In den vergangenen Jahren musste die linke Szene regelmรครŸig damit rechnen, zum Ziel von Hausdurchsuchungen zu werden. Vor ziemlich genau zwei Jahren beispielsweise fanden in Connewitz jene Durchsuchungen statt, die spรคter zur Verhaftung von Lina E. fรผhrten. Sie soll Kopf einer Antifa-Gruppe gewesen sein, die politische Gegner ausgespรคht, angegriffen und teils schwer verletzt hat.

Seit fast einem Jahr lรคuft in Dresden der Prozess gegen sie und drei weitere Angeklagte. Mit einem Urteil war eigentlich in den kommenden Wochen zu rechnen โ€“ doch die neueste Hausdurchsuchung am 15. Juni lรคsst den bisherigen Zeitplan wackeln.

Der Grund: Johannes D., einer der Beschuldigten im Lina-E-Prozess, hat โ€žgeplaudertโ€œ und laut Ordnungsbehรถrden so viele Interna verraten, dass damit mehr als 100 Seiten gefรผllt werden konnten. Wie detailreich er sich รผber seine Mitbeschuldigten und die linke Szene im Allgemeinen geรคuรŸert hat, ist noch nicht bekannt.

Klar ist jedoch, dass seine Aussagen beim LKA und dem Bundeskriminalamt zu der Hausdurchsuchung am 15. Juni gefรผhrt haben. Im Visier stand offenbar eine Person, die ebenfalls zur angeblich existierenden Gruppe rund um Lina E. gehรถren soll.

Das LZ Titelblatt vom Monat Juni 2022. Vร–. 24.06.2022. Foto: LZ

Dass Linksradikale mit dem Staat kooperieren, ist ungewรถhnlich. Normalerweise sind es die Aktivisten im rechten Spektrum, die sich beispielsweise mit Geld kaufen lassen und dann als โ€žV-Mannโ€œ mehr oder weniger nรผtzliche Informationen liefern. Nun hat ein Linker ausgepackt und die Grรผnde dafรผr scheinen offensichtlich.

Am 21. Oktober 2021 hatte es einen โ€žOutcallโ€œ gegen diese Person gegeben. Das heiรŸt, eine anonyme Person, die sich als seine Ex-Freundin bezeichnete, verรถffentlichte auf โ€žIndymediaโ€œ einen Text, in dem von massiver sexualisierter, psychischer und kรถrperlicher Gewalt die Rede war.

Der Outcall verbreitete sich in der Szene und das Solidaritรคtsbรผndnis โ€žAntifa Ostโ€œ, das den Prozess von Anfang an begleitet hat, erklรคrte, den angeblichen Tรคter in keiner Form mehr zu unterstรผtzen.

Fest steht, dass sich der neue โ€žKronzeugeโ€œ der Anklage bereits in einem Zeugenschutzprogramm befindet und seine Aussage im Sommer 2022 vor dem Dresdner Staatsschutzsenat machen wird. Ob er parallel dazu gegen die im Netz gegen ihn mit Foto und Klarnamen erhobenen Vorwรผrfe vorgeht, ist unklar. Eine entsprechende schriftliche LZ-Anfrage bei seinem Rechtsanwalt lieรŸ dieser trotz mรผndlicher Nachfragen bis Redaktionsschluss unbeantwortet.

Zu welcher Zeit und wo genau sich der oder die รœbergriffe ereignet haben sollen, geht aus den anonymen Beschuldigungen nicht hervor. Was es auch fรผr die Strafermittlungsbehรถrden schwer macht, den Anschuldigungen von Amts wegen nachzugehen. Ohne eine Verortung ergeben sich beispielsweise noch nicht einmal klare Zustรคndigkeiten.

So antworten die Staatsanwaltschaften Berlin und Dresden, man gebe dazu keine Auskรผnfte. Grund sei vor allem der Datenschutz des Betroffenen. Damit bleibt im Dunkeln, ob beispielsweise in Berlin, wo der Beschuldigte gelebt haben soll, รผberhaupt eine Strafanzeige in dieser Sache vorliegt.

Bei der Staatsanwaltschaft Leipzig, so Pressesprecher Ricardo Schulz, โ€žwurde und wird gegen Johannes D. kein Ermittlungsverfahren wegen eines ihm angeblich zur Last gelegten Sexualdelikts gefรผhrt. Entsprechende Strafanzeigen lagen beziehungsweise liegen der Staatsanwaltschaft Leipzig soweit ersichtlich nicht vor.โ€œ

Brisant an dem Fall ist auch, dass laut Solibรผndnis auch die Anwรคlte der Nebenklรคger im Lina-E-Verfahren an die Aussagen des von vielen Linken als โ€žVerrรคterโ€œ bezeichneten Mannes kommen. Dabei handelt es sich teilweise, darunter die vier Nebenklรคger des Prozesses und ihre Anwรคlte, um Personen aus dem Neonazi- und Rechtsradikalenspektrum, die nun mรถglicherweise รผber detaillierte Informationen รผber Strukturen der linken Szene verfรผgen.

