Noch stehen allerhand Bรคume am Rand des Wilhelm-Leuschner-Platzes, etliche davon seit Jahrzehnten gewachsen auf dieser Kriegsbrache, auf der sich einst das Markthallenviertel erstreckte. Doch in allen Planskizzen zur Bebauung an Markthallenstraรe und Brรผderstraรe tauchen bestenfalls noch kรคrgliche Reste dieses Baumbestandes auf. Eine Einwohneranfrage hat das Vorgehen der Stadt kritisch aufgegriffen. Das Stadtplanungsamt hat sich jetzt an einer Antwort versucht.
Das extreme Unverstรคndnis fรผr die Vorgehensweise der stรคdtischen รmter war den Fragen von Wiebke Engelsing jedenfalls deutlich anzumerken: โWie kann es sein, dass angesichts von Hitze und Dรผrre der gesamte Baumbestand auf dem WLP mitten in der Innenstadt gerodet wird, obwohl klar ist, dass dies zu massiven Aufheizungen fรผhrt und dem Klimaschutzprogramm, der Klimaschutzuntersuchung, dem INSEK 2030, dem Masterplan Grรผn, der Biotopverbundplanung und dem Landschaftsplan widerspricht?โ
Das Amt widerspricht sich selbst
Dass freilich der Erhalt von Bรคumen und artenreichen Biotopen รผberhaupt nicht Teil der Planung ist, macht das Stadtplanungsamt schon recht deutlich, wenn es schreibt: โTrotz der zusรคtzlichen Versiegelung soll รผber entsprechende Festsetzungen zur Dachbegrรผnung und zum Wasserrรผckhalt das Lokalklima dahingehend beeinflusst werden, dass eine anthropogen-klimatisch bedingte Stressbelastung fรผr den Menschen weitgehend reduziert wird.โ
Die Beantwortung der Einwohneranfrage zum Wilhelm-Leuschner-Platz.
Schon zwei Sรคtze weiter aber widerspricht sich das Stadtplanungsamt selbst: โAuch wenn der Geltungsbereich im Bestand bereits stark versiegelt ist, so wird sich die klimatische Belastungssituation durch die Zunahme der Gebรคudemassen, die sich bei Tage aufheizen und nachts die Wรคrme wieder abgeben, verstรคrken. In Abhรคngigkeit von Maรnahmen zur Dach- und Fassadenbegrรผnung und der farblichen Gestaltung der Fassaden lassen sich die klimatischen Auswirkungen minimieren.โ

Nach Ansicht des Stadtplanungsamtes wird sich die Situation nicht verschlechtern: โDas Gutachten zur Kaltluftsimulation fรผr die Stadt Leipzig (vgl. DWD 2017) macht deutlich, dass die insbesondere aus dem sรผdlichen und รถstlichen Umfeld der Stadt รผber die Flusslรคufe von Weiรer Elster, Pleiรe und Parthe heranstrรถmende Kaltluft die Innenstadt nur in geringem Umfang erreicht.
Eine Beeintrรคchtigung der Kaltluftstrรถme durch die Neubebauung des Platzes ist daher kaum zu erwarten, da die bestehenden Straรenrรคume auch weiterhin als, wenn auch belastete, Kaltluftschneisen zur Verfรผgung stehen. Die Stadtklimaanalyse Leipzig stellt fรผr den westlichen Bereich des Wilhelm-Leuschner-Platzes eine Luftaustauschbahn geringer Strรถmungsgeschwindigkeit dar. Die Planung sieht hier einen Freiraum vor, sodass der Luftaustausch nicht beeintrรคchtigt wird (vgl. Umweltbericht der Begrรผndung zum BPL 392, S. 40ff.).โ
Ein bisschen Begrรผnung als Alibi?
Tatsรคchlich zeigt die Stadtklimaanalyse nicht nur fรผr den โwestlichen Bereich des Wilhelm-Leuschner-Platzesโ (also den eigentlichen Wilhelm-Leuschner-Platz), sondern fรผr das gesamte Plangebiet jetzt schon eine starke bis extreme Wรคrmebelastung. Denn die riesigen freien Platzflรคchen heizen sich im Sommer besonders stark auf. Und die jetzt noch vorhandene Begrรผnung ist in Wirklichkeit schon viel zu gering, um diesen Effekt zu dรคmpfen.
Wรคhrend eine Kaltluftschneise nicht nur โ wie die Antwort suggeriert โ aus Richtung der Flรผsse (also Johannapark) auf den Platz fรผhrt, sondern รผber die Windmรผhlenstraรe noch viel stรคrker aus dem Gebiet Bayerischer Bahnhof. Doch gerade hier wird der komplette Blockrand bebaut, die Kaltluftschneise wird also unterbrochen. Das heiรt: Die Planungen ignorieren letztlich alle Erkenntnisse zur schon bestehenden und zur kรผnftigen Hitzebelastung im Stadtgebiet. Es wird geplant wie vor 30 Jahren. Grรผndรคcher und Fassadenbegrรผnung sind nur Alibi.
Genauso wie die Versuche der Stadtverwaltung, den geplanten Artenverlust zu kompensieren.
Kรผnstliche Biotope?
