Seit in Leipzig immer mehr lieb gewordene grüne Oasen abgeholzt werden, um dort Schulen, Wohnungen und andere benötigte Bauwerke hinzusetzen, formiert sich auch der Bürgerprotest gegen den Verlust dieser meist artenreichen Biotope. Einige dieser Bürger haben sich in der Initiative Stadtnatur zusammengetan. Und zwei von ihnen hatten ihre Anliegen als Einwohneranfrage in die Ratsversammlung am 9. Februar gebracht.
Beide Anfragen wurden mehr oder weniger abschlägig beschieden. Dass Wiebke Engelsing mit den Antworten zum Wilhelm-Leuschner-Platz, wo östlich der Markthallenstraße praktisch das komplette Grün gerodet werden soll, nicht zufrieden war, darüber haben wir schon berichtet.
Wobei ein Problem aus Sicht der Initiative Stadtnatur eben auch ist, dass hier schon Jahre vor Baubeginn alles Grün verschwinden soll, die bisherigen Fällungen eigentlich unrechtmäßig waren und deswegen auch jedes Mal gestoppt werden mussten. Auch aus Sicht der Stadtplanung dürften die Fällungen erst stattfinden, wenn auch der Bebauungsplan beschlossen ist.
Das „vorsorgliche“ Roden von Grünbeständen, das mittlerweile überall im Stadtgebiet eingerissen ist, erzählt eher davon, dass es mit dem Schutz von Klima und Artenvielfalt in Leipzig ein grundlegendes Problem gibt.
Keine Ausweitung des LSG „Nördliche Rietzschke“
Nur kann man das nicht in der Einwohnerfragestunde in der Ratsversammlung klären. Was auch Axel Schmoll erleben musste, der die Anfrage zu den Rodungen an der Bremer Straße gestellt hatte. Obwohl er die zähen Aushandlungsprozesse in der Leipziger Verwaltung ja aus seiner früheren Arbeit bestens kennt. Was aus seiner Sicht trotzdem nicht erklärt, warum nicht so viel gewachsenes Grün erhalten wird, wie irgend möglich.
Dass er mit seiner Anfrage recht hatte und auch auf dem ehemaligen Kasernengelände östlich der Bremer Straße in Gohlis-Nord nicht hätte gerodet werden dürfen, bestätigt das Amt für Umweltschutz ja in seiner Antwort: „Durch die Naturschutzbehörde wird derzeit die Einleitung eines Ordnungswidrigkeitsverfahrens sowie der Erlass einer Wiederherstellungsanordnung gegen den Verursacher der Rodungsmaßnahmen geprüft.“
Die Beantwortung der Fragen zum Gebiet östlich der Bremer Straße.
Hier sollen zwar künftig neue Wohnungen gebaut werden. Aber ohne verabschiedeten Bebauungsplan passiert das nicht. Und bis dahin können noch Jahre vergehen. Im nördlichen Teil des Gebietes will die Stadt eine Schule bauen. Was Schmoll zu der Frage veranlasste, ob wenigstens Teile des Geländes dem Landschaftsschutzgebiet (LSG) „Nördliche Rietzschke“ zugeschlagen werden könnten, das ja hier direkt angrenzt.
Aber das ist nicht geplant, betonte Umweltbürgermeister Heiko Rosenthal am 9. Februar. In der Antwort des Amtes für Umweltschutz hieß es dazu: „Für die hier betroffene Fläche ist seitens der unteren Naturschutzbehörde keine Schutzgebietsausweisung geplant. Die artenschutzfachlichen und klimaökologischen Belange wurden und werden im Planverfahren berücksichtigt.“
Aber dort hieß es auch: „Eine Berücksichtigung der artenschutzfachlichen Belange fand zudem indirekt über die Aufteilung des ursprünglichen Planumgriffes (ca. 14,3 ha) statt. Der sogenannte räumlich abgegrenzte Bereich ‚Teil 2‘ (ca. 8 ha) wird planerisch zurückgestellt und steht einer Bebauung zunächst nicht zur Verfügung (Anlage 1). Die Planung wird aktuell nur für Schule und Wohnungsbau nur im abgegrenzten Bereich des ‚Teil 1‘ (ca. 6 ha) im Verfahren vorangetrieben. Dennoch wird der genannte ‚Teil 2‘ planerisch weiter berücksichtigt. Für diesen Teilbereich wird im weiteren Verfahren geprüft, wie dieser Bereich zukünftig genutzt werden könnte. Aufgrund der artenschutzrechtlichen Wertigkeit dieser Fläche kann hier ggf. eine grünplanerische Aufwertung zur Schaffung von Ersatzlebensräumen vorgenommen werden.“
Die Karte mit den zwei Teilgebieten östlich der Bremer Straße.
