Zynisch nennt es nicht nur Volker Holzendorf (Stadtbezirksbeirat Alt-West, Grรผne), dass sich an manchen Verkehrspunkten der Stadt erst etwas zum Guten fรผr Radfahrer/-innen wendet, wenn mindestens drei Unfรคlle geschehen sind. Dann wird, wie einst in der inneren Jahnallee, formaljuristisch ein โUnfallschwerpunktโ ausgemacht und die Stadt Leipzig ist zum Handeln gezwungen. Oft zu spรคt fรผr die Opfer. Doch manchmal wird gehandelt und es passiert der nรคchste tรถdliche Unfall. Ein solcher war heute Anlass fรผr eine Mahnwache am Cottaweg Ecke Jahnallee.
Auch heute wieder beschรคftigte die Jahnallee als langgestreckte Tangente Richtung Westen an einem weiteren seit mindestens einem Jahr heiร debattierten Punkt. Am 12.12.2021 wurde ein weiteres Geisterrad โGhostbikeโ auf der Hรถhe Cottaweg aufgestellt โ etwa 50 Meter von einem weiteren entfernt โ und eine Mahnwache fรผr einen 78-jรคhrigen Leipziger veranstaltet, welcher hier am Mittag des 28. Oktober 2021 von einem aus dem Cottaweg auf die Jahnallee einbiegenden 18-jรคhrigen Autofahrer gerammt wurde und danach verstarb.Was die Mahnwache und den Ort selbst so besonders macht, ist die erst im August 2020 erfolgte Verschlimmbesserung seitens der Stadt Leipzig. Alles, was verkehrstechnisch seither stadtauswรคrts ab Beginn der Zeppelinbrรผcke am Kleinmessegelรคnde vorbei bis Hรถhe Capastraรe und der dortigen Ampel geregelt ist, scheint einem verkorksten Denken anheimgefallen.
Einem, welches โAutoโ denkt, wรคhrend es vorrangig um geordnete Radwege geht.
Bereits direkt nach der Fertigstellung der neuen Verkehrsfรผhrungen vor allem fรผr Radfahrer/-innen im vergangenen Jahr hatte es massive Kritik fรผr die neuen Lรถsungen des Verkehrs- und Tiefbauamts der Stadt auf der vielbefahrene Radroute vor allem in stadtauswรคrtiger Richtung gehagelt.
Beginnend beim Einstieg in den neuen Radweg vor der Zeppelinbrรผcke, wo nicht wenige noch immer nach dem breiten Weg vor dem Stadion auf dem fortlaufenden Fuรweg landen, um dann von einem neu errichteten Kreuzungsgelรคnder am Cottaweg regelrecht abgefangen zu werden.
Das Ansinnen des Gelรคnders offenbar: das Fahren auf dem Fuรweg in eine Sackgasse zu fรผhren und so gleichzeitig unfalltrรคchtige Begegnungen mit Autofahrern zu verhindern. Doch dass auch der Weg รผber die Brรผcke entlang des neuen Radweges beileibe nicht viel sicherer ist, zeigte der tรถdliche Unfall vom Oktober 2021.
Besonders gefรคhrlich scheint nรคmlich diese Stelle fรผr Radfahrer/-innen noch immer zu sein, da Autos aus dem Cottaweg auf die Jahnallee hinausbiegen oder von dieser in den Cottaweg hinein. Beide Male schneidet der Weg den der Radler/-innen, welche hier von ihrer normal gegebenen Vorfahrt im Falle eines Zusammenpralls wenig haben.
Zugleich erlaubt es die gerade Strecke entlang der Jahnallee auch, hier per Pedes ein hohes Tempo zu erreichen, wรคhrend Autofahrer/-innen im Cottaweg sehr weit nach vorn an die Jahnallee heranfahren mรผssen, um die von links kommenden Radler/-innen gut zu sehen.
Dass dies alles auch der Stadt Leipzig klar ist, zeigt eines der wenigen โUnfallgefahrโ-Schilder der Stadt Leipzig an diesem Punkt der Jahnallee direkt vor dem Cottaweg. Und ein L-IZ.de-Leser hatte nach eigenen Ortsbegehungen sogar fast schon vorausgesagt, dass es hier bald ein weiteres โGeisterradโ fรผr eine weitere tรถdlich verunglรผckte Radlerin oder einen Radler geben wรผrde.
