Wer die Welt verändern will, nimmt sich Großes vor und beginnt am besten bei sich selbst. Angesichts der eher bei den letzten Wahlergebnissen kleiner gewordenen Linkspartei ist der Slogan des 8. Bundesparteitages in Erfurt „Weltverändern“ in den kommenden Tagen wohl beides: Aufruf und Hashtag nach außen ebenso, wie das Wissen um den eigenen Status. Den einer Partei, die um ihr Überleben kämpfen und dabei klarer als bisher auftreten muss. Und um Positionen in den Fragen soziale Ökologie, waffenbefreiter Frieden und Kapitalismuskritik ringt. Und neue Köpfe wählen möchte.
„Die Rede von der Wissler war gut“. Eine der 575 Delegierten steht gegen 15 Uhr am Rande des Gästeblocks und scheint sich sicher, dass die bisherige Parteivorsitzende am heutigen 24. Juni 2022 vor allem eines in ihrer 30-minütigen Ansprache geschafft hat: die Partei beim ersten Präsenzparteitag nach nunmehr zwei Jahren wieder ein wenig mehr zusammenzuführen, auf gemeinsame Positionen einzustimmen.
Und ganz nebenbei natürlich auch ihre morgige Kandidatur für eine Fortsetzung ihrer gerade einmal 14-monatigen Parteiführung bei der Linken überzeugend zu untermauern.
Überzeugende Rede einer Parteivorsitzenden
Wissler, neben der ihr kaum anzulastende, kuriosen, innerparteilichen Affäre ihres Ex-Lebenspartners, eher gebeutelt von den schlechten Wahlergebnissen zuletzt in Nordrhein-Westfalen (2 Prozent) und dem knappen Einzug in den Bundestag 2021, fand überzeugende Worte, als sie in ihrer rund 30-minütigen Rede heute wenig überraschend eben das attestierte, was alle in der Erfurter Messehalle spüren: Es geht ums Überleben dieser Partei, die statt interner Streitigkeiten und Mitgliederschwund nach Geschlossenheit sucht. Und finden muss.
Wer nicht kämpft, hat schon verloren – so Janine Wissler in ihrer Rede, welche bereits vor Beginn lautstark begrüßt wurde – doch man habe in den letzten der 15 gemeinsamen Jahre der Linkspartei ein paar Mal zu oft verloren. Nur mit mehr Einigkeit statt interner Auseinandersetzungen sei das zu ändern.
Der Koalition in Berlin stellte Wissler erwartbar kein gutes Zeugnis aus, wenn sie da für die Linke „viel Platz für linke Politik“ sehe. Derzeit erlebe man doch, dass viele unter dem Hashtag #ichbinarmutsbetroffen darüber berichteten, wie es sich anfühlt, arm in einem reichen Land zu sein. Wie viel Scham und auch Wut über die Zustände es gebe, unter anderem den eigenen Kindern nichts bieten zu können.
Auch „wenn Rentner die Wohnung nicht mehr heizen, weil sie Angst vor der Rechnung haben“, seien das Zustände, die die Linke niemals dulden könne.
Die Aufgabe der Linken sei es, diesen zuzuhören und dafür zu sorgen, dass „sie endlich überall gehört werden“. Die Ampel hingegen habe die Menschen vergessen, die sich steigende Mieten und Preise schon jetzt nicht mehr leisten könnten. So sei Hartz IV sofort um 200 Euro im Monat pro Erwachsenen zu erhöhen, nicht, wie geschehen, um 3 Euro und für Kinder 2 Euro, so Wissler.
Für den Herbst 2022 sagte Janine Wissler auch mit Blick auf steigende Renditen von Konzernen bei gleichzeitiger Inflation von bis zu acht Prozent „harte Verteilungskämpfe“ voraus, welche von links mit eigenen Offensiven begleitet werden müssten.
Zu einem weiteren großen Thema stellte Wissler fest, dass die gestiegenen Rüstungsausgaben der NATO nicht zu eben jener gewollten Abschreckung geführt hätten, den russischen Angriff auf die Ukraine zu unterbinden. Stattdessen sei es an der Zeit, die atomare Abrüstung voranzutreiben. Unter dem Jubel der Delegierten lobte sie, dass neben der Linksfraktion im Bund jene Bundesländer im Bundesrat gegen das 100 Milliarden-Paket für die Bundeswehr gestimmt hätten, in denen die Linke regiert oder mitregiert.
Die Rede von Janine Wissler am 24. Juni 2022 in Erfurt
Die Generaldebatte oder was ist eigentlich linke Friedenspolitik?
