Hat sich an der Schweinfurter Straße wieder die Autofahrer-Lobby durchgesetzt? Oder hat der Stadtbezirksbeirat West recht, wenn er den städtischen Planern vorwirft, sie hätten in Informationsveranstaltungen zum Ausbau der Ratzelstraße einfach verschwiegen, dass die Zufahrt der Schweinfurter Straße zur Ratzelstraße geschlossen werden soll und über ein Z-Gitter nur noch Fußgänger und Radfahrer hier die Gleise queren können?
Den Ausbau der Gleise in der Ratzelstraße haben die Leipziger Verkehrsbetriebe im Frühjahr begonnen. Man nutzt dabei noch den Bauschatten der Großbaustelle am Adler. Dass Leipzigs Verkehrsplaner die Gelegenheit nutzen, auch noch ein paar andere Probleme in der Straße zu lösen, ist nur zu verständlich. Und die Kreuzung an der Schweinfurter Straße hat gleich mehrere Probleme.
Es fehlt nicht nur eine Ampel, sondern gleich mehrere – an den Straßenbahngleisen über die Schweinfurter, sodass die Straßenbahnen der Linie 3 hier auf Sicht fahren müssen. Und auch an der Ratzelstraße selbst, wo bei regulärem Fahrbetrieb die Linie 2 vom Ratzelbogen aus ebenfalls ohne Ampelschaltung die Ratzelstraße quert.
Doch in beiden Informationsveranstaltungen zur Baumaßnahme Ratzelstraße fiel kein Wort dazu, dass die Stadt hier die Querung der Schweinfurter Straße schließen will.
Klarheit erst im Mai
Am 2. Mai lud der Stadtbezirksbeirat West deshalb die Planer des Verkehrs- und Tiefbauamtes (VTA) ein, genau diesen Sachverhalt zu erklären.
Das Ergebnis war ein deutlicher Antrag an den Stadtrat: „Die Durchführung der geplanten Baumaßnahme im Bereich der Überfahrt Schweinfurter Straße wird ausgesetzt; evtl. bereits begonnene Arbeiten sind sofort zu stoppen. Die Aufnahme/Wiederaufnahme der Arbeiten erfolgt nach Bürgerbeteiligung/Abstimmung/Planabstimmung/Planvorlage.“
Die Begründung war dann noch deutlicher:
„Im Rahmen der Gleiserneuerung in der Ratzelstraße zwischen Kiewer und Lausener Straße (eine der LVB-Maßnahmen im Schatten der Baumaßnahme Ratzelstraße zwischen Schönauer Straße und Diezmannstraße) soll die Überfahrt Schweinfurter Straße auf die Ratzelstraße für den motorisierten Individualverkehr (MIV) ersatzlos geschlossen werden. Zur Maßnahme wurden eine digitale Bürgerinformationsveranstaltung am 23. November 2020 und eine Online-Informationsveranstaltung am 10. Februar 2022 durchgeführt.
In beiden Veranstaltungen wurde die Schließung der Überfahrt Schweinfurter Straße nicht erwähnt und die betroffenen Anwohner in Unkenntnis gehalten. Erst über eine diesbezügliche Anfrage des Stadtbezirksbeirates West beim Verkehrs- und Tiefbauamt der Stadt Leipzig wurden am 9. Mai 2022 Pläne mit Stand Dezember 2021 zur Verfügung gestellt, die aber wiederholt eine Schließung der Schweinfurter Straße nicht erkennen ließen.“
Sorry, war nicht so gemeint?
Aus der Stellungnahme des Verkehrs- und Tiefbauamtes (VTA) kann man erkennen, dass in de Ratzelstraße tatsächlich mit den Bauarbeiten begonnen wurde, ohne dass sich die Planer von LVB und VTA überhaupt sicher waren, was sie da an der Schweinfurter Straße eigentlich machen wollten.
