2022 wurde der Liviaplatz im Leipziger Waldstraßenviertel auf Beschluss des Stadtrates, einer Initiative des Stadtbezirksbeirates Mitte folgend, fußgängerfreundlich umgestaltet: Im Rahmen eines auf drei Jahre geplanten Modellprojektes wurden innerhalb eines abgegrenzten Gebietes Bänke und Pflanztöpfe sowie Papierkörbe aufgestellt, hinzu kam ein öffentlicher Bücherschrank. Diese von den Anwohnerinnen und Anwohnern gern und immer häufiger genutzte Platzgestaltung sollte zu gegebener Zeit evaluiert werden und in besten Fall in eine dauerhafte Lösung münden.
Aber dann kam die Großbaustelle von Stadt und LVB in der Waldstraße dazwischen, sodass der komplette Verkehr umgeleitet werden muss. Der Stadtrat entschied am 9. Februar, das Modellprojekt zu „unterbrechen“ und den Liviaplatz für die Umleitung freizugeben.
Möglich wurde das durch einen kurzfristig eingebrachten Änderungsantrag der SPD-Fraktion, die dann auch gemeinsam mit der AfD, der CDU und der Freibeuter-Fraktion für die Autofahrenden und mithin gegen die Fußgänger/-innen, gegen verkehrsberuhigte öffentliche Plätze und damit gegen ein Stück Lebensqualität für die dort lebenden Menschen und ihre Gäste stimmten. Auch wenn der Antrag nur eine Unterbrechung des Pilotprojekts auf dem Liviaplatz ungefähr bis Juli vorsieht.
„Der Beschluss ist nicht nur ein Schlag gegen den Stadtbezirksbeirat Mitte und den Bürgerverein Waldstraßenviertel, sondern er stellt sich auch gegen die Meinung des Petitionsausschusses und der Verwaltung“, kommentiert Marvin Frommhold, bündnisgrüner Stadtbezirksbeirat in Leipzig-Mitte, diesen Vorgang.
Autofahrer vs. Anwohner
Martin Biederstedt, bündnisgrüner Stadtrat und maßgeblich an der Idee des Modellprojektes beteiligt, hatte in der Stadtratssitzung vom 9. Februar noch einmal vehement dafür geworben, das Pilotprojekt des verkehrsbefreiten Liviaplatzes nicht zu beerdigen.
„Die Modellprojektzone wurde unseren Beobachtungen nach von den dort lebenden Menschen schnell angenommen. Es entstand bereits nach wenigen Wochen ein sichtbares Selbstverständnis, den Platz mittig zu queren, ohne nach rechts und links schauen zu müssen. Aufgrund dieser Gewöhnungseffekte, was das freie Queren betrifft, müssen wir mit gefährlichen Situationen vor allem zwischen Autos und Fußgänger/-innen rechnen, sollte der Ursprungszustand des Liviaplatzes von vor Mai 2022 wieder hergestellt werden“, befürchtet der Stadtrat der Grünen.
Zudem äußerte Martin Biederstedt Kritik an der von CDU und SPD betriebenen Diskreditierung des Evaluierungsprozesses. „Wir erwarten die sofortige Veröffentlichung der Evaluierung und einen Zwischenbericht. Sollte der nicht umgehend vorgelegt werden, wird die Fraktion eine entsprechende Ratsanfrage veranlassen.“
Schon während der Planung des Modellprojektes wurde von Stadträt/-innen verschiedener Fraktionen, die einer echten Verkehrswende keinerlei Bedeutung zumessen, infrage gestellt, ob die autofreie Nutzung eines öffentlichen Platzes überhaupt erforderlich sei. Die LVB (Leipziger Verkehrsbetriebe) hatten zunächst das Modellprojekt bei der Planung des Schienenersatzverkehrs offenbar ebenso wenig auf dem Schirm wie das für die Planung der Umleitung des Autoverkehrs zuständige Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA).
Was dann einen Teil der Stadtratsentscheidung vom 9. Februar erklärte: Das Aufeinanderprallen zweier Projekte, deren zeitliches Aufeinandertreffen nicht bedacht worden ist.
Stadtbezirksbeirat übergangen
Aber dass der Abbruch des Pilotprojekts tatsächlich notwendig war, wurde in der Stadtratsdebatte nicht wirklich sichtbar. Dafür hatte auch die Verwaltung in ihrer Stellungnahme nicht plädiert.
„Im weiteren Verlauf wurde der Stadtbezirksbeirat Mitte nicht in die Entscheidung einbezogen, obwohl es sowohl im Januar als auch im Februar im Rahmen der regulären Sitzungen dazu die Chance gab“, kritisiert Stadtbezirksbeirat Marvin Fommhold. „Es gab hinsichtlich des Fußgängerbereichs keinerlei direkte Beschwerden durch die Anwohner/-innen – bis auf eine Petition eines Edelrestaurants. Ganz im Gegenteil: Uns erreichten Zuschriften, unbedingt an dem Modellprojekt festzuhalten. Letztlich wurde einmal mehr durch CDU, AfD und SPD den Autos der Vorrang gegeben und der Liviaplatz der Baumaßnahme Waldstraße geopfert.“
„Als demokratische Partei akzeptieren wir den Abstimmungsprozess im Stadtrat“, so Ulrike Böhm, Co-Vorsitzende des Kreisverbandes der Leipziger Grünen. „Wir fordern für die Zeit der Verkehrsumleitung geeignete Maßnahmen für eine gefahrlose Überquerung des Liviaplatzes. Wir sagen ganz klar NEIN zum vollständigen Rückbau der Platzgestaltungselemente – von der Modellprojektzone muss auch während der Umleitung so viel wie möglich erhalten werden. Vor allem ist daran zu denken, dort die Geschwindigkeit zu begrenzen.“
Jetzt bleibt abzuwarten, ob das Projekt Liviaplatz nach der nächsten Bauetappe auf der Waldstraße im Juli wieder hergerichtet wird oder – wie die Grünen befürchten – die „Zukunft des Liviaplatzes als Fußgängerbereich ungewiss“ ist.
