Genau einen Tag benötigte die Leipziger AfD, um auf die Pläne für eine Asyl-Notunterkunft in Stötteritz zu reagieren. „Nein zum Flüchtlingslager“, heißt es in einer Mitteilung. Die „Ausländerkriminalität“ bringe den „Gesellschaftsfrieden“ in Gefahr. In mehreren Gemeinden Nordsachsens wird gegen ähnliche Pläne bereits demonstriert. Ganz vorne mit dabei sind die „Freien Sachsen“. Aber auch ein Gemeinderat der Linken beteiligt sich an der rassistischen Hetze.

Vieles, was derzeit in manchen sächsischen Gemeinden zu hören und zu lesen ist, erinnert an ein Jahr, das sich eigentlich nicht wiederholen sollte. Durchschnittlich an jedem dritten Tag brannte 2015 eine Asylunterkunft; häufig waren sie bereits bewohnt. Sachsen – insbesondere der östliche Teil – wurde mit Vorfällen in Orten wie Bautzen, Freital und Heidenau zu einem Hotspot der rechten Mobilmachung.

Aktuell sind es vor allem die Landkreise nördlich und östlich von Leipzig, in denen rassistische Demonstrationen überregional für Aufsehen sorgen. In Orten wie Strelln und Laußig – beide im Landkreis Nordsachsen – laufen hunderte Menschen hinter Bannern mit Aufschriften wie „Nein zum Heim“. Sie rufen „Wir wollen keine Asylantenheime“ und zeigen offen ihre rechtsradikale Einstellung, die immer noch gerne mit „berechtigten Sorgen“ verwechselt wird.

Heute wie damals: „Nein zum Heim“

Das Motto „Nein zum Heim“ erinnert nicht zufällig an die gleichnamige NPD-Kampagne vor knapp zehn Jahren. Damals tauchten dutzende Facebook-Seiten und „Bürgerinitiativen“ mit diesem Namen auf. Tatsächlich steckte in den meisten Fällen die mittlerweile in der Bedeutungslosigkeit versunkene Nazipartei dahinter. Einige namhafte NPD-Politiker mischen heute bei den „Freien Sachsen“ mit, die aktuell den „Bürgerprotest“ im Freistaat koordinieren.

Stefan Hartung beispielsweise ist stellvertretender Vorsitzender der rechtsradikalen Kleinstpartei, die bei den Corona-Demos sehr präsent war und dadurch allein auf Telegram schnell zehntausende Anhänger/-innen gewinnen konnte. Bundesweit bekannt wurde Hartung als Organisator der rassistischen Anti-Asyl-Proteste im erzgebirgischen Schneeberg im Jahr 2013. Bis zu 2.000 Menschen folgten damals dem Aufruf seiner angeblichen Bürgerinitiative „Schneeberg wehrt sich“.

Freital im Jahr 2015: Antifaschist/-innen stellen sich schützend zwischen eine Asylunterkunft und den rechten Mob. Foto: LZ

Doch während sich die NPD einst eher im Hintergrund hielt, zeigen die „Freien Sachsen“ offen, wer bei den aktuellen Protesten den Ton angibt.

So verbreiteten sie beispielsweise Ende Januar in sozialen Medien einen Demoaufruf für den Ort Strelln, der nordöstlich von Leipzig zwischen Eilenburg und Torgau liegt: „Sachsen wehrt sich! Stoppt die Asylflut! Wir wollen kein Containerlager in unserem Dorf!“ Hintergrund sind die Pläne des Landkreises Nordsachsen, in einem ehemaligen Munitionsdepot der Bundeswehr eine Notunterkunft für etwa 100 Geflüchtete zu errichten.

Landkreis mit gefährlicher Rhetorik

Der Landkreis rechnet in diesem Jahr damit, etwa 1.500 Geflüchtete zugewiesen zu bekommen. „Nordsachsen wappnet sich für den von Bund und Land prognostizierten Flüchtlingszustrom“, heißt es dazu auf der Homepage des Landkreises – eine Rhetorik, die für rassistische Hetze gegen „gefährliche Ausländer“ anschlussfähig scheint.

Genau solche ist in einem Video zu hören, das die „Freien Sachsen“ im Anschluss an eine Demonstration am 31. Januar veröffentlicht haben. Knapp 200 Personen waren laut Polizei dem Aufruf gefolgt und gemeinsam zu einer Informationsveranstaltung in der örtlichen Gaststätte gelaufen.

