Dass über den Umbau der Prager Straße am Völkerschlachtdenkmal hart gestritten werden würde, das war absehbar. Denn wie bei keiner anderen Baumaßnahme wird hier sichtbar, was Mobilitätswende für Leipzig wirklich heißt. Denn dann muss der motorisierte Individualverkehr Platz abgeben, damit der Umweltverbund tatsächlich endlich Platz bekommt, den er im Nadelöhr am Völkerschlachtdenkmal nun einmal nicht hat.

Das Wort Nadelöhr fiel in der Stadtratsdebatte am 15. Dezember mehrmals. Aber wer zu Fuß, mit Bahn oder Fahrrad durch diese „schmale Gasse“ muss, der weiß, dass diese Stelle jetzt ein Nadelöhr ist. Nämlich für alle, die zu Fuß, mit Rad oder Straßenbahn hier durch wollen.

Für die Straßenbahn sollen weiter auseinanderliegende Gleise gebaut werden, damit künftig breitere Straßenbahnen nach Meusdorf fahren können. Die Radstreifen sollen endlich auf den Asphalt, denn jetzt müssen sich Radfahrer mit Fußgängern den viel zu schmalen Fußweg teilen.

Am Eingang zum Südfriedhof werden sie noch dazu mitten durch die Haltestelle für die Straßenbahn geführt. Das sind inakzeptable Zustände. Und sie genügen nicht dem, was der Stadtrat selbst 2018 mit der nachhaltigen Mobilitätsstrategie beschlossen hat.

Nur wenige Städte haben so eine Mobilitätsstrategie

Übrigens einer der Gründe, warum sich Thomas Dienberg überhaupt als Baubürgermeister in Leipzig beworben hat, wie er in seiner sehr werbenden und emotionalen Einbringungsrede betonte. Denn Leipzig ist eine der ganz wenigen Städte, die überhaupt so eine Strategie haben.

Und mit den Planungsvorlagen für die Berliner Straße und jetzt die Prager Straße wird endlich auch in konkreten Planungen sichtbar, was das bedeutet. (Wobei am Tag zuvor die Vorlage zur Berliner Straße auf Antrag von SPD-Stadtrat Andreas Geisler abgesetzt worden war. Etwas, was er mit der Prager Straße ebenfalls versuchte. Doch sein Absetzungsantrag wurde mit 24:33 Stimmen abgelehnt.)

2018 haben die Stadträte – auch die der CDU – beschlossen, dass der motorisierte Individualverkehr in Leipzig zurückgehen soll. Von aktuell 35 Prozent auf unter 30 Prozent. Natürlich klappt das nur, wenn parallel Angebote geschaffen werden.

Da hat auch CDU-Stadtrat Claus Uwe Rothkegel recht. Nur will die CDU-Fraktion in alter Tradition diese Angebote dadurch schaffen, dass zum Beispiel die Radfahrer von den Magistralen auf Nebenstraßen abgedrängt werden.

Das Argument brachte am 15. Dezember CDU-Stadträtin Siegrun Seidel wieder vor. Ein Argument, bei dem man merkt, dass sie eben nicht mit dem Rad Richtung Innenstadt fährt.

Denn Radfahrer haben auch ein Recht (und ein Bedürfnis), genau wie die Autofahrer auf direktem Weg ins Zentrum zu kommen und nicht über Nebenstraßen zum Slalom gezwungen zu werden. Auch sie möchten schnell sein. Und sicher unterwegs sein.

Zwei starke Plädoyers für die Mobilitätswende

Und nicht nur Thomas Dienberg lief zur Hochform auf, als er für die Vorplanungsvariante des VTA warb.

Die Vorlage der Verwaltung zur Komplexmaßnahme Prager Straße.

Richtig emotional wurde es auch bei Grünen-Stadträtin Kristina Weyh, die sämtliche aus CDU- und AfD-Fraktion vorgebrachten Argumente – auch die zum Wirtschaftsverkehr – zerpflückte und darauf hinwies, dass über alle Zahlen und Prognosen auch im zuständigen Ausschuss gesprochen wurde.

Und es stimmt eben nur bedingt, dass Bewohner der Ortsteile am Stadtrand nur mit dem Pkw in die Stadt kommen. Was stimmt ist, dass Park-and-Ride-Plätze fehlen, die die Linksfraktion in einem Änderungsantrag extra noch einmal aufs Tapet gehoben haben. Denn in Meusdorf an der Endhaltestelle der Linie 15 gibt es keinen P+R-Platz.

Und SPD-Stadträtin Heike Böhm hat auch recht mit der Aussage, dass man aus Liebertwolkwitz erst recht schlecht in die Stadt kommt, denn dort fährt ja keine Straßenbahn. Und leider hat es der Stadtrat nicht hinbekommen, die Verlängerung der Linie 15 bis Liebertwolkwitz in den Nahverkehrsplan mit aufzunehmen.

Denn dann würde die breitere Straßenbahn den Liebertwolkwitzern ganz bestimmt zugutekommen und viele von ihnen würden auf den Pkw tatsächlich verzichten können.

Der ÖPNV muss besser werden

Denn von den zuletzt 2021 gezählten 27.000 Pkw, die auf diesem Abschnitt der Prager Straße werktags fahren, sind garantiert viele unterwegs, weil ihre Fahrer tatsächlich keinen Anschluss an Straßenbahn oder Radweg haben.

