Den eigentlichen Vorwurf sprach in der Stadtratsdebatte am Mittwoch, 13. Oktober, die Linke-Stadträtin Franziska Riekewald aus, auch wenn es die Grünen waren, die den eigentlichen Antrag gestellt hatten: Wenn es um Stadtentwicklung ging, konnte der Stadtrat in den vergangenen Jahren immer nur reagieren, nicht agieren. Privatinvestoren kauften der Stadt die wertvollsten Grundstücke vor der Nase weg. Die Stadt konnte nur noch hilflos zuschauen. Das soll jetzt bei einem Stück Stadt erstmals anders werden.

„Der Oberbürgermeister wird beauftragt, für das Gebiet Lagerhofstraße, Brandenburger Straße, Rosa-Luxemburg-Straße, Schulze-Delitzsch-Straße, Hermann-Liebmann-Straße, Mariannenstraße, Bennigsenstraße und Torgauer Straße umgehend einen Aufstellungsbeschluss für einen oder mehrere Bebauungspläne herbeizuführen“, hatte die Grünen-Fraktion beantragt.Das ist ein riesiges Gebiet, in dem das künftige Krystallpalast-Quartier genauso liegt wie der Freiladebahnhof Ost, der künftige Stadteilpark Volkmarsdorf und jene große Brache, auf der jenes einzelne ruinöse Haus steht, das in der vergangenen Woche durch seinen Teilzusammenbruch für Verkehrschaos rund um die Rosa-Luxemburg-Straße gesorgt hat. Das Haus allein macht sichtbar, wie überfällig hier irgendeine Reaktion der Stadt schon lange war.

„Die Stadtratsfraktion sieht das Erfordernis für die Aufstellung eines Bebauungsplanes für das im Beschlussvorschlag benannte Gebiet. Es braucht dringend eine städtebauliche Neuordnung“, hatten die Grünen in ihrem Ursprungsantrag festgestellt. „Wir sind der Auffassung und sehen die Notwendigkeit, das neue Stadtquartier im Sinne der nutzungsgemischten Stadt der kurzen Wege zu gestalten. Durch das Bauleitverfahren sind die planungsrechtlichen Voraussetzungen für die Entwicklung eines neuen urbanen, vielfältigen, lebendigen und nutzungsgemischten Stadtquartiers zu schaffen.“

Das eingestürzte Haus in der Rosa-Luxemburg-Straße. Foto: LZ
Das eingestürzte Haus in der Rosa-Luxemburg-Straße. Foto: LZ

Ein Anliegen, mit dem sich die Grünen auf einer Wellenlänge sahen mit den Fraktionen von Linken und CDU, die ihrerseits zwar Änderungsanträge schrieben, aber die Grünen nahmen entsprechend Rücksprache und passten die Änderungsvorschläge in ihren Antrag ein. Was umso leichter ging, als sich die Verwaltung einmal mehr sehr zögerlich und zurückhaltend geäußert hatte. Irgendwie stecken der Stadt die vielen negativen Erfahrungen mit Investoren und Grundstückskäufen in den Knochen.

Wann soll das Vorkaufsrecht greifen?

Negative Erfahrungen, die aber auch deshalb fast zwangsläufig waren, weil die Stadt immer zögerte, ihre durchaus wichtigen Interessen etwa bei Schul- und Wohnungsbau geltend zu machen und die Gebiete, die sie dringend dafür brauchte, auch schon mit einem Bebauungsplan zu belegen. Aber ohne ein derart beschlossenes Interesse lassen sich nun einmal auch keine Vorkaufsrechte durchsetzen.

Das von den Grünen definierte Gebiet für ihren Antrag. Karte: Stadt Leipzig
Das von den Grünen definierte Gebiet für ihren Antrag. Karte: Stadt Leipzig

Ergebnis: Sämtliche Filetgrundstücke der Bahn von der Westseite des Hauptbahnhofs über das Gelände des Bayerischen Bahnhofs bis zum Freiladebahnhof Eutritzsch gingen ihr durch die Lappen. Die Verwaltung wusste nicht, wie ihr geschah. Die Bahn klingelte nicht einmal an, um Leipzig die Grundstücke anzubieten.

Der Einfluss von Stadt und Stadtrat reduzierte sich gewaltig und mündete bis in die Gegenwart in zum Teil teure Kämpfe mit den Investoren, die ganz genau wissen, dass sie als Eigentümer immer am längeren Verhandlungs-Hebel sitzen.

Das aber soll jetzt mit dem praktisch letzten größeren Gebiet aus dem einstigen Bahngelände im Osten nicht wieder passieren. Aber nicht nur das nahmen die Grünen in den Blick, sondern praktisch alle noch unverbauten Flächen im Osten. Was Baubürgermeister Thomas Dienberg im Lauf der Diskussion zu dem Hinweis brachte, dass es auf dieser riesigen Fläche teilweise schon beschlossene Bebauungspläne gibt, teilweise seien sie in der Aufstellung.

Gewerbe, Wohnen, Parkbogen Ost

Und so recht ein dringendes Eigeninteresse definiere der Antrag ja auch nicht, was FDP-Stadtrat Sven Morlok zu der Frage brachte, ob dann ein gleich mitbeschlossenes Vorkaufsrecht überhaupt rechtlich möglich wäre.