Vor dem Gebäude hielt Uta Hesse von den „Freien Sachsen“ eine Rede. Sie betonte, dass vor allem junge Männer in den Containern untergebracht werden sollen: „Wenn wir Pech haben, randalieren die, vergewaltigen die Frauen, ermorden die Kinder.“ Hesse war im vergangenen Juni bei der Landratswahl in Nordsachsen angetreten. Bei den aktuellen Protesten im Landkreis spielt sie eine dominante Rolle.

Sowohl von „besorgten Bürgern“ als auch von politisch Verantwortlichen war in den vergangenen Wochen zudem immer wieder das Argument zu hören, dass es in Strelln keine Kultur- und Einkaufsangebote gebe. Ein Demonstrant fragte: „Was sollen die den ganzen Tag machen? Sollen die den ganzen Tag nur Däumchen drehen?“ Was wiederum die Frage aufwerfen könnte, was eigentlich die alteingesessene Bevölkerung von Strelln den ganzen Tag dort macht.

Hetze von links

Bereits im Dezember – wenige Tage nach Bekanntgabe der Pläne – hatte sich der Gemeinderat von Mockrehna gegen die Unterbringung von Geflüchteten in Strelln ausgesprochen. Dass die „Freien Sachsen“ darin vertreten wären, ist nicht bekannt, doch scheint das aus ihrer Sicht gar nicht nötig – schließlich verbreitete ein Gemeinderat, der für die Linkspartei in dem Gremium sitzt, ähnliche Ansichten.

Die Geflüchteten kämen „nicht nur mit Myrrhe und Weihrauch aus dem Morgenlande, sondern wohl auch mit Messern“, soll Gemeinderat Erwin Ellguth laut LVZ in der Sitzung am 13. Dezember gesagt haben. „Und wenn dann auch noch junge Frauen in Deutschland abgestochen würden, sei etwas faul am hiesigen Demokratieverständnis“, zitierte ihn die Zeitung indirekt weiter.

Luise Neuhaus-Wartenberg (Linke) kritisiert „platte Stimmungsmache mit rassistischen Vorurteilen“. Foto: DiG/trialon

Luise Neuhaus-Wartenberg, die Vorsitzende der Linken im Landkreis Nordsachsen, distanzierte sich daraufhin von Ellguth, der kein Mitglied der Partei sei: „Wer solche oder ähnliche Äußerungen von sich gibt, dem geht es nicht um konkrete Problemlösung und eine bessere Unterbringung von Schutzsuchenden, sondern um platte Stimmungsmache mit rassistischen Vorurteilen.“

Kurz darauf meldete sich Ellguth via LVZ erneut zu Wort. Die angeblichen Geflüchteten seien „Migranten“ und rassistisch seien seine Aussagen nicht gewesen, schließlich habe er während seines Ingenieurstudiums einen jungen Palästinenser kennengelernt. Die Worte in der Gemeinderatssitzung seien „wohlüberlegt“ gewesen und „schlugen deshalb auch zielgerichtet als rhetorische Geschosse in einige woke Blasen ein“.

Laußig wehrt sich … wogegen eigentlich?

Ähnlich aufgeheizt wie in Strelln ist die Stimmung auch in Laußig, einer Gemeinde zwischen Eilenburg und Bad Düben mit etwa 3.500 Einwohner/-innen. Dabei gibt es einen großen Unterschied: Ob, wo, wann und in welcher Größenordnung hier Geflüchtete untergebracht werden sollen, ist noch gar nicht bekannt.

Mit Parolen wie „Laußig wehrt sich“, „Wir sind kein Auffanglager“ und „Zum Schutz unserer Kinder“ hatten auch hier die „Freien Sachsen“ zu einer Demonstration aufgerufen, an der sich am 19. Januar etwa 300 Personen beteiligten. Es sei zu befürchten, dass Laußig „zu einem Ort der Überfremdung und Kriminalität wird“, hieß es im Vorfeld seitens der rechtsradikalen Kleinstpartei.