Diesen „Teil 2“ hätte sich Schmoll durchaus als Teil des Landschaftsschutzgebietes vorstellen können. Aber genau das ist nicht vorgesehen, so Heiko Rosental.
Aus Sicht der Initiative Stadtnatur also eine recht erfolglose Fragestunde, auch wenn beide Anfragenden – Wiebke Engelsing und Axel Schmoll – das Angebot zum persönlichen Gespräch bekamen. Aus Sicht der Initiative steht die Stadt hier vor einer Herausforderung, für welche die eingeübten Planungsinstrumente nicht mehr genügen.
In der nächsten Ratsversammlung sollen demnach weitere Einwohneranfragen gestellt werden, erklärt die Initiative in ihrer Auswertung der Ratsversammlung vom 9. Februar. Zu empfehlen wären freilich tatsächlich einfache klare Fragen, auf die die Verwaltung antworten muss, keine eigenen Vorträge. Dann muss nämlich die Verwaltung erklären, was sie tut und was nicht und warum.
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Die Auswertung der Fragestunde durch die Initiative Stadtnatur
25. Januar 2023: Wieder einmal werden auf dem Bebauungsplangebiet des Wilhelm-Leuschner-Platzes vorzeitig Bäume gefällt, ein weiterer Versuch, mit der Kettensäge vollendete Tatsachen zu schaffen. Vor Abwägung der Stellungnahmen der Öffentlichkeit, vor dem Ratsbeschluss zum Bebauungsplan und wiederum ohne Berücksichtigung des gesetzlichen Artenschutzes. Nur durch das entschlossene Eingreifen von Bürgerinnen, des amtlichen Baumschutzes und der Polizei konnten die Rodungen gestoppt werden.
Bereits zwei Jahre zuvor, am 21.01.2021, war ein alter Baum- und Heckenbestand auf einem Areal des Wilhelm-Leuschner-Platzes vernichtet worden. Damals lag zwar eine Genehmigung des Amtes für Stadtgrün und Gewässer vor, nicht aber eine artenschutzrechtliche Genehmigung.
Ebenfalls vorzeitig gerodet wurde im Januar 2023 in der Bremer Straße innerhalb eines noch nicht genehmigten Bebauungsplangebietes. Hier besteht zwar ein Aufstellungsbeschluss, die Bebauungsplanung ist jedoch noch nicht einmal in der Öffentlichkeitsbeteiligung und schon wird zum wiederholten Mal gefällt. Diese umfangreichen Fällungen werden von der Behörde geduldet, da sie nicht unter die Baumschutzsatzung fallen. Ignoriert wird jedoch der gesetzliche Artenschutz, da Lebensräume geschützter Arten zerstört werden.
„Diese Lebensstätten sind unabhängig von Baumschutzsatzung oder der Gehölzschutzzeit stets geschützt – eine Zerstörung bedarf der Ausnahme oder einer Befreiung, in der Regel verbunden mit artenschutzrechtlichen Kompensationsmaßnahmen. Beides ist nach den vorliegenden Informationen nicht gegeben. Auch wenn Bußgeldverfahren durchgeführt werden – der entstandene Schaden wird dadurch nicht wiederhergestellt“, erläutert Axel Schmoll von der Initiative Stadtnatur.
„Dieser Trend des ersatzlosen Lebensraumverlustes ist leider symptomatisch für die ‚Kommune der biologischen Vielfalt‘, die ihre eigenen Zielsetzungen des Integrierten Stadtentwicklungskonzeptes INSEK, des Klimanotstandsbeschlusses und auch weiterer Stadtratsbeschlüsse nicht beachtet“, bekräftigt Wiebke Engelsing von der Initiative Stadtnatur.
