Das waren noch Zeiten, als sich Leipzigs Stadtväter nicht nur um ein neues Rathaus bemühten, sondern auch gleich noch um die Bedürfnisse ihrer Mitbürger. So entstanden nämlich parallel zum Neubau des Neuen Rathauses auch gleich noch zwei öffentliche Bedürfnisanstalten. Eine davon existiert noch. Aber es ist offensichtlich, dass die heutigen Stadtväter damit nichts anfangen können. Und so kümmert sich jetzt nicht nur das Jugendparlament um den Großen Bürgermeister. Auch die CDU findet den Vorstoß überfällig.
„Beim Bau des Rathauses wurden an der südlichen und westlichen Seite zwei öffentliche
Bedürfnisanstalten (Toiletten) errichtet. Die größere der beiden Anlagen zwischen dem Rathaus und der damaligen Leipziger Bank (heute Deutsche Bank) besteht noch – die kleinere, der ‚Kleine Bürgermeister‘, der sich wohl auf Höhe der Rudolphstraße befand, existiert heute nicht mehr.
Zahlreiche Bürgerinnen und Bürger passieren die plakatierte Absperrung der zugewachsenen Anlage am Wilhelm-Leuschner-Platz täglich und es ist ein einzigartiges Baudenkmal in der Stadt Leipzig“, beschreibt der Antrag aus dem Jugendparlament den aktuellen Zustand des Großen Bürgermeisters.
Eine Toilette, die keiner sehen soll
Den wirklich kaum einer sieht. Denn um den präsentablen Anblick von Neuem Rathaus und Bank nicht zu stören, wurde diese Toilettenanlage unterirdisch angelegt. Erreichbar ist sie nur über eine ziemlich schmale Treppe.
„Derzeit ist jedoch unklar, in welchem baulichen Zustand sich diese denkmalgeschützte Anlage befindet – deswegen ist es sinnvoll, ein Bestandsgutachten zu erstellen und eine Nutzung für dieses Ensemble zu finden“, finden die Jugendparlamentarier.
„In der Vergangenheit war auch ein Umbau zu einem Café o. Ä. im Gespräch. Das könnte die Aufenthaltsqualität des Promenadenrings an dieser Stelle erhöhen. Ein Erhalt sollte aus genannten Gründen unbedingt angestrebt werden.“
Was dann in den Beschlussvorschlag mündet: „Die Stadt Leipzig wird bis zum Ende des 3. Quartals 2023 beauftragt, für die 1905 errichtete öffentliche Hugo–Licht–Straße und den Martin–Luther–Ring ein Bestandsgutachten zu erstellen und mögliche zukünftige Nutzungen darzulegen. Ein Erhalt des baulichen Ensembles ist anzustreben.“
Der Antrag der CDU-Fraktion
Was diesmal die CDU-Fraktion als bedenkenswerten Vorschlag sah und ihrerseits einen Änderungsantrag schrieb. Denn schon seit Jahren ist eins ihrer Arbeitsthemen ja die Versorgung der Stadt mit öffentlichen Toilettenanlagen. Was es noch in DDR-Zeiten gab, ist praktisch komplett aus dem Stadtbild getilgt. Neuere Anlagen, die von Werbefirmen betrieben wurden, sind meist wieder verschwunden oder befinden sich nicht da, wo sie am dringendsten gebraucht werden.
Und so wäre aus Sicht der CDU-Fraktion eine Revitalisierung des Großen Bürgermeisters als Bedürfnisanstalt die wichtigste Option: „Als Nutzungsoption ist vorrangig die Reaktivierung als öffentliche Toilette zu prüfen“, lautet ihr Antrag jetzt.
Was die Fraktion dann auch begründet: „Da diese Anlage als öffentliche Bedürfnisanstalt gebaut und viele Jahrzehnte genutzt wurde, ist es naheliegend, sie wieder für diesen Zweck zu reaktivieren, sofern dies mit vertretbarem Aufwand möglich ist und die fehlende Barrierefreiheit in diesem Einzelfall akzeptabel ist.“
Bedenken – und noch immer kein Toilettenkonzept
Womit dann wohl auch das Hauptproblem dieser Anlage benannt ist: Sie ist schlicht nicht barrierefrei und hilft also vor allem jenen Bevölkerungsgruppen nicht, die sowieso schon Mobilitätseinschränkungen haben. Dazu kommt, dass der Zugang eng ist und für viele mögliche Nutzer sich auch das Sicherheitsproblem stellen wird.
Was den Bedarf angeht, hat die CDU-Fraktion durchaus wichtige Argumente: „Bekanntlich wird seit langem über einen Mangel an öffentlichen Toiletten geklagt, gleichzeitig lässt sich die Stadtverwaltung sehr viel Zeit mit ihrem seit Jahren angekündigten Toilettenkonzept. Eine lange genutzte unterirdische Toilette für einen anderen Zweck umzunutzen, dürfte hingegen mit einem unvertretbar hohen baulichen und hygienischen Aufwand verbunden sein.“
Und wohl auch mit Vorstellungen von Wirtschaftlichkeit kollidieren. Was sich 1905 noch rechnete, könnte 2023 zu einem finanziellen Debakel geraten.
Aber das erwähnte Toilettenkonzept, das der Stadtrat schon 2018 beauftragt hatte, liegt noch immer nicht vor, obwohl die Verwaltung es zuletzt fürs erste Halbjahr 2021 angekündigt hatte. Die Initiative dazu war aus dem Seniorenbeirat gekommen. Augenscheinlich fehlt es auch dazu wieder an Planern und den nötigen Geldern, das Konzept einfach mal fertigzustellen.
Der Große Bürgermeister dürfte darin eher keine Rolle spielen, denn wenn er nicht gerade mit Aufzug umgebaut wird, dürfte er für die meisten Senioren in Leipzig nicht nutzbar sein.
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