Die Demonstrierenden versammelten sich vor dem Gemeindeamt, in dem ein nicht-öffentliches Treffen des parteilosen Laußiger Bürgermeisters Lothar Schneider mit Vertreter/-innen des Landkreises stattfand, und riefen im Chor: „Holt den Lothar raus!“ Dass einzig Rassismus einen Großteil der Anwesenden zur Teilnahme motiviert haben dürfte, wurde deutlich, als es Applaus für einen Redner gab, der sagte: „Wir wollen nicht, dass Ausländer in unser Dorf kommen!“

Schneider erschien schließlich mit einem Megafon an einem Fenster in der oberen Etage des Gemeindeamtes, sprach mehrmals von „Asylern“ und äußerte Verständnis für die Protestierenden: „Ich bin doch genau so ein Mensch wie ihr, sitze aber leider auf der anderen Seite des Schreibtisches.“ Die Masse ließ sich davon nicht überzeugen, lachte ihn aus und forderte lautstark seinen Rücktritt.

In einem Interview mit der LVZ machte Schneider anschließend deutlich, dass er vor allem Unzufriedenheit mit fehlender Kommunikation nachvollziehen könne. Mehrmals seien Termine ausgefallen, bei denen über die mögliche Unterbringung von Geflüchteten geredet werden sollte. Die „Freien Sachsen“ habe er an dem Abend nicht wahrgenommen und mit ihnen hätte er auch nicht reden wollen.

Auch der „3. Weg“ mischt mit

Erfreut über die aktuellen Proteste sind aber nicht nur die „Freien Sachsen“. Auch die Nazi-Kleinstpartei „Der 3. Weg“ meldete sich Ende Januar auf ihrer Homepage und in sozialen Medien zu Wort.

Worum es ihr dabei geht, verheimlicht sie nicht: „Der Volkszorn ist auch in Laußig erwacht und damit die Wut des Bürgers nicht wirkungslos verpufft, nutzten Aktivisten unserer Partei die Gunst der Stunde, um auch in der nordsächsischen Gemeinde für die Mitarbeit in den Reihen der nationalrevolutionären Bewegung zu werben.“ Angeblich wurden Flyer mit „Informationen zur Problematik der aktuellen Asylflut“ in Briefkästen verteilt.

Dass in Strelln, Laußig und anderen Orten in Sachsen gegen Geflüchtete demonstriert wird, veranlasste kürzlich die sächsische Sozialministerin Petra Köpping (SPD) dazu, eine Pressemitteilung zu verschicken.

„Die mancherorts wieder aufflammende pauschale Ablehnung dieser Menschen finde ich unsäglich, genauso wie die oft unangemeldeten Demonstrationen, die klar erkennbar von Rechtsextremisten angeführt oder begleitet werden“, so Köpping. „Ich hatte eigentlich gehofft, dass sich 2015 nicht wiederholt.“ Während insbesondere sächsische CDU-Politiker in der Vergangenheit immer wieder Verständnis für solche Proteste geäußert hatten, ließ Köpping ein solches nicht erkennen.

Besorgt über die „Zunahme rechtsextremer Proteste“ zeigt sich auch der Sächsische Flüchtlingsrat. „Umso wichtiger ist es jetzt, sich insbesondere in den ländlichen Regionen Sachsens solidarisch mit den Geflüchteten und den Unterstützenden vor Ort zu zeigen“, hieß es in einer Mitteilung Ende Januar.

In Leipzig macht die AfD mobil

Ob es auch im Leipziger Stadtteil Stötteritz zu Protesten gegen die geplante Zelt-Unterkunft kommen wird, ist ungewiss. Antifaschist/-innen warnen seit Jahren vor einer erstarkenden Naziszene in dem Stadtteil. Die ablehnende Haltung der AfD zur Notunterkunft teilte umgehend ein Telegram-Kanal aus dem nahen Engelsdorf, der im Zuge der Corona-Demos entstanden war und bereits die rechtsradikale „Compact“-Demo im vergangenen November beworben hatte.

Die „Freien Sachsen“ konnten vor allem in der Coronakrise zahlreiche Anhänger/-innen für den „Kampf gegen das System“ gewinnen. Ob ein Großteil der Anhänger/-innen diesen Kampf auch auf dem Rücken von Geflüchteten fortführen möchte, könnte mitentscheidend für den Erfolg oder Misserfolg der kommenden Anti-Asyl-Proteste sein.

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