Anfang September lud der Leipziger Stadtrat der Linken, Michael Neuhaus, die Presse zu einem Fototermin auf den Ratsholzdeich. Seit Monaten ist der gesperrt – erst durch Bauzäune, seit kurzem durch feste Schranken, die die Jogger und Spaziergänger abhalten sollen, den Deichweg zu betreten. Denn aus Sicht der Landestalsperrenverwaltung (LTV) ist das kein öffentlicher Weg mehr. Eine Antwort aus dem Umweltministerium bestätigt das geradezu kafkaeske Denken.

Der Landtagsabgeordnete der Linken, Marco Böhme, hatte dazu eine Anfrage an die Staatsregierung gestellt. Und der grüne Umweltminister Wolfram Günther hat auch geantwortet. Womit er bestätigt, wie sächsische Behörden funktionieren. Es ist ja nicht nur die Ausländerbehörde, die immer wieder zeigt, dass Franz Kafka (1883-1924) mit seinen Romanen tatsächlich die Wirklichkeit deutscher Bürokratien beschrieb. Wenn die Vorschrift etwas verlangt, bauen Beamte eben Schranken in den Wald: „Betriebsweg. Betreten und Befahren verboten!“

Was eben noch ein öffentlicher Weg war, verwandelt sich über Nacht in einen Weg, den die Leipziger nicht mehr betreten dürfen. Auch wenn freilich kein Schrankenwärter da steht und die Menschen am Passieren hindert. Nur Herr K. würde stehen bleiben und den Behördenstreich als Handlungsanweisung verstehen.

Es gibt tatsächlich einen Grund für die Sperrung

Aus Sicht der LTV ist das ein bürokratisch logisches Denken. Mit dem Bau eines neuen Deichdurchlasses hat man bei der Landesdirektion die Entwidmung des nördlichen Deichabschnitts beantragt. Die Landesdirektion hat genehmigt, der Deich wurde entwidmet.

Eigentlich kann er jetzt auch zurückgebaut werden. Doch noch besitzt die LTV den Deich. Die Entwidmung bedeutet keinen Eigentümerwechsel.

Aber die Stadt Leipzig wollte den Weg auch nicht einfach übernehmen. Was auch keinen Sinn macht. Denn die Landestalsperrenverwaltung ist hier noch gar nicht fertig, wie man der Antwort an Marco Böhme entnehmen kann.

Der Weg bleibt sowieso erst einmal in der Unterhaltungspflicht der LTV. Und die lässt jetzt noch eine Überraschung gucken: Denn die Sperrung des Deichwegs begründet sie mit dem Bauzustand des Oberen Paußnitzsiels, das hier den Unterbau des Deiches darstelle.

Da wird die Sache noch spannender, denn gleichzeitig behauptet die LTV, das Obere Paußnitzsiel zurückbauen zu wollen (Maßnahme M2). Was ganz unübersehbar noch nicht erfolgt ist. Sonst würde ja der desolate Zustand des Siels nicht als Begründung der Wegsperrung herbeigezogen. Das heißt: Die LTV ist hier mit Baumaßnahmen noch nicht fertig. Auch wenn sie mit keinem Wort verrät, wann sie das obere Paußnitzsiel zurückbauen will. Was ja die Gelegenheit wäre, den Deich hier wirklich zu öffnen.

Kein Deichrückbau in Planung

Jedenfalls ist ein Deichrückbau hier vonseiten der LTV nicht vorgesehen, um Ausgleichspunkte für die 2011 und 2013 erfolgten massiven Baumfällungen auf 23 Hektar Auwaldgebiet zu kompensieren. Dazu listet die Antwort an Marco Böhme ganz andere Ausgleichsmaßnahmen auf.

Nur eine dieser Maßnahmen kann man dem Ratsholzdeich zurechnen: „Au 1 S“, „Regelmäßige Flutung und Durchströmung von Auwaldbereichen des Leipziger Ratsholzes und der südlichen Elsteraue“. Dazu dient ja der 2020 gebaute Durchlass im Ratsholzdeich weiter südlich. Sollte die LTV auch irgendwann noch das Obere Paußnitzsiel komplett zurückbauen, könnte auch hier bei Elsterhochwasser wieder mehr Wasser in die Aue fließen – in diesem Fall in Beipert und Probstei.

Aber davon steht in der Antwort an Marco Böhme nichts. Dafür scheint es auch noch keinen Zeitplan und keinen Finanzplan zu geben. Sodass die Leipziger wohl weiter auf einem nicht genehmigten Weg laufen, wenn sie die Schranke ignorieren. Einem Betriebsweg, der davon erzählt, dass Behörden auch den vierten Schritt gern vor dem zweiten ausführen und dann Schilder hinhängen, die das Versäumnis kaschieren – aber nicht erklären.

Die Baumfällungen von 2011 und 2013 will die LTV dafür an anderer Stelle kompensieren – mit Deichschlitzungen am Möckernschen Winkel etwa oder Grünlandentwicklung am Pfingstanger.

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