Bebauungspläne sind seit geraumer Zeit zu einem durchaus brisanten Diskussionsthema im Stadtrat geworden. Denn oft gehen die städtischen Planer noch immer von einer Stadtvorstellung aus, die eigentlich ins 20. Jahrhundert gehört. Und es ist absehbar, dass künftig noch viel heftiger über solche Bebauungspläne gestritten wird. Was am 20. Januar 2022 zum Stadtteilzentrum Leutzsch diskutiert wurde, war dagegen noch harmlos.

Da ging es um einen Bebauungsplan für das Stadtteilzentrum Leutzsch, das im Grunde genauso wie das Stadtteilzentrum Eutritzsch nicht das Zentrum des Stadtteils ist, sondern ein Kunstprodukt, geschaffen 2005 mit einem großen Einkaufszentrum, den Leutzsch Arkaden.Man kann zwar mit der Straßenbahn vorfahren. Aber im Innenbereich ist das bereits bestehende Stück dieses Stadtteilzentrums versiegelt, damit hier Autos parken können. Das ist Leipziger Einkaufskultur der Nuller-Jahre: kein Zentrum ohne großen Parkplatz.

Nun soll das noch verbliebene Stück an der Ecke Rückmarsdorfer und Junghanßstraße beplant und bebaut werden. Eine einsam stehende Villa steht schon da. Und die Verwaltungsvorlage hat zumindest ein paar kleine Ambitionen, hier tatsächlich so etwas Ähnliches wie ein Stadtteilzentrum entstehen zu lassen.

In der Vorlage heißt es dazu: „Bei dem Plangebiet handelt es sich um das Areal einer ehemaligen Metallgießerei. Zur Reaktivierung der Fläche wurde 2004 der vorhabenbezogene Bebauungsplan Nr. 230 ‚Stadtteilzentrum Leutzsch‘ aufgestellt. Hintergrund war die Schaffung der planungsrechtlichen Grundlage für die Errichtung eines Stadtteilzentrums mit großflächigem und nicht großflächigem Einzelhandel, Gastronomie, Dienstleistungseinrichtungen, Sport- und Freizeiteinrichtungen, Geschäfts- und Büronutzungen, Anlagen für Verwaltungen und soziale Zwecke und sonstige Gewerbebetriebe sowie der notwendigen Stellplätze und dem Ausbau der Straßenführung Ecke Bischofstraße/Junghanßstraße zu einem platzartigen Fußgängerbereich.“

Und zum neuen B-Plan: „Anlass für die Aufstellung des Bebauungsplanes Nr. 467 „Erweiterung Stadtteilzentrum Leutzsch“ ist daher die Absicht des Eigentümers, im Zuge der Sicherung und Aufwertung des Nahversorgerzentrums ein weiteres Wohn- und Geschäftshaus entlang der Rückmarsdorfer Straße / Junghanßstraße zu errichten. Mit Bezug auf das Thema der Stapelung soll im Erdgeschoss des Gebäudes ein bereits im Plangebiet bestehender Lebensmitteldiscounter neu verortet werden.

In den Obergeschossen werden Nutzungen im Bereich Büro, Ärzte- und Dienstleistungsbetrieb sowie Wohnen angestrebt. Für die geplante Aufstockung im Bestand der Leutzsch-Arkaden entlang der Georg-Schwarz-Straße sind Nutzungen im Bereich Kleinstwohnungen sowie Gastronomie-/Eventbereich beabsichtigt. Im Zuge dieser Ergänzungen werden zudem eine Neuordnung und Qualifizierung der Freiflächen sowie ergänzende ökologische Maßnahmen verfolgt.“

Wo bleibt das Grün im Innenbereich?

Was dann immer noch kein Stadtteilzentrum ergibt, jedenfalls nicht das, was man sich darunter vorstellen kann: einen Treffpunkt für alle Bürger des Stadtteils. Dazu fehlt unter anderem eine soziokulturelle Nutzung, wie Grünen-Stadtrat Dr. Tobias Peter bei der Einbringung des Änderungsantrags der Grünen feststellte.

Tobias Peter in der Formulierungs-Diskussion mit OBM Burkhard Jung. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ
Tobias Peter in der Formulierungs-Diskussion mit OBM Burkhard Jung. Foto: Livestream der Stadt Leipzig, Screenshot: LZ

Danach wurde ein bisschen gestritten. Scheinbar nur über Klarstellungen. Denn scheinbar lagen die Ambitionen von Bauverwaltung und Grünen so weit nicht auseinander. Unter anderem forderten die Grünen mehr unversiegelten Freiraum im Innenbereich. Wenn der Investor schon Stellplätze braucht, dann sollte der die doch bitteschön im Innenbereich stapeln. So formulierten sie es auch.

Aber natürlich hat Baubürgermeister Thomas Dienberg recht, wenn er sagt, dass das zu eng gedacht war. Stellplätze kann man auch in einer Tiefgarage stapeln. Und auch die Forderung der Grünen nach einer Vervollständigung der Blockrandbebauung fand er zu rigoros. Immerhin gibt es im Plangebiet die einzeln stehende Villa, die man nicht einfach rechts und links zubauen kann. Die sollte schon frei stehen bleiben.

Die Debatte zwischen Tobias Peter und Thomas Dienberg, in die sich dann – als es um die Abstimmung ging – auch OBM Burkhard Jung einschaltete, schien sich scheinbar nur um Formulierungen zu drehen. Brauchte es nur eine Protokollnotiz zur Verwaltungsvorlage? Sollten die Grünen ihren Antrag zurückziehen oder war der in seiner Rigorosität „heilbar“?

