Wir als ADFC wรผnschen uns schon sehr lange eine Umgestaltung des Promenadenrings, nicht nur fรผr Radfahrer, aber auch fรผr Fuรverkehr, Gรคste und Anwohnende. In vielen Beteiligungsformaten der Stadt Leipzig haben wir plรคdiert fรผr einen autofreien Bahnhofsvorplatz. Die Zufahrt zum Bahnhof fรผr motorisierten Individualverkehr soll auf der Rรผckseite sein, so wie das in vielen anderen Groรstรคdten bereits der Fall ist.
Durchgangsverkehr sollte idealerweise รผber die Berliner Straรe, Brandenburger Straรe und Rackwitzer Straรe hinten lang gefรผhrt werden. Die Stadt Leipzig hat vorerst einen Kompromiss gewรคhlt zwischen dem jetzigen Zustand und einer fortschrittlichen Umgestaltung des Bahnhofsvorplatzes.
So baut man kein โWohnzimmer der Stadtโ
Wir begrรผรen, dass die Anzahl der Spuren verringert wird von 4 auf 2, zumal die vielen Spuren auch fรผr den Kfz-Verkehr eine Unfallursache sind. Ein Spurenwechsel von ganz links nach ganz rechts ist eine stressige Herausforderung, besonders fรผr ortsfremde Fahrer/-innen. Ebenso ist die Lรคrmbelastung und Abgasbelastung an dieser Strecke sehr hoch.
Wir wรผrden uns sehr freuen, wenn alle Bรผrgerinnen und Bรผrger dieser Stadt sich weitere Gedanken machen รผber die Gestaltung des รถffentlichen Raumes, der letztendlich das โWohnzimmer der Stadtโ ist. Willy Brandt braucht Platz und wir auch!
Der Raum vor dem Hauptbahnhof wurde nach der Wende (der Platz an der westlichen Seite des Hauptbahnhofs, vor dem ehemaligen Thรผringer Bahnhof war frรผher der Blรผcherplatz) aus guten Grรผnden nach Willy Brandt benannt โ jedoch wurde die altmodische Gestaltung aus den 1970er Jahren nicht aufgegeben. Denn damals wurde dieser Raum leider dem motorisierten Individualverkehr vorbehalten.
Vier Spuren in westliche Richtung, drei in รถstliche โ Fuรgehende wurden zu Tunneln mit Treppen verbannt. Der Radverkehr war komplett unerwรผnscht. Mittlerweile kann der Fuรverkehr diese Stadtautobahn wieder ebenerdig queren, aber nicht ohne Mรผhe. Der Fuร- und Radverkehr kommen sich dabei in die Quere.
Die engen Bahnsteige fรผr die Straรenbahn machen ein Umsteigen an dieser Stelle zu einer Herausforderung, besonders bei einer sehr kurzen Umstiegszeit. Die tรคglich รผber 100.000 Fahrgรคste von Bahn und Straรenbahn mรผssen sich dem motorisierten Individualverkehr noch immer vรถllig unterordnen, auch wenn sie eigentlich zahlenmรครig mit Abstand die grรถรte Gruppe an Verkehrsteilnehmer/-innen an diesem Ort sind. Diese ungerechte Verteilung kรถnnen wir als Stadtgesellschaft so nicht lรคnger hinnehmen.
Fรผr den Radverkehr eine Zumutung
Eine kleine Verbesserung bot im Jahr 2019 die dritte Querungsmรถglichkeit zwischen Haltestellen und Hauptbahnhof โ aber dennoch blieb es an den Haltestellen und an den Fuรgรคngerampeln sehr eng und unangenehm. Fรผr den Radverkehr ist die Querung zwischen Bahnhof und Innenstadt ebenfalls eine Zumutung.
Radfahrende mรผssen sich zwischen den vielen Menschen zu Fuร durchquetschen, denn bequem auf dem Ring Richtung Westen weiterfahren, ist nicht mรถglich.
Ab der Gerberstraรe mรผssen Radfahrer/-innen absteigen und auf dem Gehweg weiterschieben oder an der Kreuzung Gerberstraรe drei Ampeln รผberwinden (mit mindestens 1,5 Minuten Wartezeit, weil diese Ampeln keine grรผne Welle bilden), um dann am Halleschen Tor einzubiegen.

Auch, wenn Deutschland insgesamt nicht sehr fuรverkehrs- und radfreundlich ist, kรถnnen wir doch beobachten, dass die Hauptbahnhรถfe vieler Stรคdte mittlerweile sehr bequem zu Fuร erreichbar sind. Der Berliner Hauptbahnhof fing damit schon im Jahr 2006 an. Es wurde erreicht, dass nahezu alle Fahrgรคste des Bahnhofs mit รถffentlichen Verkehrsmitteln, zu Fuร oder per Rad anreisen kรถnnen. Bewusst wurden wenig PKW-Stellplรคtze gebaut (800 Plรคtze) โ das Konzept hat sich bewรคhrt!
Auch andere Stรคdte haben in den vergangenen 20 Jahren ebenfalls mehr fรผr eine fuรgรคngerfreundliche Erreichbarkeit des Hauptbahnhofs getan, zum Beispiel Bremen, Erfurt, Heidelberg, Hannover und Nรผrnberg.
