Eigentlich fing mit der Idee einer großen Markthalle am Wilhelm-Leuschner-Platz alles an. Dieser Vorschlag aus der Grünen-Fraktion war der Zündfunke für die Wiederbelebung eines alten Stadtquartiers, in dem einst Markthalle und Panorama die Dominanten waren. Doch seitdem hat Leipzigs Verwaltungsspitze immer mehr eigene Projekte in die Bebauungspläne für das Quartier gestopft. Am Dienstag meldete sie nun, auch Musikschule und Volkshochschule hier hineinstopfen zu wollen.

Die Stadt Leipzig möchte auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz einen Neubau als Bildungscampus für die Musikschule „Johann Sebastian Bach“ und die Volkshochschule Leipzig errichten. So wurde es in der Dienstberatung des Oberbürgermeisters beschlossen. Beide Bildungseinrichtungen bieten ein generationsübergreifendes Angebot zum lebenslangen Lernen und dadurch eine Vielzahl an Synergiemöglichkeiten. Zurzeit leiden sie unter den baulichen Beschränkungen in ihren Gebäuden.

„Eine einzigartige Gelegenheit“

Weshalb beide Gebäude erweitert und saniert werden müssen. Was sehr teuer werden soll. So jedenfalls argumentiert die Vorlage der Verwaltung. Besonders teuer werden dabei die Mieten für eventuelle Ausweichquartiere. Erst sie sorgen dafür, dass eine Sanierung der beiden repräsentativen Altgebäude deutlich teurer wird als ein Komplettneubau beider Einrichtungen irgendwo am Wilhelm-Leuschner-Platz.

„Die Errichtung eines gemeinsamen Campus von Volkshochschule und Musikschule in zentraler Lage unter Einbezug einer Vielzahl weiterer Akteure in unmittelbarer Nähe ist eine einzigartige Gelegenheit zur Umsetzung einer modernen Bildungslandschaft wie sie in anderen Ländern Europas in ähnlicher Art und Weise bereits erfolgreich gelebt wird. Im Kontext des neu entstehenden Naturkundemuseums und der erfolgreich arbeitenden Stadtbibliothek realisiert sich in besonderer Weise: ,Bildung für alle. Von Anfang an‘“, wirbt Kulturbürgermeisterin Dr. Skadi Jennicke für dieses Vorhaben der Stadt.

Sanierungen und Erweiterungen sind dringend nötig

Jeweils für die Bestandsgebäude von Musikschule (Petersstraße 43) und Volkshochschule (Löhrstraße 3-7) beauftragte Gutachten haben ergeben, dass deren weitere Sanierung nicht alle technischen und räumlichen Bedarfe der Einrichtungen erfüllen könnte: An beiden Standorten müssten Brandschutz und Teile der Bausubstanz und der Gebäudetechnik erneuert werden. Dennoch bliebe die räumliche Kapazität zu knapp, um das Angebot der Nachfrage entsprechend zu erweitern, geht die Stadt auf das Grundproblem ein: Mit der wachsenden Stadtbevölkerung platzen auch diese beiden Einrichtungen so langsam aus allen Nähten.

Eine Studie aus dem Jahr 2020 habe zudem ergeben, dass die Sanierung deutlich teurer werden würde als ein gemeinsamer Neubau, meint die Verwaltung. Geplant ist nun eine Bruttogeschossfläche von 25.000 Quadratmetern für beide Einrichtungen zusammen. Sie würden sich unter anderem Foyer, Schließfächer, Garderobe, Bibliothek, Sanitäreinrichtungen, Archiv und Lager sowie einen großen Saal und ein Café teilen. Geprüft wird auch das städtebauliche und architektonische Zusammenspiel zwischen dem neuen Bildungsbau und einer geplanten Markthalle.

„Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, auch in schwieriger gewordenen Zeiten, unser antizyklisches Handeln fortzusetzen und die Investitionen in Bildung nochmals zu erhöhen. Wir schaffen einen neuen Bildungsleuchtturm für unsere Stadt“, meint Finanzbürgermeister Torsten Bonew zur gemeinsamen Vorlage mit dem Kulturdezernat.

Der Synergieeffekt eines gemeinsamen Neubaus auf dem östlichen Teil des Wilhelm-Leuschner-Platzes würde sich durch dessen zentrale Lage in der Nähe weiterer städtischer Bildungseinrichtungen wie der Stadtbibliothek und dem geplanten Naturkundemuseum sowie anderer dort entstehender Institutionen des Freistaates und der Universität Leipzig noch erhöhen. Entstehen soll ein lebendiger Ort zum lebenslangen Lernen und Musizieren, der für große Teile der Stadtgesellschaft vielfältige Möglichkeiten zu Begegnung und Austausch bietet.

