Es war scheinbar nur eine beiläufige Bemerkung, die Oberbürgermeister Burkhard Jung da am 1. Juni bei der Eröffnung der neuen Messebrücke fallenließ: Jetzt wäre zwar die Brücke fertig, aber für das vom Stadtrat beschlossene Panoramagebäude für Yadegar Asisis Völkerschlacht-Bild sei auf dem Stadtbalkon kein Platz. Das würde man hier so bald nicht aufbauen können. Eine Äußerung, die in einem Antrag mehrerer Stadtratsfraktionen jetzt nachklingt.

Denn schon am 22. August 2018 hatte die Ratsversammlung mit nur sechs Gegenstimmen beschlossen: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, die LEVG GmbH & Co. KG (LEVG) per Gesellschafterweisung zu beauftragen, für die in den Anhängen des Ursprungsantrages ausgewiesene Fläche des ‚östlichen Ohrs‘ des sogenannten Stadtbalkons auf dem der Gesellschaft gehörenden Flurstück 159/104 in der Straße des 18. Oktober ein Interessenbekundungsverfahren durchzuführen.“„Im Rahmen dieses Verfahrens soll geklärt werden, ob und zu welchen Bedingungen es Interessenten für die Errichtung und Betreibung einer ca. 30 m hohen und durchmessenden Rotunde als ‚Kunst-Skulptur‘ auf o. g. Flurstück und außerhalb der Sichtachse Völkerschlachtdenkmal-Neues Rathaus zur Ausstellung des ehemals im Panometer gezeigten Völkerschlachtpanoramas von Yadegar Asisi gibt.“

Mindestens zehn Jahre lang sollte das von Yadegar Asisis einst im Panometer gezeigte Rundbild dort in direkter Sichtachse zum Völkerschlachtdenkmal gezeigt werden und so zur temporären Touristenattraktion werden.

Zuvor hatte die Verwaltung mehrfach darauf verwiesen, dass der Bau eines temporären Panoramas erst Sinn ergebe, wenn die Messebrücke, die im Juni mit erheblicher Verspätung fertig wurde, auch zugänglich sei.

Doch augenscheinlich sperrt sich irgendjemand in der Verwaltung, den Beschluss von 2018 umzusetzen. Stellvertretend für ihre Fraktionen werden Michael Schmidt (Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen), Marco Götze (Fraktion Die Linke), Frank Tornau (CDU-Fraktion), Heiko Böhm (SPD-Fraktion) und Sascha Matzke (Fraktion Freibeuter) sehr deutlich, wenn sie ihren neuen Antrag begründen, in dem es um nichts anderes geht, als den Beschluss von 2018 endlich umzusetzen.

So eine deutliche Kritik an der Arbeit der Verwaltung hat es jedenfalls in schriftlicher Form aus den Ratsfraktionen bislang noch nicht gegeben. Hier hat jemand die gewählten Vertreter der Leipziger Bürgerschaft aber so richtig auf die Palme gebracht.

Wer verhindert da eigentlich die Umsetzung des Ratsbeschlusses?

Die Kritik beginnt gleich mit dem Einstieg in die Begründung des gemeinsamen Antrags:

„Vor dem Hintergrund dessen, was der Stadtrat am 28.10.2015 (VI-A-01607-NF-003 ‚Asisi-Völkerschlacht-Panorama erhalten‘) und am 22.08.2018 (VI-A-05134 ‚Völkerschlachtpanorama auf der Alten Messe ermöglichen‘) beschlossen hat und womit der Oberbürgermeister beauftragt wurde, besteht der Eindruck, dass die Verwaltung in den zurückliegenden drei Jahren weniger mit der Beschlussumsetzung als vielmehr mit der Umsetzungsverhinderung der Beschlüsse befasst war. Der Wille der Verwaltungsspitze, den Ratsbeschluss von 2018, den Standort ‚Stadtbalkon‘ auf der Alten Messe für die Etablierung des Völkerschlachtpanoramas von Yadegar Asisi zu nutzen und die Realisierung in die Wege zu leiten, schien von Anbeginn nur wenig ausgeprägt.“

Blick vom Stadtbalkon übers Alte Messegelände. Foto: Ralf Julke
Blick vom Stadtbalkon übers Alte Messegelände. Foto: Ralf Julke

Ganz unübersehbar gibt es jemanden in der Verwaltung, der die Idee einfach nicht umsetzen möchte. Wobei nicht so recht klar ist, warum nicht.

