Auch das gibt es: Eine durch und durch polemische Rede zu einer Verwaltungsvorlage samt Bürgermeister, der sich tapfer wehrt, zwei rätselhafte Bürgerveranstaltungen, über die es keine Informationen gibt, und ein trotzdem deutliches Ja auf den letzten Drücker. So passiert am 15. März in der Ratsversammlung

Dabei ging es um den Baubeschluss „Sanierung Shakespearestraße zwischen Karl-Liebknecht-Straße und Arthur-Hoffmann-Straße“, den die Verwaltung tatsächlich erst kurz vor der Ratsversammlung vorgelegt hatte. Auf den wirklich letzten Drücker, denn um die Gelder aus den Ausgleichsbeiträgen nutzen zu können, muss die Straße vor der Aufhebung des Sanierungsgebietes Innerer Süden angepackt werden.

Und da das Ende 2022 der Fall ist, muss im Sommer gebaut werden. Da ist keine Zeit mehr, die Planungen noch einmal umzustoßen, die nicht nur SPD-Stadtrat Christopher Zenker wie Planungen aus dem Jahr 1992 vorkamen und nicht wie welche aus dem Jahr 2022.

In seiner tatsächlich schön polemischen Rede spricht er eine ganze Latte von Themen an, die an dieser Straßenplanung nicht mehr zeitgemäß sind. Und die eben keine Rücksicht nehmen auf all die selbst in der Vorlage genannten strategischen Ziele der Stadt.

Weil die Rede trotzdem stimmt und zeigt, was an heutiger Straßenplanung falschläuft, werden wir die Rede hier auch noch komplett veröffentlichen.

Baubürgermeister Thomas Dienberg verwahrte sich zwar anschließend gegen die Kritik von Christopher Zenker, erklärte aber, dass das Problem eher nicht die Stadtverwaltung oder eben ihre Verkehrsplaner wären, sondern dass es deutsche Bauvorschriften sind, die – wie es Grünen-Stadtrat Tobias Peter benannte – „die autogerechte Stadt fröhliche Urständ feiern lässt“.

Denn auch die Grünen hatten ihre Bauchschmerzen mit der Vorlage, die viel zu spät in den Stadtrat kam und damit einen Entscheidungsdruck auslöste, der eigentlich eine Erpressung ist. Denn wenn die Straße jetzt nicht angepackt wird, verfallen die geplanten Gelder.

Und dazu kommt, dass die Grünen extra einen Prüfauftrag in den Stadtrat eingebracht hatten, mit dem die Stadt vor dem Baubeschluss klären sollte, inwiefern diese Straße verkehrsberuhigt, grün und mit mehr Aufenthaltsqualität gestaltet werden könnte. Aber die Ergebnisse der Prüfung bekam Tobias Peter nie zu sehen.

Und sehr kritisch merkte Grünen-Stadtrat Tim Elschner an, dass es zwei Veranstaltungen zur Bürgerbeteiligung gegeben haben soll, davon aber nirgendwo irgendein schriftliches Zeugnis zu finden ist. Was seine Zweifel bestärkt, ob es so eine Bürgerbeteiligung je gegeben hätte.

Und die Wahrheit ist wohl, dass er recht hat, dass es möglicherweise eine nichtöffentliche Anliegerbeteiligung gegeben hat, aber auf keinen Fall eine öffentliche Bürgerbeteiligung. Schon gar eine öffentliche Einladung zu einer solchen.

Da hilft Thomas Dienbergs Verteidigung seiner Planertruppe nicht wirklich: Bürgerbeteiligung findet in Leipzig ganz offensichtlich immer noch wahlweise und nach nicht vollziehbaren Kriterien statt. Sodass auch niemand sagen kann, ob sich die möglicherweise beteiligten Bürger tatsächlich alle für zwei Fahrspuren und möglichst viele Parkplätze ausgesprochen haben.

Oder ob hier einfach nach Schema F geplant wurde – mit den Einbauten jüngerer Standards, die 1992 noch nicht üblich waren, wie die Fahrradbügel und die zusätzlichen Straßenbäume. Ob der Parkdruck hier tatsächlich so hoch ist, wie die Vorlage suggeriert, bezweifelt Peter. Denn Erfahrungen aus Wien zeigen auch, dass sich auch das Mobilitätsverhalten von Anwohnern verändert, wenn ihre Straße sich in eine „coole Straße“ verwandelt, die Aufenthaltsqualität steigt und die Bedingungen für Radverkehr besser werden.

Und dann wurde es ganz theatralisch, als AfD-Stadtrat Udo Bütow sich am Pult zum Mahner der Sparsamkeit machte und die Stadtratsmehrheit regelrecht warnte, der Verwaltungsvorlage nicht zuzustimmen.

Wobei man ja denken könnte, dass er da ganz im Sinn der Autofahrer sprach. Aber die Abstimmung zeigte dann, dass auch dieser AfD-Auftritt nichts als Show war, denn es war ausgerechnet die AfD-Fraktion, die geschlossen gegen die Vorlage stimmte. Das, was Bütow am Pult erzählt hat, kann dafür nicht der Grund sein.

Die SPD enthielt sich dann größtenteils, obwohl OBM Burkhard Jung den Änderungsantrag der Grünen mit in die Vorlage der Verwaltung übernommen hat, sodass auch noch während des Baus geprüft werden kann, ob die Shakespearestraße zur Fahrradstraße werden kann, einige Sitzelemente möglich sind und eine Verkehrsberuhigung, sodass man sich tatsächlich etwas ungestörter auf der Straße aufhalten kann.

Die Baumaßnahme soll von 2022 bis Ende 2023 umgesetzt werden. Die Gesamtkosten einschließlich Baunebenkosten betragen 1.380.000 Euro. Daran hat auch der Prüfauftrag nichts geändert. Gebaut werden kann jetzt jedenfalls, denn 30 Stadträt/-innen stimmten der Vorlage zu, 13 dagegen, acht enthielten sich der Stimme. Eine Ablehnung der Vorlage hätte tatsächlich bedeutet, dass die Shakespearestraße in diesem Jahr nicht gebaut wird.

Die Debatte vom 15. März

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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