Nicht wenige Redner/-innen in der folgenden Generaldebatte stellten fest, dass das Eintreten für bessere Löhne und soziale Lösungen zunehmend als „Lifestyle“ diffamiert würden. Etwas, was man sich leisten können müsse, ein Zubrot offenbar.
Geprägt wurde dieser Vorwurf interessanterweise – über rechte Ideologen hinaus – sogar aus der eigenen Partei heraus, von jener Delegierten, die heute krankheitsbedingt absagte: Sahra Wagenknecht wird auf diesem Richtungsparteitag fehlen. Für nicht wenige in der Erfurter Messehalle ein gutes Omen. Zuletzt wurde Wagenknechts Position durch das schlechte Abschneiden in NRW innerhalb der Linken erneut geschwächt.
Christina Zacharias (BaWü) fand dann die vielleicht treffendste Antwort auf die Frage selbst mit einer Gegenfrage: „Ist Schichtarbeit und Antifaschismus jetzt auf einmal ‚Lifestyle‘“? Schaut man in weite Teile jener eher ländlichen Wahlgebiete, in denen die Linke bei den letzten Wahlen am meisten verlor, lautet die Antwort wohl schlicht nein.
Frieden schaffen ohne Waffen – so könnte man das zweite Oberthema umschreiben, welches die Redebeiträge in der heutigen Generaldebatte antrieb. Vor allem wohl im Angesicht des russischen Angriffes auf die Ukraine standen oft Haltungen im Raum, welche darauf verwiesen, mit Waffen sei nun mal nicht mehr, sondern eher weniger Frieden möglich. Jürgen Creutzmann (BaWü) forderte deshalb: „Russland raus aus der Ukraine und die BRD raus aus der NATO.“
Desiree Becker (Hessen) fasste diese Grundpositionen dann noch mal zu einem Beinahe-Konsens zusammen, dass es eben mit mehr Waffen auch nicht mehr Frieden gäbe.
Für wenigstens Eine im Raum war das dann deutlich zu wenig. Sophia, eine ukrainestämmige Delegierte, bat nach dem ersten Teil der Generaldebatte um die Möglichkeit einer persönlichen Erklärung. Sie fände es „unerträglich“, was sie sich hier teils für Redebeiträge anhören musste, stellte sie die waffenfreie Friedensposition ihrer Partei infrage. „Frieden kommt nicht dann, wenn man Leute sterben lässt“, so die Linke mit Verweis auf jene, die in ihrem Herkunftsland leiden.
Das Interessante an diesem Teil der Debatte war dann wohl eher, dass es zu beiden Positionen ähnlich starken Applaus in der mit 51 Prozent Frauen und 49 Prozent Männern fast perfekt paritätisch besetzten Halle des Messezentrums Erfurt gab.
Teil 2 der Debatte & interne Beratungen zu Sexismus
Ab 20 Uhr wird die Linke ihre angesichts der weiteren fast 60 wartenden Redner/-innen die Generaldebatte fortsetzen. Bis dahin will man nun in Nebenräumen über toxische Männlichkeit und strukturellen Sexismus in der Linkspartei debattieren – ohne Presse.
Danach dürfte es noch einmal mehr auch um das Thema Mann und Frau beim Thema “Kampf gegen patriarchale Machtstrukturen, Gewalt und Sexismus”, aber auch den von der Partei gern als „ökologischen Sozialismus“ bezeichneten, eigenen Weg gegen die Klimakrise gehen.
Die Grundlinie zu dieser großen Vision hat in Teil 1 wohl Heinz Bierbaum, Präsident der Europäischen Linken gelegt, indem er bereits feststellte, dass ohne soziale und ökologische Fragen zusammenzudenken, keine Abwendung der Klimakatastrophe möglich ist.
Gestärkt dürfte mit dem heutigen Tag bereits jetzt vor allem Janine Wissler sein. Für den morgigen Wahlgang, bei welchem immerhin mit Julia Bonk, Carlo Eidmann, Sofia Fellinger, Wolfgang Kolonko, Christoph Mehrle, Sören Pellmann, Heidi Reichinnek, Martin Schirdewan, Rolf Schümer, Torsten Skott neben Wissler zehn weitere Linke für den Zweiervorsitz der Bundespartei antreten wollen, darf man jetzt schon mal eher die Aufmerksamkeit auf die sieben Männer lenken.
Wenn Wissler ihren Posten behält, steht nur noch die Frage, wer „der Mann an ihrer Seite“ im Bundesvorstand wird. Möglichst ostdeutsch und männlich.
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