Darf man die Verwaltung kritisieren? Eigentlich eine seltsame Frage. Aber sie schwang am 15. März mit, als der Antrag der Grünen-Fraktion „Georg-Schwarz-Brücken im Planungsprozess weiter qualifizieren“ endlich zur Abstimmung in die Ratsversammlung kam. Und „endlich“ heißt: nach sechzehn Monaten.

Wie ein Dinosaurier aus der Urzeit

Und sechzehn Monate bedeuten auch in Leipzigs Verwaltung nicht unbedingt Stillstand. Erst recht, wenn große Planungen wie die zu den Georg-Schwarz-Brücken, die ab 2023 gebaut werden sollen, dem Druck einer veränderten Stadtpolitik ausgesetzt sind. Denn gerade, weil sich CDU-Stadträtin Sabine Heymann noch zu Wort meldete, nachdem Grünen-Stadträtin Kristina Weyh zum Grünen-Antrag Stellung genommen hatte, wurde noch einmal deutlich, was für einen langen Planungszeitraum dieses riesige Brückenbauwerk zwischen Leutzsch und Böhlitz-Ehrenberg hinter sich hat: satte 20 Jahre.

Weshalb es schon 2018, als es zur Beschlussfassung in den Stadtrat kam, wie ein Dinosaurier aus der Urzeit wirkte, viel zu groß, viel zu sehr auf breite Fahrbahnen für den Kfz-Verkehr fokussiert, als wäre die Brücke immer noch Teil des legendären Mittleren Ringes, den die Planer der Stadt nach eigener Aussage schon seit Jahren nicht mehr weiter verfolgen. Das könnte Leipzig sowieso nicht bezahlen.

Und es entspräche auch nicht mehr dem ebenfalls 2018 vom Stadtrat beschlossenen Mobilitätskonzept. Da hat Sabine Heymann durchaus recht, dass der damalige Stadtrat sich schon sehr intensiv mit dem Brückenprojekt beschäftigte – auch weil auf einmal Eile angesagt war, denn die Brücken sind überreif für die Erneuerung. Aber in der Diskussion wurde dann auch klar, dass die Verkehrsplaner nachjustieren mussten. Denn die wichtigsten neuen Weichenstellungen in der Stadtpolitik waren nicht wirklich berücksichtigt.

Klimanotstand, Mobilitätswende, Radverkehr

Dazu zählt neben der Mobilitätsstrategie auch der 2019 ausgerufene Klimanotstand, gefolgt vom 2019 beschlossenen neuen Nahverkehrsplan und dem Radverkehrsentwicklungsplan, dessen Beschluss 2022 noch aussteht.

Aber berechtigt wies Kristina Weyh darauf hin, dass die zuvor geplanten Radverkehrsanlagen auf der Brücke schlicht nicht den Erfordernissen der Leipziger Mobilitätsstrategie genügten.

Jedoch lobte sie die Stadtplaner auch, wenngleich wenn ihr Sabine Heymann eine gewisse, grundsätzliche Kritik an der Verwaltung unterstellte. Aber was das Verkehrs- und Tiefbauamt als Verwaltungsstandpunkt zum Grünen-Antrag geschrieben hatte, war eben nicht nur ein recht umfangreicher Bericht zur Geschichte der Planungen, sondern ging auch detailliert auf die Veränderungen ein, die inzwischen nachträglich in den Gesamtplan eingeflossen sind. Und das sind eine ganze Menge, auch wenn sie an der Dimension des Bauwerks nichts mehr änderten.

Der Knotenpunkt Georg-Schwarz-Straße/Leipziger Straße/Ludwig-Hupfeld-Straße nach der Überarbeitung. Visualisierung: Stadt Leipzig
Der Knotenpunkt Georg-Schwarz-Straße/Leipziger Straße/Ludwig-Hupfeld-Straße nach der Überarbeitung. Visualisierung: Stadt Leipzig

Aber immerhin sind seit 2018 drei Workshops durchgeführt worden, in denen alle 2018 kritisch aufgeworfenen Fragen noch einmal detailliert besprochen und großenteils eingearbeitet wurden.

Es ist also eine Fiktion, dass der alte Stadtrat 2018 schon die ganze Arbeit geleistet hätte. So wurden Knotenpunkte verändert, die Straßenbahnhaltestelle bekam eine andere Platzierung, es gibt zusätzliche Fahrradabstellmöglichkeiten und zusätzliche Baumreihen. Eine neue Ampelschaltung macht sogar die Verkleinerung der Knotenpunkte möglich, ohne dass es zu einem größeren Rückstau kommt.

Sicher kann man streiten, ob die Grundannahmen stimmen, die die Planer für die Dimension der Brücke angesetzt haben – etwa den Rückgang des Auto-Anteils am Leipziger Modal Split nur von 37 auf 30 Prozent. Aber recht hat Sabine Heymann natürlich mit dem Hinweis auf den Wirtschaftsverkehr, der hier rollt und unter anderem das große Gewerbegebiet an der Ludwig-Hupfeld-Straße erschließt.

