Die Kommunen in Sachsen geraten immer mehr unter Druck, weil nach wie vor sehr viele geflüchtete Menschen im Freistaat ankommen und entsprechend untergebracht werden müssen. Während am Dienstagabend in Böhlen südlich von Leipzig die als rechtsextrem eingestuften „Freien Sachsen“ Stimmung gegen eine geplante Asylunterkunft machten, stieß zeitgleich auch eine Sitzung des Stadtbezirksbeirates in Leipzig-Stötteritz auf regen Zulauf, bei der ebenfalls die Unterbringung Geflüchteter auf der Agenda stand. Und heute soll es weitergehen: vor dem Beginn der Ratsversammlung im neuen Rathaus.
Normalerweise finden Sitzungen der Stadtbezirksbeiräte vor einem eher überschaubaren Publikum statt. Doch im Leipziger Südosten war das am Dienstag, dem 7. Februar 2023, ganz anders: Hier kamen mehr als hundert Menschen zu einer Sitzung des Beirates in Stötteritz. Es waren so viele, dass nicht allen Einlass gewährt werden konnte.
Leipzig-Stötteritz: Kommunikationspolitik der Stadt kritisiert
Fast alle dürften wegen der geplanten Notunterkunft für Geflüchtete gekommen sein. Diese soll bereits im März in der Kommandant-Prendel-Allee in Betrieb gehen. Geplant sind sechs Zelte für jeweils rund 50 Geflüchtete.
Christian Walther, der Vorsitzende des Beirates, hatte den entsprechenden Tagesordnungspunkt vorgezogen. Neben der noch relativ neuen Sozialbürgermeisterin Martina Münch (SPD) war auch Martina Kador-Probst, die langjährige Leiterin des Sozialamtes, vor Ort.
Mit Veranstaltungen dieser Art kennt sie sich aus. Schon vor knapp zehn Jahren ging sie mit dem damaligen Sozialbürgermeister Thomas Fabian „auf Tour“, um die Pläne für neue Asyl-Unterkünfte gegen aufgebrachte Nachbar/-innen zu verteidigen.
Diesmal wurde es zwar gelegentlich hitzig – vor allem dann, wenn sich Anwesende nicht gegenseitig ausreden ließen –, doch blieb es insgesamt deutlich entspannter als bei vergleichbaren Veranstaltungen Mitte der 2010er Jahre. Viele Fragen zielten auf eine angeblich mangelhafte Informationspolitik der Stadtverwaltung, schon damals ein ständiges Argument – selbst wenn vorab städtische Flyer in den Briefkästen landeten und die Medien über die Unterbringungsvorhaben zeitnah berichteten.
Rechtsradikale Störversuche blieben aus
Münch und Kador-Probst betonten immer wieder, dass die Unterbringung von Geflüchteten eine Pflichtaufgabe sei, die in der Verantwortung des Oberbürgermeisters liege. Zudem gebe es ja Informationen: Anfang Januar 2023 habe bereits der Stadtbezirksbeirat eine Mail erhalten, nun stehe man hier Rede und Antwort und am 11. März sei zudem ein „Tag der offenen Tür“ geplant.
Weit vorne im Publikum saßen die beiden AfD-Stadträte Marius Beyer und Christian Kriegel. Beyer war bereits am Sonntag bei einer Anti-Asyl-Versammlung in Stötteritz anwesend und Kriegel soll die Nähe zu einer ähnlichen Initiative in Lindenthal, wo 30 Menschen an der Hauptstraße untergebracht werden sollen, gesucht haben. Beide meldeten sich auch an diesem Abend zu Wort und erhielten viel Applaus. Vereinzelt hörte man angesichts der starken AfD-Präsenz aber auch Kommentare wie: „Sind wir jetzt im Stadtrat?“
Die im Vorfeld befürchteten Störversuche durch organisierte Rechtsradikale gab es nicht. Vielleicht hatte die starke Polizeipräsenz oder der Aufruf von „Leipzig nimmt Platz“, zum Beirat zu kommen, abschreckende Wirkung.
Rechtsextreme „Freie Sachsen“ mobilisieren in Böhlen
Ähnlich großen Andrang gab es parallel auch in Böhlen, südlich von Leipzig. Dort fanden sich vor dem Kulturhaus am Abend geschätzt 200 Personen zusammen, die sich gegen eine geplante Gemeinschaftsunterkunft für geflüchtete Menschen aussprachen. Diese ist, möglicherweise noch ab diesem Monat, im Gebäude einer ehemaligen Poliklinik in der Werkstraße geplant.
Neben einer privaten Initiative hatte auch die Kleinstpartei „Freie Sachsen“ zum Protest aufgerufen, die laut sächsischem Verfassungsschutz bereits seit Juni 2021 als „erwiesene rechtsextreme Bestrebung“ gilt. Sie ist bekannt dafür, gern auf aktuelle Themen aufzuspringen, die zur Schürung von Ängsten geeignet sind: So waren es nach der Corona-Politik die Energiekrise und nun die vermehrte Ankunft geflüchteter Menschem, aus denen die Gruppierung ihr politisches Kapital zu schlagen versucht.
Unter anderem der Neonazi Michael Brück, seines Zeichens „rechte Hand“ des „Freie Sachsen“-Gründers Martin Kohlmann, wetterte in seinem Redebeitrag gegen die geplante Unterbringung der Asylbewerber.
Eine Gegendemonstration am Kulturhaus Böhlen, zu der Die Linke Westsachsen aufgerufen hatte, brachte etwa 30 Menschen auf die Straße. „Es sind die alten Bilder, Rechtsextreme nehmen sich die Straße und verbreiten ihre menschenverachtende, rassistische Hetze“, hatte Jens Kretzschmar (Kreisvorsitzender Die Linke Westsachsen) vorab erklärt.
Aufgebrachte Stimmung im Saal
Währenddessen ging es im großen Saal des Böhlener Kulturhauses bei einer öffentlichen Sitzung des Verwaltungsausschusses hoch her. Landrat Henry Graichen (CDU) und Böhlens Bürgermeister Dietmar Berndt (parteilos) hatten es immer wieder schwer, die Gemüter zu beruhigen: Man sei zur Unterbringung verpflichtet, betonten die beiden Politiker. Doch immer wieder gab es Zwischenrufe, einschlägige Parolen waren zu vernehmen.
Die Sitzung endete nach etwa anderthalb Stunden. Die völlige Eskalation blieb auch in Böhlen aus, vielleicht auch wegen der starken Polizeipräsenz, welche die Kundgebungen vor dem Gebäude und die Sitzung innen absicherte.
Schon heute, am Mittwoch, 8. Februar 2023 wollen sich einige Menschen zum Protest gegen die Unterbringungsvorhaben vor dem Leipziger Rathaus oder in der Wandelhalle vor dem Ratssaal treffen. Mit dabei sind offenbar laut Mobilisierungsaufrufen vor allem bei Telegram neben den „Freien Sachsen“ verschiedene Gruppierungen wie „Stötteritz steht auf“ und einige der üblichen Montagsspaziergänger um Bernd R.
Die LZ ist wie gewohnt vor Ort und wird berichten.
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