Es gibt 3 Kommentare
Ich hatte heute Muße, mir bei Tageslicht den Straßenknoten Fregestraße, Tschaikowskistraße und Feuerbachstraße anzusehen. Es sieht dort genauso trist aus, wie auf den Photos von Petra Dobschütz. Da hält sich niemand auf.
Nun kam ja die Frage, was man nun besseres aus dem verkorksten Ist-Zustand machen könnte. Dazu denke ich:
– man sieht sofort, daß das Hauptziel der Möblierungs-Übung war, keinen Kfz-Verkehr entlang der Fregestraße mehr zuzulassen; es würde mich wirklich mal interessieren, ob dort vorher etwa illegale Autorennen stattfanden? Oder waren PS-Poser dort, die Motoren haben aufheulen lassen? Wie geschrieben standen dort vor einiger Zeit viele Autos im Pulk. Aber das ist kein Grund, die Fregestraße quasi zu sperren.
– wegen dieses Vorsatzes hat die ggw. Absperrung leider eine wirklich unbotmäßige Ausdehnung
– selbstverständlich wäre es denkbar, mitten auf die Freifläche, die den inoffiziellen Namen Liviaplatz trägt, etwa noch einen Bereich von Asphalt zu befreien und dort einen Kiosk, eine Haltestelleninsel, eine Stellfläche mit Fahrradbügeln, oder irgendetwas ähnliches hinzutun, wegen mir eine Skater-Anlage, Tischtennisplatten, etc.
– dazu könnte man bedenkenlos einen Kreisverkehr um die Insel, die auch nur mit ein paar Bäumen besetzt sein könnte, laufen lassen; derlei ist im “Modellprojekt” nicht erwünscht gewesen, Und den Weg für Radfahrer von Feuerbach- bzw. Tschaikowskistraße über den über den Elstermühlgraben führenden Fregesteg behindert man ggw. gleich noch mit (wobei ich mich frage, ob es legal ist, mit dem Rad über den Fregesteg zu fahren, es steht jedenfalls keinerlei Schild dort)
Übrigens ist es wirklich bemerkenswert, daß man erst kürzlich noch Pfosten und weitere Hindernisse hinzugebaut hatte, um auch ja keinem Auto einen illegalen Weg übers Trottoir zu lassen. Und daß man bisher, also vor Getu Abrahams Kompromißvorschlag, eben keinen Bus hat fahren lassen wollen, obwohl derlei ja nun auch dort (nicht nur um die Friedrich-Ebert-Straße) das mindeste gewesen wäre, wenn man die Waldstraße voll sperrt, ist wirklich düster.
Es wäre echt schön, wenn nach der Idee “so nicht” noch eine “so hätten wir es gern!” Idee als konstruktive Entwicklung käme. So sieht es einfach nur hässlich aus und hat mit der bemühten “Menschenfreundlichkeit” zumindest fürs Auge wenig zu tun. Und nein, es können nicht auf jedem vormaligen Parkplatz Cafés entstehen…
Ich sage es ungern: ich habe selten ein noch elitäreres Experiment im öffentlichen Raum gesehen, als die Möblierung des sog. Liviaplatzes. Ja, ich sah auch vor Jahren die im Pulk abgestellten PKW in der Platzmitte, was durchaus weitab der Regularien war. Wieso, bitteschön, konnte man nicht etwa großflächig Zebrastreifen auftragen, oder sonst etwas einfaches unternehmen, um dort sowohl den Passanten den Weg zum Fregesteg offenzuhalten? Was im letzten Frühling dort hingestellt wurde, ist potthäßlich und zieht – so sollte man hoffen – hinreichend dunkle Gestalten an. Es ist gestörte Wahrnehmung des Abgeordneten Biederstedt, daß der noch nicht mal ein Jahr vorhandene Möblierungszustand schnell angenommen worden ist. Und ich will nochmal sagen, was ich elitär finde: nicht den Büchertauschschrank, sondern die Ansicht, daß man als Anwohner trotz des unglaublichen Priviliges, nur getrennt vom Zöllnerweg ans Rosental anzugrenzen, wo man sich nach Herzenslust versammeln und ausbreiten kann, genau an der Stelle einer noch im 19. Jahrhundert vorgesehenen Kirche nun – als ausdrückliches Nadelöhr für Fahrzeuge aller Art (!) – diesen Quasiplatz zu okkupieren, und zwar so strikt irgend möglich. Es geht, ich muß das nochmals sagen, nicht um einen Ort für Begenungen, damit wird alles verbrämt, es geht um die Errichtung eines Nadelöhrs. Und wenn man nicht bereit ist, Getu Abrahams Ansicht, daß man ja unmöglich eine Evaluation des Vorhabens innerhalb einer Ausnahmesituation durchziehen kann, zu folgen, dann kann ich nur vermuten, daß die Anlage des Vorhabens als Modellprojekt gänzlich eine Verbrämung gewesen ist. Sollte das stimmen, ist allen Beteiligten nicht mehr zu helfen.