Noch heute ist zu sehen, wie die Bewohner des Leipziger Westens vor 40 Jahren davon träumten, einen eigenen Flanierboulevard zu bekommen. Damals kam noch niemand auf die Idee, die Karl-Heine-Straße dafür in Betracht zu ziehen. Dafür sollte die Merseburger südlich der Lützner Straße zum Stadtteilboulevard werden, mit Hochbeeten und Kugellampen und vielen kleinen Geschäften. Daran wird jetzt angeknüpft, entschied der Stadtrat am 15. Juni.
Ein Anliegen, das auch Leipzigs Stadtverwaltung teilt. Das Verkehrs- und Tiefbauamt hatte einen sehr zustimmenden Verwaltungsstandpunkt formuliert. Denn das Anliegen passt sowohl in die Flaniermeilen-Strategie der Stadt als auch in die Mobilitätsstrategie.
Hier könnte auch aus Sicht der Stadt ein echtes Pilotprojekt entstehen, wie eine Anliegerstraße mitten in einem Wohnquartier aussehen kann, die sowohl den umweltfreundlichen Verkehrsarten Raum bietet als auch echte Aufenthaltsqualität aufweist.
Den Gedanken mit der Ausweisung als Fahrradstraße nahm der Stadtbezirksbeirat Altwest nur zu gern auf. Und auch, dass man hier erstmals auch ein ganzes Fahrradquartier prüfen könnte. Denn die vielen Autos, die auf dem Abschnitt der Merseburger Straße zwischen Lützner Straße und Karl-Heine-Straße stehen, sind ja keine Kurzzeitparker, sondern die Autos der Bewohner.
Normalerweise ist hier wenig Verkehr, sodass man – wie beim letzten OBM-Rundgang in dem Viertel – hier tatsächlich das Erlebnis einer Flaniermeile haben könnte – wenn denn nur einiges am Straßenraum verändert werden könnte.
Und dass es dabei auch um eine Stärkung der lokalen Wirtschaft geht, betonte Stadtbezirksbeirat Tobias Möller in seiner Einbringungsrede für den Antrag des SBB Altwest natürlich auch. Das vergisst man oft, dass kleinteiliger Handel und kleines Gewerbe direkt davon profitieren, wenn die Läden fußläufig und mit dem Fahrrad gut erreichbar sind.
Die Erfahrung hat Leipzig ja selbst an den großen Magistralen gemacht: Dort, wo Radwege angelegt wurden und die Fußwege den Fußgängern vorbehalten sind, erhöht sich die Läuferfrequenz in den Ladengeschäften deutlich. Genau das könnte auf dem vom SBB beantragten Abschnitt der Merseburger genauso geschehen.
Und eigentlich sogar darüber hinaus, wie dann die Grünen-Fraktion in einem eigenen Antrag formulierte. Denn die Kompetenz des SBB Altwest endet an der Karl-Heine-Straße. Südlich davon grenzt Plagwitz an, das zum Stadtbezirk Südwest gehört.
Und in diesem Teil der Merseburger Straße, der ja nicht nur bis zum Karl-Heine-Kanal führt, sondern weiter bis zur Zschocherschen Straße, könnte die Umgestaltung zur Flaniermeile ebenso geprüft werden, beantragte die Grünen-Fraktion. Auch wenn Linke-Stadtrat Volker Külow anmerkte, dass es hier eigentlich nur drei Ladengeschäfte gibt.
Auch der Verwaltung ging das zu weit. Aber Grünen-Stadträtin Kristina Weyh wies zu Recht darauf hin, dass man die Chance nicht vorübergehen lassen dürfe, auch diesen Straßenabschnitt mitzuprüfen. Auch wenn es möglicherweise keine Fortsetzung der Flaniermeile wird.
Aber es würde ja durchaus Sinn ergeben, wenn der nördlich gelegene Teil der Merseburger zur Fahrradstraße wird, hier gleich weiterzumachen und auch die anderen Mobilitätselemente zu prüfen, die eigentlich längst schon Standard beim Leipziger Straßenbau sein sollten – Fahrradbügel, E-Auto-Ladestationen, Carsharingplätze, mehr Straßenbegleitgrün usw.
Man merkte schon, dass sich ein Großteil des Stadtrates seit den Grundsatzbeschlüssen zur Mobilität 2018 und zum Klimanotstand 2019 auf den Weg gemacht hat, Mobilität in Leipzig anders zu denken und die Stadt klimaverträglicher zu machen. Nur zwei Fraktionen verweigern sich dem weiterhin. Sie stimmten am 15. Mai geschlossen und gemeinsam gegen beide Vorlagen.
Und zwar sowohl gegen den neugefassten Antrag des Stadtbezirksbeirates Altwest, der auch darauf hofft, dass erste niedrigschwellige Umbauten im Abschnitt Lützner Straße bis Karl-Heine-Staße im Doppelhaushalt 2023/2024 finanziert werden können. Der bekam an diesem Mittwoch 38:18 Stimmen.
AfD und CDU stimmten aber auch gegen den Prüfauftrag der Grünen, auch den südlichen Abschnitt der Merseburger unter die Lupe zu nehmen. Der bekam trotzdem 38:17 Stimmen, sodass die Stadt jetzt an die Arbeit gehen sollte und 2023 dem Stadtrat mitteilen kann, was im beantragten Abschnitt der Merseburger Straße mit den vorhandenen Mitteln schon in den nächsten beiden Jahren geändert werden kann, sodass es wirklich eine Straße mit Aufenthaltsqualität wird.
Keine Kommentare bisher