„Schnell wurde klar, dass Einzelne in der Verwaltung weder den Mehrwert des Panoramas für die Stadt, noch die Wirtschaftlichkeit des Vorhabens und schon gar nicht die sinnvolle Ergänzung des Ausstellungsportfolios des Stadtgeschichtlichen Museums erkennen wollten“, heißt es in der Antragsbegründung. „Mehrheitsentscheidungen in ihr Gegenteil zu verkehren, wenn diese nicht deckungsgleich mit der eigenen Meinung sind – ist das jetzt das neue Demokratieverständnis der Verwaltung?“

Eine Chronik der Verhinderung

Und dann liefern die Antragsteller eine Aufstellung der systematischen Verhinderung des Projekts, die durchaus verstört, weil sie auch davon erzählt, dass da jemandem im Rathaus die Botschaft des Panoramas nicht zu passen scheint.

In der Antragsbegründung heißt es dazu:

„Begonnen wurde mit einer Bauvoranfrage, die so, wie sie gestellt wurde, nur abzulehnen war. Diese Bauvoranfrage beantragt eine Bebauung des nicht bebaubaren und unter Denkmalschutz stehenden Grundstückes. Im Laufe dieser Bauvoranfrage wurde die Auffassung geäußert, dass diese Vorgehensweise zum Scheitern verurteilt ist.“

„Stattdessen müsse man nicht nur in der Bauvoranfrage, sondern auch gegenüber den Denkmalbehörden deutlich herausstellen, dass es sich keinesfalls um eine dauerhafte Bebauung des Gartendenkmals handeln sollte, sondern um die temporäre Ergänzung (dies wäre schon allein mittels befristeter Pachtverträge rechtssicher regelbar) der Ausstellung rund um das Völkerschlachtdenkmal und das Thema selbst.“

„Dies – verfolgt man den Ansatz eines kritischen Reflektierens des Völkerschlachtdenkmals und dessen Begleitausstellung im Forum – kann nur im direkten Zusammenhang mit dem Völkerschlachtdenkmal platziert sein und muss dadurch einen Gegenpol zum martialischen Nationaldenkmal bilden. Das Antikriegsbild kann nur nach diesem Verständnis erfolgreich sein, der Standort muss provozieren, ohne jedoch die denkmalpflegerischen Grundsätze zu negieren.“

„Dies ist im Übrigen der gleiche erfolgreiche Ansatz wie in Berlin am Checkpoint Charly und an der Museumsinsel, wo die beiden Panoramahäuser trotz bestehenden Denkmalschutzes seitens der Denkmalbehörden ausdrücklich befürwortet wurden. So war auch von Beginn an klar, dass das Panorama, wie auch die Panoramen ‚Pergamon‘ und ‚The Wall‘ in Berlin, nur für eine begrenzte Dauer von 10–15 Jahren am Standort stehen wird. Im Anschluss – auch hierzu hat der Ratsbeschluss eine klare Vorstellung, sollte im Zuge des Rückbaus die denkmalgerechte Sanierung des Stadtbalkons erfolgen.“

So wurde der beschlossene Standort durch eine nicht adäquate Bauvoranfrage regelrecht torpediert.

Nur ja nicht in die Sichtachse

„Die Bauvoranfrage blieb trotz mehrfachen Hinweise unverändert“, stellen die Antragsteller fest.