Das Stadtplanungssamt versucht es so zu beschreiben: โDie Anwendung des โLeipziger Bewertungsmodells fรผr die Bilanzierung von Eingriffen in Natur und Landschaft sowie deren Ausgleich und Ersatzโ wurde im Bauleitplanverfahren Nr. 392 โWilhelm-Leuschner-Platzโ vollstรคndig umgesetzt. Im Ergebnis dieser Eingriffsermittlung wurden Maรnahmen zum Ausgleich und Ersatz von Eingriffen festgelegt und im Bebauungsplan dargestellt bzw. festgeschrieben. Dazu gehรถren beispielsweise Vorgaben zur Dachbegrรผnung auf Gebรคuden, die Neuanpflanzung von Bรคumen oder Artenschutzmaรnahmen.
Mรถgliche Verpflanzungen von Groรbรคumen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz werden ebenso geprรผft wie zeitlich versetzte Reduzierung des Grรผnbestandes, um Eingriffe so gering wie mรถglich zu halten. โ Sรคmtliche erforderliche Maรnahmen werden innerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplanes umgesetzt. Diese Maรnahmen werden einerseits mit der Errichtung der jeweiligen Gebรคude und andererseits mit der geplanten Umgestaltung der Freiflรคchen des Wilhelm-Leuschner-Platzes umgesetzt.โ
Schon die Formulierung โzeitlich versetzte Reduzierung des Grรผnbestandesโ zeigt, dass vom gewachsenen Grรผnbestand praktisch nichts รผbrig bleiben wird. Es geht lediglich nur noch um die Begrรผnung der noch verbliebenen Freiflรคchen.
โMomentan wird fรผr die Konzeptfindung fรผr die Freiflรคchen ein รถffentlicher Wettbewerb ausgelobt. Die Anforderungen zum Ausgleich und Ersatz werden in die Aufgabenstellung zum Wettbewerb integriert. Sobald das Wettbewerbsergebnis feststeht, soll mit der Umsetzungsplanung begonnen werden. Dieser Planungs- und Umsetzungsprozess wird einige Jahre dauernโ, so das Stadtplanungsamt.
Mehr als das Gesetz verlangt โฆ
Dass das aber eher ein Versuch ist, in einem vรถllig zugeplanten Gebiet auch noch ein bisschen Alibi-Artenschutz zu betreiben, wird deutlicher, wenn das Stadtplanungsamt auf die empรถrteste von Engelsings Fragen antwortet, die da lautet: โWie kann es sein, dass in der Stadt der biologischen Vielfalt (Titel, den Leipzig trรคgt) alle Lebensrรคume der 17 auf dem WLP vorkommenden Brutvogelarten planiert werden, obwohl eine vergleichbare Artenvielfalt selbst in Leipzigs Parks selten erreicht wird und auf dem neu bebauten WLP selbst mit AAD nicht zu erhalten ist โ perspektivisch ist im gรผnstigsten Fall mit Haussperling und Hausrotschwanz zu rechnen?โ
โDie Umsetzung und Realisierung eines multifunktionalen und zugleich artenreichen Stadtplatzes stellt eine immense Herausforderung dar, denn Naturschutz, Mobilitรคt, Denkmalschutz und die Anforderungen eines Veranstaltungsstandortes sowie von zukunftsfรคhigen Gebรคuden mit nachhaltigen Wohn- und Arbeitsplรคtzen mรผssen vertrรคglich miteinander kombiniert werdenโ, versucht das Stadtplanungsamt den Spagat.
โUm das Ziel zu erreichen, werden zur Fรถrderung der Artenvielfalt und Biodiversitรคt auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz von der Stadt Leipzig zahlreiche zielartenorientierte Maรnahmen auf der รถffentlichen Freiflรคche im Westen und innerhalb der Baufelder im Osten planungsrechtlich umgesetzt.
Diese gehen รผber die gesetzlich vorgeschriebenen Maรnahmen hinaus und werden in einem, den Bebauungsplan begleitenden, Artenvielfaltskonzept formuliert. Abgeleitet von den artspezifischen Habitatansprรผchen der sogenannten Schirmarten, werden darin gezielte Maรnahmen innerhalb des Geltungsbereiches des Bebauungsplans verortet. Fรผr die รถffentliche Freiflรคche wird die konkrete grรผnordnerische Gestaltung im Zuge des derzeit in Vorbereitung befindlichen Freiflรคchenwettbewerbes vorgenommen.โ
Das klingt fast so, als wolle die Stadt hier die Habitate der vorkommenden Arten kรผnstlich nachbauen, wรคhrend das gewachsene Biotop tatsรคchlich verschwindet. Das wรคre zumindest einmal etwas Neues. Ob es im versprochenen โArtenvielfaltskonzeptโ dann tatsรคchlich so steht, bleibt abzuwarten. Denn allein die geplanten Bebauungen werden dafรผr sorgen, dass der grรถรte Teil des angesiedelten Artenreichtums verschwindet und vรถllig neue Rรคume entstehen, die fรผr die angesiedelten Arten in keiner Weise attraktiv sein dรผrften.
Empfohlen auf LZ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Keine Kommentare bisher
Kรถnnte man mit einer Petition die von der Stadtverwaltung laut heutiger LVZ genehmigte vollstรคndige Baumfรคllaktion auf dem Markthallen- bzw. Leuschnerplatzareal, die NABU bzw. Jens Rometsch bekanntmachen, noch stoppen? Ich wรคre dabei.