Das liest sich nämlich so:
„Bedingt durch die Signalisierung der Gleisausfahrt der Straßenbahn am Ratzelbogen wurde die bisher vorgesehene Schließung der Gleisüberfahrt Schweinfurter Straße und Ausbildung als Z-Übergang an dieser Stelle in der Planung zunächst vorbereitet. Im Rahmen des Bürgerdialoges am 09.06.2022 in der ‚Völkerfreundschaft‘ in Grünau wurde die Baumaßnahme an der Ratzelstraße und dabei die Gleisüberfahrt Schweinfurter Straße ausführlich vorgestellt und mit den Beteiligten umfassend diskutiert.
Im Ergebnis auch dieser intensiven Diskussion wird die Schließung der Gleisüberfahrt Schweinfurter Straße mit der Baumaßnahme nicht realisiert und das Verkehrs- und Tiefbauamtes wird eine geeignete Lösung suchen, um die bestehende Straßenanbindung der Schweinfurter Straße über die Gleisanlage aufrechtzuerhalten.
Mit Offenhalten der Schweinfurter Straße ist die Signalisierung des Teilknotens Ratzelstraße / Schweinfurter Straße / Gleisausfahrt erneut auf funktionierende Lösungen hin zu betrachten. Dabei sind auch bauliche Anpassungen des Knotenpunktes zu prüfen, um die angestrebten Verbesserungen im Verkehrsablauf erreichen zu können.“
Die Schließung der Schweinfurter ist notwendig, aber …
In der Sitzung des Stadtbezirksbeirats am 2. Mai erläuterte der amtierende Abteilungsleiter Verkehrsmanagement in der Straßenverkehrsbehörde, Sebastian Lindhorst, warum die neue Ampelregelung eine Schließung der Schweinfurter Straße notwendig macht: „Lichtsignalanlage Ratzelstraße / Kiewer Straße wird erneuert“, heißt es im Protokoll der Sitzung.
„Derzeit überquert die Straßenbahn die Ratzelstraße auf Sicht, keine LSA. Bei Planung wurde auch berücksichtigt, dass Fußgänger genug Zeitfenster für die Querung der Ratzelstraße bekommen. Ausfahrender Verkehr aus Schweinfurter Straße würde zu massiven Staus führen, sodass die Schweinfurter Straße nicht mehr befahren werden könnte und die Zufahrt deshalb geschlossen werden muss. Branddirektion wurde eingebunden, Gebiet wird weiterhin angefahren werden können.“
Nun wird zwar die entsprechende Ampelschaltung gebaut – aber die Schweinfurter Straße soll offenbleiben. Jedenfalls stimmt dem das VTA in seiner Stellungnahme zu: „Die Schließung der Gleisüberfahrt Schweinfurter Straße wird nicht mit der laufenden Baumaßnahme realisiert, der Oberbürgermeister wird beauftragt, eine geeignete Lösung zu suchen, welche die bestehende Straßenanbindung über die Gleisanlage der Schweinfurter Straße aufrechterhält.“
Beschlossen ist das noch nicht. Denn dazu muss sich erst noch der Stadtrat eine Meinung bilden.
Mitten in der Baumaßnahme die Pläne ändern?
Und zumindest im Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau dürfte das etwas deutlicher zur Sache gehen. Der Fall erinnert schon ein wenig an das seltsame Lavieren des VTA beim Baubeschluss zur Gutshofstraße in Böhlitz-Ehrenberg. Als wären sich die Planer im VTA überhaupt nicht sicher, was sie da eigentlich geplant haben.
Erst hält man die Schließung der Schweinfurter Straße für notwendig, um die Probleme bei der Ausfahrt der Straßenbahn am Ratzelbogen zu beheben – dann knickt man ein und will jetzt nach irgendeiner anderen Lösung suchen. Und das, wo die Bauarbeiten längst laufen.
Denn so recht logisch ging es auch in der Sitzung des Stadtbezirksbeirates nicht zu. „Herr Lehmann gibt zu bedenken, dass der komplette Verkehr aus der Siedlung künftig über die Kreuzung Windsheimer Straße erfolgen muss und massive Staus vorprogrammiert sind“, kann man da lesen.