„Entsprechend blieb auch die ablehnende Auffassung der Denkmalpflege bestehen. Seitens der Verwaltung wurde dann ein Alternativstandort neben der Messehalle 16, dem derzeitigen Eventpalast, vorgeschlagen. Dieser Standort war jedoch aufgrund seines versteckenden Charakters und des Wegrückens des Panoramas aus der Achse der Straße des 18. Oktober, ungeeignet. Ungeeignet deshalb, weil das Potenzial des Panoramas im Zusammenwirken mit dem Völkerschlachtdenkmal nur unter großen Abstrichen hätte abgerufen werden können. Eine kostendeckende Betreibung an diesem Standort wäre tatsächlich fraglich.“

Aber damit wurde ja deutlich: Da wollte jemand die beabsichtige Botschaft möglichst nivellieren. Nur ja das ach so schöne Völkerschlachtdenkmal nicht mit einem emotionalen Völkerschlachtbild konfrontieren.

Geht die Blockade in Wirklichkeit gegen Yadegar Asisi?

Aber die Ursachensuche geht noch weiter. Denn auch auf der Betreiberebene wurde gebremst.

„Ein weiterer Schritt, um die Umsetzung des Beschlusses zu blockieren, war der Umgang mit der parallel seit 2018 diskutierten Frage der Betreibung und des Investments. Einige Stadträte haben von Beginn an dafür geworben, dass die Stadt selbst aktiv werden solle, um die Synergien und den aller Voraussicht nach wirtschaftlichen Betrieb des Panoramas in eigenen Händen zu halten. Dies sollte der Stadt den größtmöglichen Einfluss auf das Ausstellungskonzept sichern. Dazu wurden etliche Gespräche mit dem Museum, mit LTM, der WEP/LEVG und dem Förderverein geführt“, stellt der Antrag fest.

„Immer überwog bei Weitem die Hoffnung zur Umsetzung des Vorhabens und die Überzeugung, dies durch die Stadt Leipzig oder die Stiftung Völkerschlachtdenkmal zu realisieren. Einzig der bisherige Geschäftsführer der Stiftung war ein stetiger Kämpfer gegen die Realisierung in eigener Verantwortung. Dies bestätigte sich eindrucksvoll bei einem Gespräch zwischen Dr. Rodekamp und Yadegar Asisi zu einem von der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen initiierten Treffen im Alten Rathaus 2019. Hier traten die Differenzen offen zutage.“

„Herr Dr. Rodekamp betonte dabei die Umdeutung des Völkerschlachtdenkmals als europäisches Friedensdenkmal, welches nach seiner Meinung nicht im Zusammenhang mit einem Kriegsbild stehen sollte. Diese Auffassung nimmt den großen öffentlichen Willen nach einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Denkmal nicht zur Kenntnis. Nachdem das Völkerschlachtdenkmal nun in neuem Glanz erscheint, fordert es nämlich zugleich zur Diskussion auf: über seine Entstehung und seine wechselhafte Geschichte, über Krieg, Naziherrschaft und über Frieden, über Völkermord und Völkerverständigung in einem heute geeinten Europa.“

Dr. Volker Rodekamp ging 2019 in den Ruhestand. Aber sein Einwand zeigte Wirkung, wie die antragstellenden Stadträt/-innen feststellen.

Völkerschlacht gegen Friedliche Revolution?

„Die Kulturbürgermeisterin und der Oberbürgermeister betonten 2019 bei oben angeführtem Gespräch, dass es zunächst eine Wirtschaftlichkeitsuntersuchung brauche und man diese in die Wege leiten will. Diese Untersuchung – man spricht von Kosten von 50.000 € – ist jedoch niemals beauftragt worden. Corona hat sicherlich zu einer Verzögerung geführt, kann aber nicht als Ursache akzeptiert werden. Es wurde schlichtweg verzögert und verhindert“, kritisiert der Antrag.

Der Versuch, die Aufstellung der Panoramen zu verhindern, scheint also zu glücken.

Historische Scheuklappen

Zugleich verweigert die Verwaltung damit seit drei Jahren eine Auseinandersetzung mit dem Stadtratsbeschluss und eine unabhängige Betrachtung der Chancen und Risiken, kritisieren die Antragsteller.

„Es macht offensichtlich zu viel Mühe, die Stiftung Völkerschlachtdenkmal – immerhin satzungsgemäß eine Städtische Stiftung – zu einer Satzungsüberarbeitung zu führen und dazu das Einvernehmen mit dem Freistaat zu suchen“, interpretierten sie die Verhinderungstaktik der Verwaltung.

