Warum gab es diese Debatte nicht schon vor 20 Jahren? Der Gedanke drängte sich auf, als OBM Burkhard Jung am 8. Dezember die Beschlusspunkte 18.14 und 18.15 aufrief. Da ging es um die Änderung des Flächennutzungsplans und um den Bebauungsplan für das geplante „Wohnquartier Zur Alten Brauerei“. Aus der alten Sternburg-Brauerei soll jetzt ein Wohngebiet werden, mit einem Nahversorger und einer Kita. Aber wie ist es mit dem Klimaschutz: ein heißes Diskussionsthema.
Gerade in einer Ratsversammlung, in der immer noch zwei Fraktionen sitzen, die sich einfach nicht vorstellen können, wie ein Leben ohne Auto funktionieren kann. Denn das wurde der große Streitpunkt, nachdem Grüne und Linke gemeinsam noch einen Änderungsantrag eingereicht hatten zum Bebauungsplan.Der – da hatte dann in der Diskussion CDU-Stadträtin Sabine Heymann durchaus recht – eigentlich nicht nötig war. Denn die Stadt hat ja lauter Rahmenkonzepte zur Mobilität und zur energetischen Nutzung, die einfach nur angewendet werden müssen. Darum müsste sich eigentlich die Ratsversammlung nicht mehr kümmern.
Aber so weit ist Leipzig noch nicht. Und auch wenn in der Diskussion die Aussage fiel, man könne ein neues Wohngebiet im etwas dörflich gelegenen Lützschena-Stahmeln nicht mit dem Eutritzscher Freiladebahnhof in der Innenstadt vergleichen, zeugt das weniger von der Unvergleichkichkeit der Wohnlage als davon, dass gerade in vielen Leipziger Randlagen die Botschaft noch nicht gelebt wird – oft auch nicht gelebt werden kann –, dass die vom Klimaschutz diktierten Konzepte eben nicht nur für innerstädtische Lagen gelten, sondern für das gesamte Stadtgebiet.
Darauf wies Linke-Stadtrat Mathias Weber noch einmal explizit hin, nachdem insbesondere AfD-Stadtrat Udo Bütow wieder das Bild einer Bewohnerschaft gemalt hat, die ohne Auto nicht zur Arbeit käme.
Was ja dann zum Zirkelschluss führt: Wenn man nicht ohne Auto 80 Kilometer pendeln kann, ist ein Wohnen in Stadtrandlage ohne Auto undenkbar.
Was natürlich Folgen hat, wenn dieses Denken immer noch dominiert: Dann können sich junge Familien, die auf das Auto aus Klimabewusstsein verzichten, ein Wohnen am Stadtrand gar nicht leisten. Dann geht das immer so weiter: Fabriken werden auf der Grünen Wiese gebaut, wo man ohne Auto nicht hinkommt. Wohnquartiere brauchen große Parkplätze, weil man ohne Auto dort nicht wohnen kann. Das Wort Zwang fiel ja auch.
Aber augenscheinlich können sich Leute, die eine Stadt immer nur nach Autogesichtspunkten planen, nicht vorstellen, wie sie damit erst all jene unter Druck bringen, die gern ohne Automobil leben wollen.
Wo bleibt der 10-Minuten-Takt der Straßenbahn?
Wofür ja der Antrag von Grünen und Linken eine ganze Reihe Punkte auflistete. Der Fraktionsvorsitzende der Grünen, Tobias Peter, hatte es ja sogar kleinteilig aufgelistet.
In der Antragsbegründung liest man: „Mit dem Wohnquartier zur Alten Brauerei auf dem Gelände der ehemaligen Sternburg-Brauerei wird ein historisch und städtebaulich wertvolles Projekt realisiert. Obwohl gesamtstädtisch eher in Randlage, ist das Quartier unmittelbar an der Tram-Linie 11 sowie in der Nähe der S-Bahn-Station Lützschena (ca. 1 km) vergleichsweise gut an den ÖPNV angeschlossen. Angesichts dieser Ausgangssituation sollten die gesamtstädtischen Ziele des INSEK sowie der Mobilitätsstrategie auch bei diesem Projekt zum Tragen kommen.
