Die Treuhand hat auch Straßen verkauft. Das konnte man aus der beherzten Rede von Linke-Stadtrat Michael Neuhaus durchaus mitnehmen, die er am 14. September in der Ratsversammlung hielt. Da fiel dann auch das schöne Wort Enteignung. Aber die steht wohl auch bei der Werkstraße auf dem alten GISAG-Gelände in Großzschocher nicht im Raum.

Beantragt hatte die Linksfraktion: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen eines Dialogverfahrens zwischen den ansässigen Gewerbetreibenden und der Grundstückseigentümerin eine angemessene Lösung zur Erschließung der im Gebiet zwischen Anton-Zickmantel-, Bismarck- und Gerhard-Ellrodt-Straße gelegenen Flächen über die ehemalige Werksstraße (Flurstück 1175/10, Gem. Großzschocher) zu erreichen. Der Stadtrat wird über die erreichten Ergebnisse im 2. Quartal 2023 informiert. Sofern im Ergebnis des Dialogverfahrens keine für alle Beteiligten angemessene Lösung erreicht werden kann, leitet die Stadt ein B-Planverfahren nach §§ 1-13 Baugesetzbuch im Sinne des Ursprungsantrages ein.“

Und ein Bebauungsplanverfahren, das am Ende die Straße gar als öffentliche Straße definiert, könnte somit die Enteignung der Straße bedeuten. Der Eigentümer müsste sie an die öffentliche Hand abgeben.

Aber Baubürgermeister Thomas Dienberg hält dieses Verfahren nicht für aussichtsreich. Denn verkauft hat die Treuhand die Straße ja als Teil eines Werksgeländes. Das war sie auch schon in sozialistischen Zeiten, auch wenn sich die Gewerbeansiedlung im Gelände seitdem verändert hat.

Die Geschichte der Straße

Die Linksfraktion erzählte die ganze Geschichte so: „Nach der Liquidation des GISAG-Anlagenbaus Leipzig als Nachfolger des gleichnamigen Kombinates 1991 entstand das Industrie- und Gewerbegebiet „Großzschocher I“ mit der nach 1945 angelegten und 1950 grundhaft angelegten Werkstraße, die nach 1991 durch Aufteilung des Areals 30 Klein- und Mittelständische Unternehmen (KMU) verkehrstechnisch erschließt. Ohne sich um die verkehrstechnische Erschließung der von der Treuhandliegenschaftsgesellschaft Berlin (TLG) von ihr vorher selbst veräußerten Grundstücke zu scheren, übertrug diese die Werkstraße an die Remex Leipzig, welche diese 2006 käuflich erwarb. Die Remex Leipzig übertrug diese 2008 an die Remano GmbH. In der Folge wurde den Anlieger/-innen regelmäßig die Nutzung verwehrt und es gab auch keine Bemühungen zur gütlichen vertraglichen Einigung für eine Straßennutzung.

Die Stadt Leipzig, welche für das Bauplanungsrecht und dessen Umsetzung zuständig ist, steht in der politischen und administrativen Verantwortung, die von der TLG hinterlassenen chaotischen Zustände im Gewerbegebiet Großzschocher I im Interesse der gedeihlichen Entwicklung der dort angesiedelten Unternehmen und dem Erhalt der Arbeitsplätze bauplanerisch zu ordnen.“

Offiziell genutzt wird die alte Werkstraße deshalb auch nur von den Unternehmen, die auf dem Gelände ansässig sind, auch wenn sie von der Gerhardt-Ellrodt-Straße durch bis zur Anton-Zickmantel-Straße führt. Was dann freilich auch private Kraftfahrer dazu animiert, diese Strecke zu nutzen.

Moderierte Gespräche mit allen Anrainern

Der Streit um die Nutzbarkeit dauert dementsprechend schon länger, wie das Stadtplanungsamt erklärt: „Die Situation im bezeichneten Gebiet ist der Verwaltung seit vielen Jahren bekannt. Wegen der für alle Grundstücke gesicherten Erschließung besteht derzeit kein akuter Handlungsbedarf. Mehrfach wurde in der Vergangenheit mit den Beteiligten und innerhalb der Verwaltung geprüft, wie hier dennoch eine für alle Seiten angemessene Erschließungslösung erreicht werden kann. Die Wirtschaftsförderung hat hierzu moderierte Gespräche mit den Anrainern geführt.