Umweltverbände wie der BUND Leipzig, der Ökolöwe Leipzig und NABU Leipzig mahnen dies seit langem an. Der NABU hat seit 2016 ganze 400 Areale dokumentiert, in denen Lebensräume für Tiere und Pflanzen vernichtet wurden, ohne entsprechend räumlich-funktionalen Ausgleich zu schaffen.
Der Bebauungsplan Nr. 392 „Wilhelm-Leuschner-Platz“ ist derzeit in der Abwägungsphase. Von der Stadt selbst heißt es dazu: „… Das Abwägungsgebot ist eine wesentliche Verpflichtung für die Aufstellung der Bauleitpläne“, dabei “sind die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen.”
Grit Müller von der Initiative Stadtnatur stellt fest: „Der Stadt indes scheint das Ergebnis dieser Abwägung schon bekannt zu sein – warum sonst werden mit der Kettensäge Tatsachen für eine Bebauung des Areals geschaffen? An einer wie vom Gesetz geforderten gerechten Abwägung hat die Stadt augenscheinlich kein Interesse.“
Stattdessen startete die Stadtverwaltung jüngst eine Umfrage zur Gestaltung einer asphaltierten Freifläche auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz – ein Ablenkungsmanöver?
In der nächsten Ratsversammlung werden wir als Initiative Stadtnatur im Rahmen der Einwohner/-Innenanfrage unser Fragerecht wahrnehmen. Wir appellieren an die dem Umwelt- und Klimaschutz zugewandten Fraktionen, sich aktiv an der zu führenden Debatte zu beteiligen und Position zu beziehen.
Es gibt 2 Kommentare
Ein Video zur Auswertung der beiden Einwohneranfragen gibt es hier (auf Video RV 9.2.2023 klicken):
https://www.initiativestadtnaturleipzig.de/aktuelles/
In dem Artikel hofft Ralf Julke für die nächste Sitzung „Zu empfehlen wären freilich tatsächlich einfache klare Fragen, auf die die Verwaltung antworten muss, keine eigenen Vorträge.“
Es wäre ja tatsächlich schön, wenn das so möglich wäre, d.h. dass man als Bürger/-in klare Fragen stellen kann und dann darauf klare Antworten bekommt. Aber dies war ja insbesondere beim Leuschner-Platz leider genau nicht der Fall – im Gegenteil, das Fehlen einer adäquaten fachlichen Expertise wurde ja geradezu zelebriert. Somit muss man dann natürlich auch bei Rückfragen diese fachlich untersetzen, sonst werden diese ja ganz offensichtlich gar nicht verstanden.
Ziemlich krass auch der Redebeitrag (ganz ohne Frage…) des umweltpolitischen (!) Sprechers M. Neuhaus der LINKEN, der den Sachverhalt zum Schutz der Bäume nach eigener Aussage „erhellen“ wollte – als Unterstützung der Baum-Ab-Mentalität -, jedoch lediglich offenbarte, dass er basics des Bundesnaturschutzgesetzes zum Schutz von Baum- und Gehölzbeständen leider gar nicht kennt (sehr schöne Passage im o.g. Video). Und solche Stadträt/-innen entscheiden mit über unser Stadtgrün …
In der Aufzeichnung der Stadtratssitzung muss man leider auch die Interesselosigkeit, ja gar die Respektlosigkeit, gegenüber engagierten Bürger/-innen sehen. Fast alle Abgeordneten gaben sich nicht mal die geringste Mühe, Interesse vorzugaukeln, es wurde überall auf smartphones und Laptops herumgedaddelt, aufgestanden, der Sitzungssaal verlassen, herumpalavert und sogar mit Zwischenrufen gestört. Und das traf sicherlich nicht nur die beiden Vortragenden, sondern ist sicherlich eher die Regel. Die Bürgerin, der Bürger als Störfaktor im Getriebe der Verwaltung und der politischen Entscheidungsträger/-innen! Echt traurig für unsere Demeokratie…
Wenn ich das lese kommt mir ein Gedanke, als Grundstückeigentümer entgeht man einer solchen Situation nur, in dem man auf seinem Grundstück kein Biotop oder Gehölze entstehen lässt. Also entweder Betonfläche oder kurzgeschnittener Rasen.