Dementsprechend sollten die Richtwerte der Stellplatzsatzung für den Städtebaulichen Vertrags und den Satzungsbeschluss orientierend wirken. Indem die Verwaltung gemeinsam mit den Mobilitätsanbietern Bahn und LVB darauf hinwirkt, Infrastruktur und Angebot des ÖPNV vor Ort zu verbessern, kann auch hier eine Mobilität ohne PKW ermöglicht werden. Ergänzend kann bei der Konzeptvergabe des städtischen Grundstücks eine Nutzungsmischung vor Ort ermöglicht werden, die neben Einzelhandel auch weitere Angebote des täglichen Bedarfs vor Ort erfüllt und zudem zu einer Nutzungsmischung von Wohnen und Gewerbe beiträgt.
Mit dem bisher ausstehenden Energiekonzept sind ambitionierte Zielsetzungen zu verfolgen, die den grundsätzlichen Zielsetzungen der Klimaneutralität entsprechen. Dementsprechend ist eine Ausrichtung an den Beschlüssen, insbesondere des anstehenden kommunalen Wärmeplanes und des Energie- und Klimaschutzprogramms vorzunehmen.“
In den Antragspunkten wird es dann noch konkreter. In Punkt 4 heißt es zum Beispiel: „Der Oberbürgermeister soll prüfen, wie bis zur Fertigstellung des Quartiers ein Zehn-Minuten-Takt der Tram-Linie 11 sowie eine optimale Fuß- und Radwegverbindung der Alten Brauerei zum und ein hinreichendes Bike&Ride-Angebot am S-Bahnhof Lützschena herzustellen ist.“
Ein Blick auf die Karte zeigt, dass der Weg zur S-Bahn-Station Lützschena recht kurz ist. Mit einem gut ausgebauten Fuß-/Radweg kann man ihn bestens für den Weg zur Arbeit nutzen – Richtung Halle oder Richtung Leipzig. Die S3 fährt hier bislang noch im Halbstundentakt.
Taktverdichtung ist das große Thema. Auch bei der Straßenbahn. Die Linie 11 fährt noch immer im 20-Minuten-Takt, weil die Wendeschleife in Lützschena immer noch nicht gebaut ist. Das wurde ebenfalls angesprochen in der Debatte, in der man merkte, dass hier ein konservativer Teil der Ratsversammlung einfach nicht den Weg herausfindet aus einem Denken in Auto-Bedürfnissen.
Hört der Klimaschutz in den städtischen Randlagen auf?
Erinnern darf man an der Stelle auch an die teilweise heillosen Diskussionen um den Nahverkehrsplan im Jahr 2019, als einige Ortschaftsräte sehr wohl Druck machten, das ÖPNV-Angebot in ihren Ortsteilen endlich zu verbessern, damit die Einwohner endlich mal aufs Auto verzichten können.
Andere Ortschaftsräte lehnten selbst die Vorschläge ab, eine Straßenbahnlinie bis in ihren Ortsteil zu verlängern. Man wollte lieber weiter automobil bleiben.
Und Mathias Weber hat recht, wenn er darauf hinweist, dass es nicht nur in der Leipziger Innenstadt um Klimaschutz gehen kann. Die ganze Stadt muss sich ändern.
Ein Argument, das dann AfD-Stadtrat Bütow gleich mal umdrehte. Motto: Was hilft denn Klimaschutz an so einer Stelle im Großen und Ganzen? Doch gar nichts?
Deutlicher kann man gar nicht zeigen, warum Deutschland beim Klimaschutz nicht aus der Hüfte kommt: Viel zu viele beharren auf ihren alten Mustern und verhindern eben auch im Kleinen, dass es zum Beispiel endlich mal ein autoarmes Wohnquartier gibt.
Wobei der Antrag von Grünen und Linken nicht mal die so wild in die Diskussion geschmissene Halbierung der Stellplätze fordert, sondern nur eine Prüfung, wie die vom Stadtrat beschlossene Stellplatzsatzung auch im Wohnquartier Zur Alten Brauerei angewendet werden kann.