Ein außergewöhnliches Bildungsquartier

Baubürgermeister Thomas Dienberg meint sogar: „In diesem Jahrzehnt wird auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz ein außergewöhnliches Quartier entstehen, das aus national bedeutenden Forschungseinrichtungen, aus städtischen Bildungsbauten, aus einer Markthalle mit Gastronomie und vielen Wohnungen in den Obergeschossen besteht. In Summe ein lebendiges Viertel als Link zwischen Innenstadt und Südvorstadt, das hohen Ansprüchen an Baukultur und nachhaltigem Bauen entsprechen wird.“

In der kommunalen Bildungslandschaft nehmen Musik- und Volkshochschule zentrale Rollen ein. Im Jahr 2019 entsprach ihre gemeinsame Bildungs-Versorgungsleistung dem Unterrichtsvolumen von ca. sieben dreizügigen Gymnasien. Mit etwa 50.000 Teilnehmern gestalteten annähernd gleich viele Personen ihren lebenslangen Bildungsprozess wie die gesamte Leipziger Schülerschaft aus Grundschulen, Oberschulen und Gymnasien zusammengerechnet.

Stimmt der Stadtrat dem Vorhaben per Grundsatzbeschluss zu, muss im nächsten Schritt ein Planungsbeschluss erarbeitet werden, der bis Ende des zweiten Quartals 2023 vorliegen soll.

Aber mit einigem Recht befürchtet nun die Grünen-Fraktion, dass durch dieses Projekt die Idee einer Markthalle auf dem Grundstück der historischen Markthalle endgültig verabschiedet werden soll.

Wo bleibt da noch Platz für die Markthalle?

„Seit mittlerweile 14 Jahren gibt es mehrfach erneuerte Beschlüsse des Rats und ein positives Gutachten zur Errichtung einer Markthalle auf dem Leuschnerplatz, ohne dass ein Planungsbeschluss in Sicht ist. Vor diesem Hintergrund ist es mehr als irritierend, dass die Verwaltung nun mit einem Grundsatzbeschluss für einen Bildungscampus vorprescht“, kommentiert Dr. Tobias Peter, Grünen-Fraktionsvorsitzender und stadtentwicklungspolitischer Sprecher, diesen überraschenden Vorstoß der Stadtverwaltung.

Bereits vor zwei Jahren habe die Fraktion von Bündnis 90 / Die Grünen deutlich gemacht, dass eine Unterbringung von Volkshochschule und Musikhochschule als mögliche Optionen für den Leuschnerplatz dringend mit dem Stadtrat diskutiert werden müssten. Sie wären für die Grüne-Fraktion allerdings nur im Zusammenspiel mit einer Markthalle vorstellbar.

„Indem der Finanzbürgermeister offenbar mit klarem Segen des Oberbürgermeisters nun zum wiederholten Male die Markthalle infrage stellt, missachtet er die klare Beschlusslage des Stadtrates“, kritisiert Peter.

„Wir erwarten, dass die Verwaltung mit ebenso großer Energie wie für den Bildungscampus auch am Betreiberkonzept für die vom Stadtrat beschlossene und von der Mehrheit der Leipzigerinnen und Leipziger gewünschten Markthalle arbeitet. Grünes Licht für einen Bildungscampus ist für meine Fraktion nur vorstellbar, wenn damit auch die Planungen für die Markthalle verbindlich auf den Weg gebracht werden!“

Bereits 2008 beschloss der Stadtrat erstmals die Schaffung von Baurecht zur Errichtung einer Markthalle auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Im März 2021 wurde dann die vertiefende Tragfähigkeitsanalyse für den Neubau einer Markthalle am Wilhelm-Leuschner-Platz fertiggestellt.

Auch die CDU-Fraktion hält an Markthalle auf dem Leuschnerplatz fest

Auch die CDU-Fraktion zeigte sich überrascht, dass das vor Jahren beschlossene Projekt „Markthalle auf dem Leuschnerplatz” jetzt offenbar von der Verwaltungsspitze infrage gestellt wird.

„Die CDU-Fraktion steht zur Markthalle auf dem Leuschnerplatz. Alle Diskussionen dazu wurden vor langer Zeit geführt und müssen nicht wiederholt werden“, sagt Fraktionsvorsitzender Frank Tornau.

„Der Ratsbeschluss gilt und ist umzusetzen. Es ist eine grobe Missachtung des Stadtrates, wenn die Umsetzung von Ratsbeschlüssen durch die zuständigen Baubürgermeister seit Jahren verschleppt wird.”

Den Vorschlag der Verwaltung zum gemeinsamen Bildungscampus aus Volkshochschule und Musikschule will die CDU-Fraktion jetzt zumindest intensiv diskutieren. Die Kernidee, die Entwicklung eines lebendigen Quartiers, habe heute genauso Vorrang wie früher. Wohnen, Arbeiten und Leben. Letztlich werde aber die Erhaltung der finanziellen Leistungsfähigkeit der Stadt im Mittelpunkt stehen.

„Wir haben Sorge, dass die derzeit grassierende Investitionshysterie die städtischen Finanzen überfordert“, mahnt Tornau.

„Jedes noch so schön klingende Projekt muss zuallererst daraufhin überprüft werden, ob wir uns das überhaupt leisten können, so wie jede Familie das beim Haushaltsgeld auch tut. Niedrige Kreditzinsen sind schön, aber wir müssen uns auch die Tilgung leisten können.“

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