Natürlich muss die ganze Stadt umgebaut werden, wenn Leipzig seine Mobilitätsziele einigermaßen ernst nimmt. Und seine Klimaziele, die eng damit zusammenhängen. Da können Anliegerstraßen nicht einfach nur zugeparkte Fahrbahnen bleiben, ohne jegliche Aufenthaltsqualität. Weshalb ja der Stadtbezirksbeirat Altwest seinen Antrag „Kleine, feine Merse: Städtebauliche Qualität des öffentlichen Raumes erhöhen in der Merseburger Straße zwischen Karl-Heine-Straße und Lützner Straße“, ins Verfahren gebracht hat.
Es ging dann ein bisschen hin und her. In einem durchaus wohlwollenden Verwaltungsstandpunkt formulierte das Verkehrs- und Tiefbauamt dann, wie es gehen könnte.
„Das Anliegen beider Anträge wird inhaltlich unterstützt, da hier verschiedene Aspekte der Verkehrswende wie Fußverkehrs- und Radverkehrsförderung und eine Steigerung der Aufenthaltsqualität im öffentlichen Raum angesprochen werden. Das Gebiet um die angesprochenen Abschnitte der Merseburger Straße eignet sich grundsätzlich auch für Betrachtungen dieser Art, denen sich die Stadt perspektivisch widmen wird. Aktuell begleitet die Verwaltung das vereinsgetragene Projekt ‚Neue Nähen – Superblocks Leipzig‘ im Leipziger Osten, aus dem sich Erkenntnisse auch für andere, vergleichbare städtische Situationen ergeben werden“, schrieb das VTA, nachdem auch die Grünen-Fraktion einen Antrag eingebracht hatte, nach dem die „kleine, feine Merse“ auch ein Pilotprojekt für andere, vergleichbare Straßen werden könnte.
Umbau vielleicht 2025/2026 – wenn Geld da ist
„Aktuell muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die Planung von Maßnahmen zum einen über die Beschlüsse zu den Doppelhaushalten der Stadt und ggf. einzelne Maßnahmenprogramme priorisiert werden“, betonte das Verkehrs- und Tiefbauamt (VTA), das ja sowieso schon eine Liste von 200 Straßen führt, die in den nächsten Jahren dringend saniert werden müssen.
„Die Abschnitte der Merseburger Straße sind in keinem bisherigen Prioritäten- und Haushaltsprogramm enthalten. Die Umsetzung von Beschlüssen einer Vielzahl weiterer unterjähriger Anträge auf Maßnahmenprüfung, -planung und -realisierung ist, auch unbeschadet einer inhaltlich positiven Beurteilung, im Rahmen der gegebenen Ressourcen nicht möglich und geht zulasten der eigentlich priorisierten Maßnahmen. Sie binden Kapazitäten oft einer Vielzahl von zu beteiligenden Ämtern (u. a. VTA, SPA, AWS, AfU, ASG) und müssen auch im Sinne einer stadtweiten Betrachtung beurteilt werden.“
Und so erübrigt sich fast zu betonen: „Generell gilt zudem, dass die Realisierungsfähigkeit an die Verfügbarkeit von Mitteln in den kommenden Haushalten gebunden ist, über die der Stadtrat jeweils im entsprechenden Haushaltsverfahren noch entscheidet.“
Was aber für den Stadtbezirksbeirat Altwest jetzt nicht bedeutet, dass man wartet, bis die Merseburger Straße irgendwann im nächsten halben Jahrhundert mal dran ist. Weshalb der in der vierten Fassung seines Antrags betont:
„Der Stadtbezirksbeirat Alt-West spricht sich für den VSP der Verwaltung aus. Zusätzlich wird, wie in der Begründung des VSP aufgeführt, das Umstufungsverfahren in Verbindung mit dem Teileinziehungsverfahren ergänzt, um den Planungsprozess im Sinne des Ursprungsantrags zu fördern.“
Das nennt man dann wohl: eine ausgestreckte Hand nehmen. Denn wenn die Straße nicht einfach nur im Straßenbauprogramm unter „ferner liefen“ aufgelistet wird, sondern Teil der Mobilitätsstrategie wird, kann hier wirklich mal ausprobiert werden, wie so eine Straße aussehen kann, wenn sie nicht nur ein langer Stellplatz für Pkw sein soll.
