Noch fehlt die Stellungnahme der Stadt und auch die Unterschrift unter die Standortvereinbarung, die das Leipziger Liegenschaftsamt mit der GP Günter Papenburg AG abschließen will. Denn nach einer Wortmeldung der Stadt aus dem September akzeptiere die Papenburg AG den 300-Meter-Abstand des geplanten Kiesabbaus zur Wohnbebauung. Die Landesdirektion Sachsen hatte diese Abstandsregelung aber in ihrem Bescheid mit lauter Phrasen und Floskeln vom Tisch gewischt.
In der Raumordnerischen Beurteilung der Landesdirektion Sachsen zum geplanten Kiesabbau bei Rückmarsdorf liest sich das z. B. so: „Es lässt sich ableiten, dass ein Bedarf an Kies in der Planungsregion vorhanden ist, der durch das Abbauvolumen der gegenwärtig vorhandenen Kiesgruben in der Region nicht ausreichend gedeckt werden kann. Die Nichtberücksichtigung des Baufeldes Rückmarsdorf als Vorranggebiet Rohstoffabbau in der Fortschreibung des Regionalplanes kann nicht als abschließende Planung gewertet werden. In der Gesamtschau ist die Abweichung von den betrachteten Zielen unter raumordnerischen Gesichtspunkten vertretbar.“Da dürften selbst im Regionalen Planungsverband Westsachsen die Ohren klingeln. Ist ein beschlossener Regionalplan also einfach nur Auslegungssache in Sachsen? Ein Antrag auf Zielabweichung bei der Landesdirektion, und das ganze Papier ist Makulatur?
Womit die Landesdirektion ja mit einem Federstrich die demokratische Willensbildung im Planungsverband Westsachsen einfach vom Tisch gewischt hat. Gleich mal mit der dort ebenfalls niedergeschriebenen 300-Meter-Abstandsregel von Abbaufeldern zur nächsten Wohnbebauung, auf die auch die Stellung nehmenden Umweltverbände hingewiesen hatten.
Wenn eine Landesdirektion Regionalplanentwürfe „nicht sinnvoll“ findet
Aber schwerer wog aus Sicht der Landesdirektion dann das seltsame Argument der IHK zu Leipzig, bei anderen Kiestagebauen in der Region sei der Abstand auch nicht eingehalten worden.
Ein Argument, das durchaus auch die betroffenen Bürger frappieren dürfte: Weil anderswo die gemeinsam vereinbarten Regeln nicht eingehalten werden, sei das auch in Rückmarsdorf zu akzeptieren.
Aber der Ersteller der Beurteilung geht noch weiter: „Nach Abwägung aller betroffenen Belange ist festzustellen, dass die geplante Erweiterung des Kiessandtagebaus Rückmarsdorf bei Beachtung der o. g. Maßgaben mit den Erfordernissen der Raumordnung und der Regionalplanung, insbesondere mit Ziel 7.2 RPlWS 2008, in Übereinstimmung gebracht werden kann. Es erscheint zudem im Hinblick auf die im Regionalplanentwurf Leipzig-Westsachsen in der Aufstellung befindlichen Ziele und Grundsätze nicht sinnvoll zu sein, eine Nutzung zu verhindern, die nach der momentanen Planungssituation kurzfristig zulässig wäre.“
Das liest sich, als müsste sich jetzt gar der Regionale Planungsverband Westsachsen auch noch bei der Landesdirektion dafür rechtfertigen, dass er nicht jedes mögliche Kiesabbaufeld mit in den Regionalplan aufgenommen hat.
Ergebnis der Feststellung der Raumverträglichkeit für den Kiessandtagebau Rückmarsdorf am 1. September ist nun genau das, was so ein Bescheid eigentlich beenden sollte: ein rechtlich völlig undurchschaubarer Zustand. Was gilt denn nun?
Und was bedeutet es, wenn eine Landesdirektion einen Bescheid erteilt, der den grundlegenden Beschlüssen der demokratischen Gremien vor Ort derart eklatant widerspricht? Denn der Leipziger Stadtrat hat ja im März eindeutig beschlossen, dass die Stadt keine Flächen an Papenburg verkauft, die innerhalb der 300-Meter-Zone liegen.
Bürgerinitiative klagt jetzt
Am 4. November fand deshalb im „Fuchsbau“ in Rückmarsdorf eine Informationsveranstaltung der Bürgerinitiative Rückmarsdorf „Mit uns ist kein Kies zu machen!“ statt. Rund 100 Bürger waren gekommen, um sich noch einmal ausführlich den langen Weg der Bürgerinitiative im Kampf gegen den geplanten Kiesabbau und zum aktuellen Stand in den einzelnen Verfahren (Regionalplan, Raumordnungsverfahren, Zielabweichungsverfahren, Planfeststellungsverfahren) informieren zu lassen.