Klimaanpassung auch bei Brückenbauten

Aber die Vorlage der Verwaltung bestätigt ja, dass die Grünen recht hatten, als sie ihren Antrag stellten. Die vorgestellten Änderungen zeigen, dass tatsächlich nachgearbeitet wurde und auch werden musste. Und mehr Baumpflanzungen bzw. Baumerhalt bedeuten nun einmal auch, dass etwas weniger Ersatzpflanzungen nötig werden.

Es bleiben trotzdem noch genug Ersatzpflanzungen übrig, die die Vorlage in einer großen Tabelle auflistet. Einige müssen nach Baufertigstellung auch wieder vor Ort geschaffen werden. Womit man bei den immer mehr uns Zentrum rückenden Themen Klimaanpassung und Artenerhalt wäre.

Was sich wie eine grundsätzliche Kritik am Verwaltungshandeln anhört, hat mit ganz grundsätzlichen Beschlüssen des Stadtrates zu tun.

Die gealterten Georg-Schwarz-Brücken. Foto: Ralf Julke
Die gealterten Georg-Schwarz-Brücken. Foto: Ralf Julke

Grüne üben Kritik am Planungsprozess

Und dass man die aufwendigen Vorplanungen nicht einfach komplett umstürzen kann, das hatte das Verkehrsdezernat schon 2018 deutlich gemacht. Was natürlich nichts daran ändern kann, dass (nicht nur) die Grünen die Dimension des 50-Millionen-Euro-Bauwerks nach wie vor kritisch sehen.

So hatten sie es im Dezember 2020 auch formuliert: „Den derzeitigen Planungsprozess zum überdimensionierten Georg-Schwarz-Brückenbau sehen wir als Fraktion weiter kritisch. Wir lehnen die aktuell vorliegende Planung ab. Deshalb schlagen wir nun vor, dass sich im weiteren Planungsprozess noch einmal mit dem Volumen des Brückenbaus in obiger vorgeschlagener Form auseinandergesetzt wird. Über den weiterführenden Planungsprozess ist der Stadtrat über die Fachausschüsse Stadtentwicklung/Bau und Umwelt/Ordnung sowie wie der Stadtbezirksbeirat Altwest und der Ortschaftsrat Böhlitz-Ehrenberg einzubeziehen. Die Trennwirkung zweier Ortsteile durch das Bauwerk gilt es zu minimieren und den vermehrten Bedarf an Grün abzubilden.“

Keine grundsätzliche Neuplanung

Und wer die Stellungnahme der Stadt liest, merkt, dass die Planer das tatsächlich versucht haben, ohne die grundsätzliche Planung noch einmal umzustürzen, was teuer geworden wäre. Das betonte das Verkehrsdezernat noch extra: „Bisher wurden dafür, inklusive aller Fachplanungen, 3.677.982 Euro aufgewendet. Es wird durch das Fachamt eingeschätzt, dass mindestens ca. 50 % der bisher finanzierten Planungskosten für eine grundlegende Überarbeitung zusätzlich finanziert werden müssen. Die Mehrkosten würden sich damit auf mindestens ca. 1.840.000 Euro belaufen.“

Eine grundsätzliche Neuplanung hätte noch einmal zwei Jahre Bauverzögerung bedeutet. Das wollten auch die Grünen nicht, weshalb Kristina Weyh auch nicht den Grünen-Antrag von 2020 zur Abstimmung stellte, sondern den Verwaltungsstandpunkt mit den aufgeführten Änderungen.

Da kann man jetzt streiten, ob es die Änderungen auch ohne den Grünen-Antrag gegeben hätte. Denn dieselben Forderungen waren auch in den drei Workshops noch einmal auf den Tisch gekommen.

Es verändert sich eben doch etwas, wenn Bürger und Ratsfraktionen wichtige Forderungen nicht einfach fallen lassen, nur weil Planer sich schwertun mit dem Umdenken. Aber seit 2018 gab es genug Stadtratsbeschlüsse, die die Klima-, Mobilitäts- und Energiewende in Leipzig zum Inhalt hatten. Leipzig muss sich ändern, wenn es zukunftstauglich bleiben möchte.

Und das bedeutet eben gerade für Verkehrsplanungen deutlich veränderte Perspektiven – weg vom dominierenden Kfz-Verkehr hin zur beschlossenen nachhaltigen Mobilität.

Der so zur Abstimmung gestellte Verwaltungsstandpunkt bekam dann auch die einhellige Zustimmung des Stadtrates. Der Bau der neuen Brücken kommt langsam in Sichtweite.

Die Debatte vom 15. März

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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