (außer reaktionärer DDR-Politik). Während sich einige Mitglieder sehr viel Mühe geben, der Partei wenigstens etwas Progressivität zu verpassen, machen diese beiden immer wieder alles kaputt. Ein Trauerspiel.
Aus diesem Pellmann-Zirkel sitzt übrigens Frau Riekewald als verkehrspolitische Sprecherin im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau. Sie hätte diese “dringlichen Fragen” auch beantworten können. Warum nun ausgerechnet die Fachfremden Pellmann, Külow, Gebhardt hier Rede und Antwort haben wollen, erschließt sich mir nicht. Es ist weder deren Thema noch ihr Wahlkreis betroffen.