Denn wenn man nicht mal darüber nachdenkt – in diesem Fall mit dem Investor gemeinsam – wie man wirklich ein klimafreundlicheres Mobilitätskonzept auf die Beine stellt – auch mit mehr E-Ladestationen, Fahrradstellplätzen und Stellplätzen für Carsharing –, ändert sich gar nichts, bleibt alles in seinem alten Ohne-Auto-geht-es-nicht-Trott.
Müssen sich alle nach den Autobesitzern richten?
Wobei auch die Behauptung falsch ist, dass nur Familien dort hinziehen würden, die sowieso bei Porsche & Co. arbeiten und einen Dienstwagen gestellt bekommen. Wer kommt auf so etwas? Und warum spielen all die Familien keine Rolle in so einer Diskussion, die seit Jahren nach einer Wohnmöglichkeit suchen, wo sie auf das Auto problemlos verzichten können? Zum Beispiel, weil die Straßenbahn vorm Wohnquartier hält und auch alle 10 Minuten fährt?
Und wer dachte, dass eine Stadtratsmehrheit dann den Vorstoß der Auto-Fraktionen unterstützen würde, hier wieder im alten Autotrott weiterzuplanen, der irrte. Denn längst gibt es vier Faktionen im Stadtrat, die begriffen haben, dass man schöne Klimaschutz- und Mobilitätskonzepte nicht nur für die Innenstadt schreibt, sondern dass die ganze Stadt Leipzig zu einer Klimaschutzkommune werden muss – die Leipzig noch lange nicht ist. Diese Debatte um Autostellplätze machte es mehr als deutlich.
Und da Udo Bütow punktweise Abstimmung des Änderungsantrages beantragt hatte, wurde auch so abgestimmt:
Punkt 3a, ein nachhaltiges Mobilitätskonzept mit einer Begrenzung der Auto-Stellplätze und dafür mehr „Fahrradstellplätze, E-Ladesäulen und Car-Sharing-Stellplätze“ bekam 40 Stimmen, nur 26 Stadträt/-innen stimmten dagegen.
Punkt 3b, ein ambitioniertes Energiekonzept, das den „Beschlüssen des Klima-Sofortprogramms“ entspricht, bekam 45 Ja-Stimmen und 19 Nein-Stimmen.
Punkt 4, ein 10-Minuten-Takt für die Linie 11 und „ein hinreichendes Bike&Ride-Angebot am S-Bahnhof Lützschena“, bekam tatsächlich die volle Zustimmung des Stadtrates.
Und Punkt 5 – „Bei der Konzeptvergabe des städtischen Grundstücks an der Halleschen Straße in Erbbaurecht ist eine vertikale Nutzungsmischung mit Einzelhandel sowie weiteren Nutzungen vorzusehen und eine Quartiersgarage zu prüfen.“ – bekam dann wieder 44 Ja-Stimmen, 6-Nein-Stimmen und 15 Enthaltungen.
Die Gesamtvorlage zum Bebauungsplan bekam – genauso wie der Flächennutzungsplan – ebenfalls die volle Zustimmung des Stadtrates.
Was in der Summe heißt, dass das Anliegen der Fraktionen von Linken und Grünen, dieses Wohnquartier ein Stück weit klimafreundlicher zu machen, eine deutliche Mehrheit fand.
Auch wenn man das Gefühl nicht loswird, dass das eigentlich der Diskussionsstand von vor 20 Jahren ist und Leipzig schon viel weiter hätte sein können, wäre die Leipziger Klimapolitik über Jahre nicht so massiv ausgebremst worden.
Die Debatte vom 8. Dezember 2021 im Stadtrat
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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Keine Kommentare bisher
Moment mal.
Die CDU verweigert sich Ausnahmslos der Prüfung einer Quartiersgarage im Gebiet? Die CDU, die nach Quartiersgaragen in allen Stadtteilen schreit und der dann auch noch teilinformierte Anwohner auf den Leim gehen?
Völlig irre!