„Bei der Erweiterung des Stadtteilzentrums Leutzsch soll aus städtebaulicher Sicht unbedingt eine Blockranderschließung erfolgen, die sich in den Bestand einfügt. Diese wichtige städtebauliche Prämisse ist in der Zusammenfassung unbedingt zu benennen“, hatten die Grünen in ihrem Antrag formuliert. Und: „Darüber hinaus soll der B-Plan unbedingt eine Stapelung der notwendigen Stellplätze im Blockinnenbereich festlegen.“

An diesem „unbedingt“ entfachte sich die Diskussion.

Obwohl es eigentlich um ganz andere Dinge ging und Tobias Peter zu Recht darauf hinwies, dass viele bisherige Bebauungspläne darunter leiden, dass sie gerade soziale und Umweltaspekte sträflichst vernachlässigen. Was dann eben zu den fatalen Ergebnissen von Quartieren führt, in denen es allerecken an Grün fehlt, an Schatten und Aufenthaltsqualität im Innenhof. Dafür stehen die Autos auf versiegelter Fläche wie die Soldaten nebeneinander. Wohn- und Lebensqualität ist das nicht.

Der B-Plan von 2004 war Murks

„Als direkte Folge daraus soll die versiegelte Innenfläche entsiegelt und begrünt werden. So entsteht Aufenthaltsqualität im Stadtteilzentrum und es wird der notwendige Beitrag zum Klimaschutz geleistet“, formulierten die Grünen das Anliegen.

„Gerade im Rahmen der Erweiterung des Stadtteilzentrums muss das dadurch entstehende Potenzial genutzt werden. Bislang ist auf der vorhandenen großen Innenfläche des Stadtteilzentrums wenig bis keine Aufenthaltsqualität zu verzeichnen, die Fläche überhitzt im Sommer und steht den Leutzscherinnen und Leutzschern praktisch nicht zur Nutzung zur Verfügung. Die Einordnung der Parkflächen mittels Stapelung kann das Potenzial entfalten, im Stadtteilzentrum endlich Aufenthaltsqualität zu schaffen und gleichzeitig durch Entsieglung und Begrünung ein Beitrag zum Klimaschutz im verdichteten urbanen Raum geleistet werden.“

Auch so kann man sagen, dass die Stadt bei der Aufstellung des ersten B-Plans ziemlichen Murks gemacht hat. Das Stadtteilzentrum ist kein Stadtteilzentrum (genauso wenig wie die damals gebauten „Stadtteilzentren“ in Gohlis, Mockau, Reudnitz und eben Eutritzsch). Es sind Einkaufszentren. Und sie genügen nun einmal nur den im (Einkaufs-)Zentrenkonzept der Stadt definierten Ansprüchen an ein (Stadtteil-)Einkaufszentrum.

Gesellschaftliches Leben ist da keins zu finden. Außer Einkaufen kann man da nichts erleben.

Stadtteilzentren müssen anders gedacht werden

So gesehen war der Änderungsantrag der Grünen-Fraktion ein erster Vorstoß, diese alten Vorstellungen von „Stadtteilzentren“ aufzubrechen. Und da es keine alternative Definition dazu gibt, wie ein richtiges Stadtteilzentrum in Leipzig aussehen kann, bleibt eben nur die Veränderung einzelner Punkte, die erst einmal wenigstens die Aufenthaltsqualität erhöhen.

„Es muss im B-Planverfahren zudem darauf geachtet werden, dass die Querung des Geländes barrierefrei möglich ist“, formulierten die Grünen weiter, auch wenn sie das nicht in Einzelpunkte fassten.

„Die Bestandsbauten im Innenbereich sollen nur mittels Stapelung zu Wohnzwecken nötigenfalls erweiterbar sein und ggf. ist auch Förderung für bezahlbaren Wohnraum zu nutzen. Ebenso sollte eine Prüfung stattfinden, ob in der angrenzenden, wohl im Eigentum des Vorhabenträgers befindlichen Villa eine soziokulturelle Nutzung möglich gemacht werden kann, um das Stadtteilzentrum weiter aufzuwerten. Hierüber muss mit dem Eigentümer verhandelt werden.“

Die Formulierung des „unbedingt“ wurde dann auf Wunsch von OBM Burkhard Jung abgeschwächt in ein „insbesondere“, sodass die Stadt einen gewissen Verhandlungsspielraum mit dem Investor hat.

Und auch wenn am Ende fast der Eindruck entstand, als wäre der Grünen-Antrag durch die Protokollnotiz überflüssig geworden, sorgte das Abstimmungsergebnis für den Änderungsantrag, den Tobias Peter eben nicht zurückzog, dann doch für eine Überraschung: Er fand mit 34 zu 24 Stimmen eine klare Mehrheit und ergänzt jetzt die Vorlage des Stadtplanungsamtes, die dann noch einstimmig beschlossen wurde.

Was nur erst der Anfang sein kann. Denn der Grünen-Antrag hat damit auch den Klima- und Aufenthaltsaspekt deutlicher ins Spiel gebracht. Leipzig muss jetzt ziemlich schnell lernen, deutlich klima- und bürgerfreundlichere Stadtteilzentren zu bauen. Und bis sie ihren Namen wirklich verdienen, werden wohl noch Jahre ins Land gehen.

Die Debatte vom 20. Januar 2022 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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