Nach dem Cottaweg ins Nirgendwo
Hat man diesen Punkt als Radler/-in erfolgreich, also unverletzt, passiert, landet man kurz darauf in einen einfach mitten auf der Straรe endenden Radweg. Und trifft hier, kurz vor dem Straรenbahnhof Angerbrรผcke auf der Hรถhe โTankbarโ, gleichzeitig auf nach rechts ausscherende Pkw und Busse, welche die sich erรถffnende dritte Spur ganz auรen nutzen wollen.
Der Standort des zweiten Ghostbikes ist an eben dieser Stelle, wo man angesichts der abenteuerlichen Wegefรผhrungen eigentlich nur jeden Tag als guten Tag zรคhlen kann, wenn nichts passiert. Denn intuitiv gehen hier Autofahrer/-innen davon aus, dass man auf dem Rad nach rechts ausweichen muss. Nicht wenige der Pkw-Lenker ziehen hier schnell nach rechts, fรผr manchen Radler zu schnell.
Will man sich jedoch, um links abzubiegen, in den flieรenden Verkehr einordnen, wird es eben deshalb brandgefรคhrlich. Verschรคrft wurde diese Situation ebenfalls durch die neuen Regelungen und das Kreuzungsgitter am Cottaweg โ viele nutzten zuvor genau hier den Fuรweg als Radler/-innen, um bereits vor der Ampelkreuzung dem dichten Verkehr an dieser Stelle aus dem Weg zu gehen.
Auch fรผr Stadtrat Volker Kรผlow (Linke) ist hier โganz offensichtlich zwischen Cottaweg und Capastraรe auf diesen 200 bis 250 Metern einer der markantesten Unfallschwerpunkte in Leipzig. Ich wรผsste keine Stelle, wo zwei Geisterrรคder so nah beieinanderstehen.โ
Wรคhrend Volker Kรผlow heute anlรคsslich der Mahnwache versprach, das Thema erneut mit in den Stadtrat zu nehmen, gab es vonseiten der Teilnehmer/-innen ausreichend klรผgere Lรถsungen fรผr die bislang kuriose Verkehrsfรผhrung. Darunter unter anderem eine durchgehende rechte โUmweltspurโ, welche sich Rad und Bus teilen. Natรผrlich mit einer durchgehenden Fรผhrung dieser bis an die Ampelkreuzung heran.
Und auch รผber die Zufรผhrung in diese, die Capastraรe hinter der โTankbarโ, mรผsste nochmals ganz neu nachgedacht werden. Denn auch diese Straรe wird lรคngst fรผr den (untersagten) Durchgangsverkehr nach Lindenau und als Parkplatz statt als reine Anliegerstraรe genutzt. Rechts abbiegende Autos jedenfalls sind hier so oder so zudem eine Gefahr fรผr Radler/-innen.
Dass etwas geschehen muss, war jedenfalls heute allen vor Ort versammelten und selbst vorbeikommenden Passanten klar. Vielleicht ist der neueste Unfall ja ausschlaggebend fรผr das Leipziger Verkehrs- und Tiefbauamt, sich noch einmal mit den Verkehrsfรผhrungen zu befassen? Zwei Ghostbikes mรผssten fรผrs erste ausreichen.
Im Gesprรคch vor Ort mit Volker Holzendorf und Volker Kรผlow
Video: LZ
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Es gibt 3 Kommentare
@cx: Danke (Capa ๐
Da scheint kein Wille zur tatsรคchlich Radverkehrskonzeption zu sein. Betonkรถpfe in der Verwaltung, wie รผblich. Schlimm, dass es wieder Tote geben muss.
Capastrasse. Robert Capa hieร der Fotograf.
Die Ecke Cottaweg/Jahnallee ist exemplarisch fรผr Verschlimmbesserung gefรคhrlicher aufgrund veralteter Denke geplanter Verkehrsfรผhrung durch aufgemalte Linien.
Es gibt eine ganze Reihe รคhnlicher Ecken in Leipzig, wo die Verkehrsplaner der 60er ihre Kurvenlineale fรผr optimierten PKW/LKW Verkehrsfluร angelegt haben. Durch diese Aufweitung der Kreuzungsbereiche ist es fรผr PKW LKW Fahrer fast unumgรคnglich, mit solchem Schwung und schlechter รbersicht einzuscheren oder abzubiegen, daร Radler und Fuรgรคnger unter die Rรคder kommen.
So etwas dann noch mit ein paar aufgemalten Linien garniert, die bei Nรคsse und Dunkelheit verschwinden, obendrein noch eine รผberflรผsige rote Abmarkierung die nicht mehr gilt, aber dem Autofahrer suggeriert, er habe den Radweg bereits passiertโฆ
Ohne echte bauliche Verรคnderung wird es eben nix.