โ€žVerrat in der linken Szene: Ein Beschuldigter im Lina-E-Verfahren packt aus.โ€œ erschien erstmals am 24. Juni 2022 in der aktuellen Printausgabe der Leipziger Zeitung (LZ). Unsere Nummer 103 der LZ finden Sie neben GroรŸmรคrkten und Presseshops unter anderem bei diesen Szenehรคndlern.

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Es gibt 3 Kommentare

Geschรคtzter Herr Freitag,
bitte nehmen Sie es nicht so persรถnlich, aber manchmal drรคngt sich mir trotzdem die Wahrnehmung auf, die Unschuldsvermutung gilt fรผr manche mehr als fรผr andere (ein beiderlei Sinne). Vielleicht liege ich ja auch gerade bei Ihnen falsch damit. In dem Fall, verzeihen Sie mir bitte und versuchen Sie bitte die Unvoreingenommenheit zu bewahren. Dann verstehe ich Sie aber so, dass die angeblich so offensichtlichen Grรผnde fรผr eine belastenden Aussagen von Herrn D., die anfรคnglich im Artikel beschreiben, einzig der Ausschluss des Soli-Bรผndnisses Ost wรคren? Das ergibt fรผr mich keinerlei Sinn, da er auf die Art nicht umkehren wird. Wer auf indymedia zur Sache liest, erhรคlt hingegen schnell den Eindruck, es werde weder von der Unschuld des Hr. D. ausgegangen, noch von der eigenen. Nur das man die eigenen Taten fรผr gerechtfertigter hรคlt, was nachvollziehbar aber nicht unbedingt richtig scheint. Hierzu wiederum wรผrde mich Ihre Einschรคtzung als Beobachter interessieren. Und auch auf dieser Seite war Hr. Rodig schon dabei der Frau E. StraรŸennamen zu widmen.
Hรถflichst Mimi

Liebe(r) Mimi, richtig: hรคtte es (derzeit noch unklar, aber wohl eher nein) eine Strafanzeige zu den Vorwรผrfen gegen Johannes D. gegeben, wรคre die Sache wohl anders gelaufen. Deshalb haben wir ja versucht, dazu etwas herauszubekommen, zumal diese Vorwรผrfe wohl etwas mit dem โ€œauspackenโ€ zu tun haben kรถnnten. Das Ergebnis ist null bis negativ (siehe Sta. Leipzig).

Was der leicht gehรคssige Unterton in Form der โ€œvon Ihnen angebeteten Linaโ€ soll, ist mir hingegen etwas unklar. Was ist am Rechtsstaatsprinzip der Unschuld bis zum Beweis des Gegenteils nicht zu verstehen? Wenn ich mir die bisherige Berichterstattung der LZ dazu anschaue, kann ich dieses Prinzip erkennen โ€“ wie bei jeder anderen weniger auรŸergewรถhnlichen Gerichtsverhandlung auch.

Die Frage, ob Johannes D. es vorgeblich wegen des โ€œMammonsโ€ getan hat oder um etwas โ€œzu vertuschenโ€ stellt sich โ€“ so die Strafanzeige tatsรคchlich nie gestellt wurde โ€“ รผbrigens gar nicht. รœber seine Motivation kann man spekulieren: mehr wissen wird man dazu wohl erst, wenn er vor Gericht aussagt.

โ€œoutcallโ€:
(SUBSTANTIV) โ€“ a visit to a customerโ€™s home by a professional
(ADJEKTIV) โ€“ relating to a visit to a customerโ€™s home by a professional
(VERB) โ€“ to bid higher than in a card game
Nichts davon hat etwas mit einer Anschuldigungen zu tun. Oder steht in Ihrem feministischen Kampflexikon etwas anderes?
Die These mit den Grรผnden der rechten und linken Verrรคtern ist auch so gar nicht biased. Was ist dabei eigentlich die Aussage? Ist es besser die Genossinnen fรผr den Mammon zu hintergehen, oder um eine mutmaรŸliche Vergewaltigungen zu vertuschen?
Wรคre die Beschuldigende zur Polizei, statt zur U-Gruppe und Indymedia gegangen, hรคtten die Anwรคlte der von Ihnen angebeteten Lina jetzt vielleicht etwas in der Hand. Aber so: Your honor, hearsay1!
PS: STRG_F v. 19.04.2022 โ€œV-Mann packt aus: 10 Jahre Freunde bespitzeltโ€, da istโ€™s ein wahrer รœberzeugungstรคter mit Ordnungsfimmel im linken Milieu. Mal als Gegenbeispiel zu Ihrer pauschalen Wahrnehmung.

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