Wer mit dem Rad auf der Prager Straße fährt, weiß, wie viele Schikanen es dort gibt. Die am Völkerschlachtdenkmal ist nur eine davon.

Höchste Zeit, dass sich das ändert. Und Dienberg wies zu Recht darauf hin, dass die Vorplanungen zur Berliner Straße und zur Prager Straße die ersten sind, in denen das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA) erstmals gezeigt hat, wie Straßenraum im Sinne der Mobilitätsstrategie 2030 umgebaut werden muss.

Und zwar jetzt. Denn auch Kristina Weyh hat recht, wenn sie sagt, dass das Autodenken, das heute noch die Fraktionen von CDU und AfD dominiert, in 20, eher in 10 Jahren nicht mehr funktioniert.

Was aber die Sprecher aus den beiden Fraktionen nicht davon abhielt, an diesem Tag die Basis einer zivilisierten Debatte zu verlassen, dazwischenzurufen und insbesondere Kristina Weyh immer wieder zu unterbrechen, sodass OBM Burkhard Jung am Ende noch ein paar mahnende Worte sagen musste. Denn „diese Debatten werden wir in Zukunft öfter haben.“

Ganz einfach, weil an solchen konkreten Planungen sichtbar wird, was die 2018 beschlossene Mobilitätsstrategie tatsächlich bedeutet. Da helfen alte Argumente und Ausflüchte nicht mehr.

Auch nicht die von den Wirtschaftskammern wieder stoisch vorgetragenen zum Wirtschaftsverkehr, der dann im Stau landen würde. Auch das lässt sich – so Kristina Weyh – mit den Zahlen der inzwischen ausgereiften Leipziger Verkehrsmodelle nicht belegen.

Harte Fronten

Die Fronten waren also klar. Und man merkte deutlich, dass die beiden Autofahrerfraktionen die Bühne nur zu gern genutzt hätten, um die Debatte erst noch richtig anzuheizen.

Was dann aber der Antrag des SPD-Fraktionsvorsitzenden Christopher Zenker beendete, der ein Ende der Debatte forderte. Dem stimmten dann 36 der anwesenden Stadträt/-innen zu, während 17 noch weiter debattieren wollten.

Eigentlich war da schon klar, dass diese Ratsversammlung ganz und gar nicht damit beginnen wird, die 2018 beschlossene Mobilitätsstrategie wieder aufzuweichen.

Der Änderungsantrag der Linksfraktion bekam dann mit 41:16 Stimmen bei einer Enthaltung ebenfalls eine klare Mehrheit. Im Wortlaut: „In die weiteren Vorplanungen ist die Untersuchung von verbesserten Bedingungen für Park & Ride einzubeziehen und Ergebnisse sind in Folgevorlagen darzustellen.“

Den Antrag des Stadtbezirksbeirats Südost hatte Thomas Dienberg gleich übernommen, sodass er Teil der Beschlussfassung wurde. Denn der Wunsch ist nicht nur berechtigt, sondern uralt, denn auch heute schon gibt es etlichen Ausweich- und Schleichverkehr in Stötteritz.

Der Kern des Antrags: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, vor der Fahrbahnreduzierung in der Prager Straße, geeignete Maßnahmen zu prüfen und umsetzen, um den steigenden ‚Ausweichverkehr‘ in der Augustiner und Naunhofer Straße und umliegenden Nebenstraßen entgegenzuwirken.“

„Machen wir“, hatte Dienberg zugesagt.

Und dann war nur noch offen, ob die Gesamtvorlage auch eine Mehrheit bekommt. Und siehe da: Mit 33:24 Stimmen ging es deutlich knapper aus. Da gibt es auch in anderen Fraktionen Stadträt/-innen, die sich noch nicht wirklich vorstellen können, dass der Verkehr sogar flüssiger fließen kann, wenn man dem Kfz-Verkehr eine Fahrspur wegnimmt.

Die Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) wollen, wie der Vorlage zu entnehmen ist, die Baumaßnahme ab 2024 in Angriff nehmen. Die Stadt selbst will die entsprechenden Finanzen 2025 in die Haushaltsplanung mit aufnehmen. Während die LVB mit Kosten von 4,4 Millionen Euro rechnen, kalkuliert die Stadt für ihren Teil mit 2,9 Millionen Euro.

Empfohlen auf LZ

So können Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstützen:

Ralf Julke über einen freien Förderbetrag senden.
oder

Es gibt 3 Kommentare

@György Ohne Ihnen zu nahe zu treten, merkt man das Sie noch nie einen RTW gefahren haben. Auch ohne Platzmangel ist das ausweichen von LKW doch sehr schleppend.

@fra die Fahrbahn wird laut Vorzugsvariante 5,65m breit sein. Sollte doch mal ein RTW einen 3m breiten LKW überholen müssen, könnte dieser nicht auf einen der Bordsteine auffahren? das sollte doch die fehlenden 5-15cm ergeben. Rasengleise sind halt viel besser als betonierte oder geschotterte Gleise.

Warum man die Gleise für Krankenwagen nicht befahrbar machen möchte erschließt sich mir nicht.
Die Pragerstraße ist die Hauptstrecke zur Herzklinik und Parkkrankenhaus, dazu sind RTW 2,70m breit und LKW 2,55 bis 3,00. Das ist auf den neuen Fahrbahnen nicht realisierbar.

Schreiben Sie einen Kommentar