„Mehrfach wurde durch Stadträte vorgeschlagen, dass die LEVG als Investor für die Stadt agieren könnte, die Stadt selbst mit dem Stadtgeschichtlichen Museum und der Stiftung die Betreiberschaft und Hoheit über die Ausstellungskonzeption haben könne. Denkbar wäre auch, die Panometer GmbH als erfahrenen Dienstleister zu beauftragen, jedoch mit vertraglich festgelegter Aufgabenstellung, um keine Konkurrenz zu den Ausstellungen der Stadt zu riskieren. Die Verwaltungsspitze jedoch hat sich zu keinem Zeitpunkt ernsthaft mit einem solchen Szenario auseinandergesetzt.“

Für Historiker wäre das übrigens ein spannendes Forschungsfeld, die historischen Linien zwischen den „Befreiungskriegen“ (zu denen die Völkerschlacht ja gehört) und der Friedlichen Revolution aufzuarbeiten. Beide haben mit bürgerlicher Emanzipation zu tun und mit durchaus veränderten Rollen der jeweils Mächtigen.

Beide Kapitel stellen spannende Fragen, die weit über das hinaus gehen, was in Leipzig bislang im Zusammenhang mit dem Freiheits- und Einheitsdenkmal diskutiert wurde, letzteres ja bekanntlich auch daran gescheitert, weil „jemand“ in der Verwaltung unbedingt seine Sicht auf den Herbst 1989 durchdrücken wollte.

Im Grunde begegnet einem hier dasselbe Muster wieder . Und die selbe Engsicht auf Geschichte, die schon bei der Denkmalsdiskussion so lähmend und falsch war.

„In der Rückschau wirken die städtischen Aktivitäten seit dem Stadtratsbeschluss allesamt als Bestandteile einer von Beginn an verfolgten Verhinderungsstrategie“, heißt es in der Antragsbegründung. „Von vielen Menschen wurde in den vergangenen fünf Jahren eine Menge Kraft und Zeit in dieses Projekt investiert, der Künstler selbst wurde auch mindestens zweimal nach Leipzig gebeten, um an der Idee mitzuwirken. Insofern halten wir unverändert daran fest, die Umsetzung des Stadtratsbeschlusses von 2018, konkretisiert um obige Änderungen, einzufordern.“

Tatsächlich konkretisiert der Antrag jetzt, was die Verwaltung tun soll: nämlich mit der Denkmalbehörde ins Einvernehmen über den temporären Standort zu kommen, die LEVG mit dem Aufbau der Rotunde zu beauftragen und „die Stiftung Völkerschlachtdenkmal mit der Aufgabe der Betreibung der temporären Ausstellung zu beauftragen“.

Eine Mehrheit im Stadtrat dürfte diesem Antrag gewiss sein.

„Nun offenbart die Verwaltungsspitze, drei Jahre nach dem Stadtratsbeschluss, dass die Obere Denkmalbehörde und die schlichtende Landesdirektion keine Genehmigung für den Standort in Aussicht stellen kann“, konstatieren die Antragsteller.

Und haben da auch schon eine Vermutung, warum die Verwaltung die Völkerschlacht aus dem Stadtgedächtnis drängen will: „Tatsächlich scheint es so zu sein, dass die Verwaltung Vorbehalte gegen ein zweites historisches Thema unserer Stadt, der Völkerschlacht, neben dem Thema der Friedlichen Revolution, hat. Sie argumentiert, dass die Stadt mit großem Investment und einer Menge ‚teurem Personal‘ in der Verantwortung wäre, während sie alle Kraft in die Entwicklung des Forum Recht und des Demokratiecampus Matthäikirchhof stecken wolle. Das Thema Völkerschlacht soll offensichtlich der Auseinandersetzung mit der Thematik Friedliche Revolution weichen. Damit wird in der Argumentation ein historisch bedeutendes Thema gegen ein anderes ausgespielt. Beide Ereignisse sind jedoch eng verbunden mit der Geschichte Leipzigs und seiner Bevölkerung.“

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