Hier handelt es sich um den Stadtbezirksbeirat Steffen Lehmann. „Deshalb ist Alternative zur Kreuzung Schweinfurter Straße notwendig, z. B. an Miltenberger Straße. Windsheimer Straße ist zu schmal für große LKWs.“
Massive Staus mit Fahrzeugen aus der Siedlung Grünau?
Die Kreuzung Windsheimer Straße ist deutlich größer als die eher schmale Schweinfurter. Aber mit den Verkehrsmengen geht es in dieser Diskussion sowieso drüber und drunter.
An der Windsheimer Straße ergab die letzte Zählung von Kraftfahrzeugen gerade einmal 750 an einem Tag, ähnlich viel wie auf dem Lausner Weg. Die Siedlung Grünau produziert hier wirklich keine massiven Staus. Zahlen für die Schweinfurter Straße sind gar nicht ausgewiesen, weil sie noch viel weniger Verkehr ausweist.
Und auch für die Ratzelstraße selbst wird mit dubiosen Zahlen gearbeitet. In der Bürgerinformation im Februar gab die Stadt hier eine tägliche Fahrzeugmenge von 13.500 bis 15.400 Kfz/24h an und gab als Prognose sogar 15.400 bis 17.550 Kfz/24 h für das Jahr 2030 an. Und das, obwohl man bei dieser Veranstaltung im Februar auch schon die neueren Zahlen für 2020/2021 hatte, da waren es nur noch 12.300 bis 12.900 Kfz/24h.
Wenn dieser Vorgang etwas zeigt, dann eine Verkehrsplanung in Leipzig, die die 2018 beschlossenen Prinzipien des nachhaltigen Mobilitätskonzepts überhaupt noch nicht verstanden hat.
Das wird deutlich, wenn das VTA in Burkhard Jungs Prüfschema zur nachhaltigen Stadtentwicklung einfach ankreuzt: „Trifft nicht zu.“ Was schlichtweg falsch ist. Denn das Themenfeld „Nachhaltige Mobilität“ trifft hier unbedingt zu. Hier geht es um bessere Bedingungen für die Straßenbahn. Welche Lösung die Planer jetzt noch finden wollen, wenn die Baumaßnahme Ende 2022 fertig sein soll, steht völlig in den Sternen.
Es gibt 2 Kommentare
@JB: Die Parallele zur Gutshofsstraße ist mir auch gleich in den Sinn gekommen.
Würde ich nicht so sehen, das eine ist ein Stadtratsbeschluß der umgesetzt wird. Hier ist es ein Verschweigen von Seiten der VTA bei den Bürgerversammlungen. Das nennt sich dann wohl Transparenz. Weiterhin geht es bei der Gutshofsstraße um ein paar weniger Parkplätze und nicht darum das die Straße zur Sackgasse wird. Natürlich gehen die Bewohner auf die Barrikaden. Den dann fangen die Probleme an. Wird an der Straße gebaut (VTA, Wasser, Gas, Energie, Telekommunikation…) ist die Straße gleich mal dicht. Im schlimmsten Fall kommt die Müllabfuhr nicht mehr, die dürfen eigentlich nicht mehr Rückwärts fahren. Also etwas komplexer ist der Fall schon.
Bei der “großen Bahn” werden die Bahnübergänge von Jahr zu Jahr weniger und das ist dort ein völlig normaler Vorgang, weil es die Sicherheit und die zulässigen Geschwindigkeiten erhöht. Immer wieder gibt es Landwirte, die auf die Barrikaden gehen, weil sie dann einen Kilometer weiter fahren müssen um zu ihrem Feld zu kommen. Hier sind es eben die Häuslebesitzer, die sich minimal umstellen müssten.
Dass es zu einer Überlastung der Windsheimer Straße kommen könnte, ist aber einfach nur absurd. Hoffentlich kühlen sich hier die Gemüter noch ab und es setzt sich die Vernunft durch. Wenn schon die Berufsbedenkenträger aus dem Amt keine Probleme sehen…
Die Parallele zur Gutshofsstraße ist mir auch gleich in den Sinn gekommen.