Leipzig sticht an dieser Stelle, als die Stadt, die in den vergangenen 20 Jahren gar nichts geรคndert hat, um den Autoverkehr am Hauptbahnhof umzulenken und die Attraktivitรคt des City-Eingangs zu verbessern, negativ hervor. Im Gegenteil, mit der Bevรถlkerungszunahme und neuen Aufgabenverteilungen zwischen DB und Stadt bezรผglich den Eingรคngen zu Westhalle und Osthalle wurde es vor dem Bahnhof immer voller, dreckiger und lauter.
Viele Besucher/-innen versuchen mรถglichst schnell von diesem Fleck wegzukommen.
Wie kann die Aufenthaltsqualitรคt dieser Flรคche verbessert werden?
Stadtplanerisch einzigartig fรผr Leipzig ist der groรe Kopfbahnhof, der direkt angrenzend am historischen Stadtzentrum liegt. Diesen Vorteil muss Leipzig wieder verstรคrkt nutzen! In vielen Stรคdten, sogar den kleineren, liegt der Hauptbahnhof oftmals mehr als einen Kilometer Laufstrecke zum historischen Zentrum entfernt (zum Beispiel in Torgau, Bautzen oder Wittenberg).
In Leipzig dagegen liegt einem die Stadt nahezu zu Fรผรen, wenn man vom Hauptbahnhof kommt โ wรคre da nur nicht dieser lรคstige Ring voller Autos. Ohne diese wรผrde die Laufzeit nur zwei Minuten betragen! Leipziger Gastgeber/-innen kรถnnen also mit ruhigem Gewissen sagen: Besuchen Sie uns mit der Bahn, es gibt keine Notwendigkeit, mit dem Auto anzufahren!
Leipzigs sehr hรผbsche Visitenkarte ist der Bahnhof, die Kathedrale des Bahnverkehrs, der Willkommensgruร und die Einladung sich lรคnger aufzuhalten. Sobald die Eingangshalle verlassen wird, kommt aber der Antiklimax: Autos fahren einem nahezu รผber die Fรผรe, mit einer Geschwindigkeit von 50 km/h. Das muss sich รคndern!
Denn, vom Bahnhof begeisterte Besucher/-innen mรผssen weiter voller Vorfreude zur Nikolaikirche, zum Augustusplatz, zum Markt gehen kรถnnen oder bequem den Umstieg zur Straรenbahn schaffen โ auf breiten Bahnsteigen mit ausreichend Steh- und Sitzplรคtzen. Besuchende, die weiter per Rad fahren mรถchten, sollte am Bahnhof eine Radstation vorfinden, wo sie ihr Leihrad mieten kรถnnen.
Pendler/-innen sollten am Bahnhof ihr abgestelltes Rad wieder abholen kรถnnen, fรผr Pannen gibt es noch eine Radwerkstatt und fรผr Neulinge einen TouristโInfopoint. So kรถnnte unsere Vision aussehen.
Neue Visionen fรผr den Willy-Brandt-Platz
Zwischen Bahnhof und Richard-Wagner-Straรe sollte wieder ein autofreier Platz entstehen, der diesem Namen auch gerecht wird โ klar getrennt vom Rest des Rings, mit Bรคumen und Wiesen, schรถnen Sitzmรถglichkeiten und vielleicht sogar neuen Bebauungen und Freisitzen. Die Studierenden der Bauhaus-Universitรคt haben es uns beim stรคdtischen โProjekt DEMO-ECโ im Jahr 2018 vorgefรผhrt, wie der Willy-Brandt-Platz umgestaltet werden kann.
Es ist klar, dass wir uns als ADFC einen Fahrradweg รผber den Platz wรผnschen. Aber รผberwiegend wollen wir den Raum fรผr den Fuรverkehr und als schรถnen Aufenthaltsort freigeben, statt fรผr den Autoverkehr. Aufmerksame Kartenleser/-innen sehen, dass hinter dem Bahnhof genug Infrastruktur vorhanden ist, um den Autoverkehr ohne Bedenken umzuleiten (Brandenburger Straรe, Rackwitzer Straรe, der Georgiring nehmen weiterhin Autoverkehr auf).
Auch die Straรenbahn, Busse und Taxen, sowie ihre Fahrgรคste sollten am Hauptknotenpunkt der Stadt einen wรผrdigen Platz bekommen, an dem tรคglich Zehntausende Menschen umsteigen. Wir sind davon รผberzeugt, dass diese Funktionen miteinander harmonieren kรถnnen, weil die verfรผgbare Flรคche sehr groร ist.
Wir brauchen Mut zur Entsiegelung รผberflรผssiger Asphaltflรคchen, Mut zur Begrรผnung, Mut zur stรคdtischen Verdichtung, Mut zur Verรคnderung in Bรผrgerschaft und Stadtverwaltung. In Zeiten des Klimanotstands wird es den dringenden Umstieg auf umweltfreundliche Verkehrsarten fรถrdern und vorantreiben. Wir sind uns sicher, das wรผrde auch Willy Brandt gefallen!
Eine lรคngere Version des Beitrags findet man auf der Website des ADFC Leipzig.
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