Es gab auch Informationen zur rechtlichen Situation. Und die beiden anwesenden Stadträte Christian Schulze (SPD) und Bert Sander (Bündnis 90 / Die Grünen) beantworteten die politischen Anwohnerfragen.
„Nach intensiver Beratung innerhalb der Bürgerinitiative, mit Stadträten sowie in Abstimmung mit unserem Anwalt sind wir zu dem Schluss gekommen, dass jetzt nur noch eine Klage gegen die Entscheidung zum geplanten Kiesabbau in Rückmarsdorf Sinn ergibt“, benennt Detlev Ducksch von der Bürgerinitiative jetzt den aktuellsten Stand der Entwicklung.
„Da wir nun seit Anfang September, trotz Nachfrage und Ankündigung, keine Begründung zu unserem Widerspruch zum Zielabweichungsverfahren erhalten haben, ist nun eine Klage durch unseren Anwalt beim Verwaltungsgericht in Chemnitz eingegangen. Konkret geht es um Untätigkeit der Landesdirektion Sachsen und in der Hauptsache um die 300 Meter Abstand sowie das sogenannte öffentliche Interesse des Tagebaus. Wir fragen uns, was ist da los in der Landesdirektion Sachsen? Wie konnte man nur so eine Entscheidung gegen Bürger und Umwelt fällen?“
Ignoriert die Behörde einfach die Anliegen der Bürger?
Vielleicht erzählt der Bescheid im Zielabweichungsverfahren aber auch nur davon, dass die Sachbearbeiter hier einfach nur nach Schema F abgearbeitet haben und nur nach handfesten Gründen gesucht haben, warum sie dem Antrag der Papenburg AG vom 20. September 2018 nicht nachgeben sollten.
Denn am Ende betont der Bescheid ja, dass die Wünsche des Kiesabbauunternehmens zwar durchaus umsetzbar wären – wenn sie sich denn vor Ort mit Kommune und Landbesitzer einigen können.
Denn da heißt es: „Das Zielabweichungsverfahren greift dem im Einzelfall vorgeschriebenen Verwaltungs- und Genehmigungsverfahren nicht vor. Im Rahmen des durch die GP Günter Papenburg beantragten Zielabweichungsverfahrens sind die den Stellungnahmen der beteiligten Belangträger zu entnehmenden fachlichen Hinweise und Anregungen nach § 1 Abs. 6 BauGB zu berücksichtigen. Das Zielabweichungsverfahren ersetzt weder öffentlich-rechtliche Gestattungen und Genehmigungen noch privatrechtliche Zustimmungen und Vereinbarungen. Die Entscheidung zur Zielabweichung gilt nur solange, wie sich ihre Grundlagen nicht wesentlich ändern. Die Entscheidung hierüber trifft die zuständige Raumordnungsbehörde.“
Aber die Raumordnungsbehörde ist wiederum die Landesdirektion.
„Leider hat die Landesdirektion Sachsen nur im Interesse von der GP Günter Papenburg AG entschieden und ignoriert hier offensichtlich die Entscheidung der Stadt Leipzig, innerhalb einer Zone von 300 m keine Grundstücke zu verkaufen und damit einen Abstand zur Siedlung zu wahren“, sagt Ducksch.
„Auch das Argument ‚Es besteht öffentliches Interesse‘ hier Kies abzubauen und den ‚Grünzug‘ durch Rekultivierung nach mehr als 13 Jahren Staub und Lärm auszubauen, ist ein Witz, denn es geht hier nicht nur um den Kiesabbau, sondern vor allem um die Verkippung von Bauschutt. Es entsteht eine gigantische Deponie. Auch die geplante Waldmehrung wird somit um mindestens 15 Jahre verschoben und das angesichts des Klimawandels.“
Und während die Landesdirektion der Argumentation der IHK zu Leipzig folgte, es wären nicht genug Kiesabbaufelder in Westsachsen ausgewiesen, stellt Ducksch fest: „Der aktuelle Regionalplan weist für Leipzig-Westsachen in Bezug auf vorhandenen Kies und Sand eine Rohstoffübersicherung von mehr als 170 % für die nächsten Jahrzehnte aus und das ohne Rückmarsdorf. Und um es nochmal zu betonen, es wird kein Badesee entstehen. Das Loch wird, so wie bei Schönau II, mit Bauschutt und wer weiß was noch verfüllt. Was zählt, sind rein privatwirtschaftliche Interessen des Vorhabenträgers. Das Mitspracherecht der Bürger ist eine Farce. Deshalb unsere Klage jetzt!“
Aber die Klage kostet wieder Geld. Also bittet die Bürgerinitiative um Spenden, um den Klageweg auch finanzieren zu können. Die entsprechenden Kontodaten findet man auf der Homepage der Bürgerinitiative „Mit uns ist kein Kies zu machen!“
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