Dabei ist es nicht gelungen, die noch bis 2020 bestandene Chance zu nutzen, eine Erschließungsmaßnahme unter Zuhilfenahme von GRW-Infra Fördermitteln durchzuführen, da dies ggf. den Rückbau vorhandener Gebäude, die finanzielle Beteiligung der Anrainer und im Ergebnis die kostenfreie Übertragung der in Anspruch genommenen Verkehrsflächen an die Stadt bedeutet hätte.“

Denn auch wenn die Straße – wie Neuhaus ausführte – wie eine Straße aussieht, riecht und vielleicht sogar schmeckt, ist sie nicht nach den Standards öffentlicher Straßen ausgebaut. Und beim Straßenausbau würden natürlich alle Anlieger zur Kasse gebeten. Was aus Sicht der ansässigen Unternehmen nicht viel Sinn macht, da eigentlich nur sie die Straße nutzen.

Nur ein Unternehmen hat das anders gesehen, wie das Stadtplanungsamt feststellt: „Zuletzt war Anfang 2020 durch ein ansässiges Unternehmen ein Antrag auf Eintragung des Flurstücks 1175/10, Gemarkung Großzschocher (die ehemalige Werksstraße), in das Bestandsverzeichnis als öffentliche Straße gestellt und nach Prüfung durch die Verwaltung im Frühjahr 2022 auf der Grundlage des § 53 Abs. 1 Sächsisches Straßengesetz (SächsStrG) abgelehnt worden, da weder bis 1991 noch danach eine öffentliche bzw. privat-öffentliche Nutzung dieser Verkehrsanlage erfolgte.“

Die Straße sieht also wie eine Straße aus – aber nicht wie eine öffentliche, sondern eben wie eine Betriebsstraße in einem Gewerbegebiet.

Kein öffentlicher Bedarf

Und so richtig dringenden Bedarf, sie der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, sieht auch das Stadtplanungsamt nicht: „Auch besteht kein Bedarf für die Öffentlichkeit, die Werksstraße zu nutzen, da ca. 100 m weiter östlich die Bismarckstraße verläuft. Unabhängig davon befindet sich die Werksstraße auch nicht in einem Zustand, welcher eine sichere Nutzung für die Allgemeinheit gewähren würde. Das antragstellende Unternehmen, dessen Grundstück auch an die Gerhardt-Ellrodt-Straße angrenzt und somit im planungsrechtlichen Sinn auch als ‚erschlossen‘ gilt, besitzt ein befristetes Notwegerecht für die Werksstraße.

Im Übrigen sind die weiteren im Plangebiet gelegenen Flächen auf insgesamt zehn Eigentümer verteilt, wobei alle Eigentümer bzw. die in ihrem Eigentum befindlichen Flächen an die umgebenden öffentlichen Verkehrsflächen (Anton-Zickmantel-Straße, Bismarckstraße oder Gerhard-Ellrodt-Straße) angrenzen und über entsprechende Grundstückszufahrten auch darüber erschlossen werden bzw. im planungsrechtlichen Sinn erschlossen sind.“

Den Ärger gibt es also vor allem innerhalb der ansässigen Gewerbetreibenden. Und so recht kommt die Stadt da im Dialogverfahren nicht weiter, will aber dran bleiben, wie Thomas Dienberg betonte. Der auch dem von der Linksfraktion vorgeschlagenen Weg über einen neuen Bebauungsplan wenig Aussicht einräumt, an diesen Konflikten etwas zu ändern.

„Die mit dem Antrag angestrebte Durchführung eines Bauleitplanverfahrens zur Schaffung der planungsrechtlichen Voraussetzungen für die öffentliche Widmung einer heute im Privateigentum befindlichen Werksstraße wäre rechtswidrig, da die städtebauliche Erforderlichkeit gem. § 1 Baugesetzbuch für die Aufstellung des Bebauungsplanes nicht begründet ist. Es wird ein Alternativvorschlag unterbreitet“, hatte das Stadtplanungsamt sogar betont.

Der Poker geht weiter

Und deshalb auch als Beschluss vorgeschlagen: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, im Rahmen eines Dialogverfahrens zwischen den ansässigen Gewerbetreibenden und der Grundstückseigentümerin eine angemessene Lösung zur Erschließung der im Gebiet zwischen Anton-Zickmantel-, Bismarck- und Gerhard-Ellrodt-Straße gelegenen Flächen über die ehemalige Werksstraße (Flurstück 1175/10, Gem. Großzschocher) zu erreichen. Der Stadtrat wird über die erreichten Ergebnisse im 2. Quartal 2023 informiert.“

Das schien auch CDU-Stadträtin Sabine Heymann logisch, die für ihre Fraktion den Verwaltungsvorschlag zur Abstimmung stellte.

Mit dem klaren Ergebnis, dass er mit 39:15:2 Stimme auch angenommen wurde.

Es wird also weiter verhandelt. Auch wenn die Stadt in diesem Fall eher Mediator ist.

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