Aber im Grunde versuchten die Grünen hier etwas, was es so in Leipzig tatsächlich noch nicht gab: Das Interesse der Stadt an einer sehr konkreten Stadtentwicklung schon einmal zum Beschluss zu machen und damit auch eine Grundlage dafür zu schaffen, dass bei der Aufstellung der noch fehlenden Bebauungspläne das Vorkaufsrecht mit verankert wird.

„Unter Berücksichtigung vorhandener gewerblicher Angebote sind Standorte für soziale Einrichtungen bzw. Gemeinbedarfseinrichtungen zu sichern. Stadträumliche Strukturen sind zu entwickeln. Wohnen ist anzusiedeln“, begründeten sie ihren Antrag, den am Mittwoch, 13. Oktober, Dr. Tobias Peter einbrachte, nachdem sich die Grünen mit Linken und CDU noch einmal abgestimmt hatten.

„Das Gebiet um die Eisenbahnstraße und das neue Stadtquartier sind mit dem Parkbogen Ost außerdem zu verknüpfen. Deshalb sind direkte Zuwegungen für Fußgänger/-innen und Radfahrer/-innen in Zusammenhang mit der Umsetzung des Parkbogens Ost mitzuplanen.“

Die Anbindung an den Parkbogen-Ost war auch der CDU-Fraktion wichtig, wie Dr. Sabine Heymann für diese betonte. Denn da plant Leipzig nun seit über zehn Jahren dieses Zukunftsprojekt eines eigenständigen Radbogens durch den Leipziger Osten, tut aber nichts, um dessen Fortsetzung am Nordende zu sichern. Dabei liegt es nahe, ihn genau hier auf altem Bahngelände dann auch in Richtung Innenstadt zu führen.

„Neben dem sogenannten ‚Stadtteilpark Volkmarsdorf‘ sind sowohl eine weitere zentrale öffentliche städtische Grünfläche als auch vom Friedrich-List-Platz/Berliner Brücke kommend in Richtung Torgauer Straße ein Grünband im Bebauungsplan abzusichern“, betonten die Grünen.

Und sie sehen hier durchaus Platz für einige Projekte, die für Leipzigs Infrastruktur dringend gebraucht werden – z. B. „Schaffung eines bezahlbaren und vielfältigen Wohnungsangebotes, u.a. durch die Bereitstellung von 30 % sozial gefördertem Wohnungsbau entsprechend der jeweils gültigen Förderrichtlinie des Freistaates (Ziel Bezahlbares Wohnen)“.

Endlich städtische Interessen absichern

Aber ein Bebauungsplan reicht eben nicht. Deshalb wurde der dritte Antragspunkt dann noch einmal zu einem kleinen Wortgefecht im Stadtrat: „Zur Absicherung der Interessenlage der Stadt ist dem Stadtrat umgehend eine Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 2 BauGB und eine Veränderungssperre gemäß § 16 Abs. 1 BauGB zur Beschlussfassung zuzuleiten.“

Wobei die Diskussion sich eher nicht um das Vorkaufsrecht an sich drehte, als um den Zeitpunkt seiner Inkraftsetzung. Das einfach so jetzt gleich übers ganze Gebiet zu verhängen, das sei rechtlich nicht möglich, betonte Sven Morlok. Weshalb protokollarisch auch festgehalten wurde, dass so ein Vorkaufsrecht erst dann in Kraft gesetzt wird, wenn in einem Bebauungsplan auch ein städtebauliches Entwicklungsgebiet definiert wird, das genau diese städtischen Interessen definiert.

Da aber für Teile des von den Grünen markierten Gebietes schon Bebauungspläne existieren, erhöht der Antrag jetzt freilich den Druck auf die Verwaltung, auch für jene Teile des Gebietes, die noch keinen B-Plan haben, schnellstens einen solchen aufzustellen. Denn natürlich geht es um Zeit. Denn wenn die Stadt wieder keine klaren Pläne hat, was sie hier dringend an Infrastruktur braucht, kann sie auch ein Vorkaufsrecht nicht in Anspruch nehmen und wieder nicht kaufen, wenn die Flächen auf den Markt kommen.

Es hat ziemlich lange gebraucht, bis diese Botschaft aus den Erfahrungen der anderen großen Filetstücke im Stadtgebiet endlich auf Stadtratshöhe angekommen ist. Die eher zögerliche Stellungnahme der Verwaltung wollte dann die AfD-Fraktion lieber zur Abstimmung bringen. Aber dafür gab es nur 10 AfD-Stimmen und 50 Gegenstimmen, während die Stadtratsmehrheit mit 52:10 Stimmen den Vorstoß der Grünen unterstützte. Höchste Zeit, könnte man sagen.

Steht auch ein Termin im Antrag? Leider so konkret nicht. Der Druck steckt nur in dem Wörtchen „umgehend“. „Zur Absicherung der Interessenlage der Stadt ist dem Stadtrat umgehend eine Satzung über ein besonderes Vorkaufsrecht gemäß § 25 Abs. 1 Nr. 2 BauGB und eine Veränderungssperre gemäß § 16 Abs. 1 BauGB zur Beschlussfassung zuzuleiten.“

Die Debatte am 13. Oktober 2021 im Stadtrat

Video: Livestream der Stadt Leipzig

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