„Da die Merseburger Straße in den besagten Abschnitten in keinem mittel- oder langfristigem Straßenausbauprogramm enthalten ist, wird geprüft, die Maßnahmen 1 und 3 in den Rahmenplan zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie der Stadt aufzunehmen. Bei erfolgreicher Prüfung wird angestrebt, die Maßnahmen 1–3 bis zum III. Quartal 2023 zu planen und niedrigschwellige Maßnahmen (inkl. der Umstufung/Teileinziehung zwischen Karl-Heine- und Aurelienstraße) bis zum IV. Quartal 2024 umzusetzen“, heißt zum Beispiel in Punkt 4, den der Stadtbezirksbeirat übernommen hat.
Und Punkt 5: „Die Planung und Umsetzung stehen unter dem Vorbehalt ausreichend verfügbarer Mittel und der Beschlussfassung über den Haushalt 2023/24. Für ggf. im Ergebnis des Prozesses angestrebte größere Umgestaltungen ist eine Einordnung in die Haushalte 2025/26 zu prüfen.“
Pilotprojekt für eine Flaniermeile
Die ersten drei Punkte formulieren schon recht konkret, wie sich die Straße verändern soll. Denn hier soll die Möglichkeit untersucht werden, „die Merseburger Straße zwischen Karl-Heine- und Aurelienstraße in Anlehnung an das Sofortmaßnahmenprogramm Klimaschutz, Maßnahme 22, als Geschäfts- und Freisitzstraße (Flaniermeile) zu entwickeln. Dabei wird im Zusammenhang mit der Erstellung des Fußverkehrsentwicklungsplans untersucht, ob und wo die darin zu definierenden Kriterien für Flaniermeilen pilothaft in der Merseburger Straße zur Anwendung kommen können. Den historischen städtebaulichen Elementen (insbesondere Gehwegverbreiterung sowie Hochbeeten mit kugelförmigen Straßenleuchten) und ihrem Erhalt ist in der Merseburger Straße besondere Beachtung zu schenken.“
Wer die Straße kennt, der weiß, dass dieser Abschnitt der Merseburger Straße schon in den 1980er Jahren als „Boulevard des Westens“ gestaltet werden sollte – mit Pflanzkübeln und besonderen Straßenleuchten, die zum Flanieren einladen sollten.
Geprüft werden soll auch „die Möglichkeit, den Bereich zwischen Enders- und Karl-Heine-Straße ganz oder in Teilen als Fahrradstraße oder ganze Quartiersabschnitte als Fahrradzone auszuweisen. Hierbei wird auch der Abschnitt der Merseburger Straße zwischen Aurelienstraße und Endersstraße als Bestandteil einer innergemeindlichen Radverkehrsverbindung im Hauptnetz Rad auf seine Eignung geprüft. Die Möglichkeit zum sicheren Abstellen von Fahr- und Lastenrädern sollte durch die Installation von Fahrradanlehnbügeln erhöht werden.“
Und überarbeitet werden soll die „als Fußgängerzone ausgewiesenen Merseburger Straße zwischen Enders- und Lützner Straße zur Verbesserung der Aufenthaltsqualität sowie zur Konfliktminimierung zwischen Fuß- und Radverkehr, hier insbesondere an den beiden Ein- und Ausgängen der Fußgängerzone wird geprüft. Es wird zudem die Möglichkeit der Einrichtung eines Mobilpunktes als kleinere Form einer Mobilitätsstation aus E-Ladestation und Carsharing geprüft.“
Womit dann in den nächsten Jahren konkret werden dürfte, ob und wie das Verkehrsdezernat diesen Abschnitt der Merseburger Straße umgestalten kann.
Anwohnende, Gewerbetreibende und Stadtteilakteure in die Untersuchung sollen einbezogen werden und der OBM am Ende einen Umsetzungsvorschlag unterbreiten.
Da dann für eine eventuelle Umgestaltung die Entscheidungen 2024 fallen müssten, damit im Doppelhaushalt 2025/2026 gebaut werden kann, hätte die Verwaltung knapp anderthalb Jahre Zeit, hier eine zustimmungsfähige Vision zu entwickeln.
Zumindest, wenn der Stadtrat in der Ratsversammlung am 15. Juni zustimmt. Was aber eigentlich zu erwarten ist. Denn der Umbau des Leipziger Straßenraums für eine umweltgerechte Mobilität und mehr Aufenthaltsqualität ist überfällig. Es ist längst Zeit für die ersten wirklich erlebbaren Pilotprojekte.
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