Herr G. hat eine Petition eingereicht. Das ist sein gutes Recht. „Schutz der Anwohner gegen die Auswirkungen nächtelanger Partys im Clara-Zetkin-Park“ hieß sie und greift ein Thema auf, das den Stadtrat schon mehrfach beschäftigte. Auch schon vor Corona und den zunehmenden Partys auf der Sachsenbrücke. Herr Golzer war bestimmt auch mal jung. Der Chef des Leipziger Ordnungsamtes wahrscheinlich nie. Denn sein Amt hat Stellung genommen. Amtlich und verbissen.

Schon vor der Corona-Pandemie und der Schließung sämtlicher Clubs, Diskotheken und Party-Locations focht Leipzigs Stadtrat einen ermüdenden Kampf mit Leipzigs Stadtverwaltung aus, die partout keinen Weg sehen wollte, im Leipziger Stadtgebiet Orte finden zu können, an denen in den Sommermonaten auch spontane Partys stattfinden könnten. Orte, die es in anderen Städten – wie der Nachbarstadt Halle – schon lange gibt. Statt alle Kraft und Personalkapazitäten darauf zu verwenden zu begründen, warum etwas absolut nicht gehen kann, hat man dort Lösungen gesucht und gefunden.Und Leipzig?

Leipzig hat die Sache bis zu Corona ausgesessen und war dann auf einmal konfrontiert mit dem, was Herr G. in seiner Petition zur Sprache bringt.

Und was jetzt das Ordnungsamt in seiner Stellungnahme zur Petition mit amtlicher Verbissenheit zu Papier gebracht hat:

„Die mit der Petition vorgetragene Situation ist den Fachbehörden bekannt und grundsätzlich eine regelmäßig wiederkehrende Thematik mit Beginn der wärmeren Jahreszeit. Die Beschwerdelage ist im Sommer daher besonders hoch. In diesem Jahr ist jedoch eine sehr hohe Zunahme der sich aufhaltenden und verweilenden Personen zu beobachten. In den vergangenen Jahren waren es zumeist um die 400 bis 500 Personen, die sich zeitgleich auf der Brücke aufhielten. Die Personenanzahl von über 1.000 ist erst seit diesem Jahr festzustellen.

Zudem ist auch der veranstaltungsähnliche Charakter in diesem Jahr eine neue Beobachtung, die es in den vergangenen Jahren so noch nicht gegeben hat. Im Ergebnis hat sich die Sachsenbrücke in puncto Partyszene zu einer Art Hotspot entwickelt. Aus den Erfahrungen der letzten Wochen ist festzustellen, dass die Gesamtlage bis 22:00 bzw. 23:00 Uhr relativ überschaubar und gut einzusehen ist. Zumeist mit Eintritt der Dunkelheit ist eine Veränderung der Gesamtsituation, einhergehend mit massiven Ordnungsstörungen bis hin zur Begehung verschiedener Straftaten, zu verzeichnen. Diese Umstände werden nicht zuletzt auch durch massiven Alkoholkonsum begünstigt.“

Wenn Prävention immer erst am Schluss mitgedacht wird

Das ist Polizeistil. Und er sagt alles über die Sichtweise der Stadtverwaltung auf das, was auf der Sachsenbrücke geschah. Was übrigens nicht nur ein Leipziger Phänomen war. Gerade junge Menschen in ganz Deutschland haben gerade in diesem Sommer verzweifelt nach Orten gesucht, wo überhaupt noch Begegnungen mit anderen jungen Menschen möglich waren. Hier hätte die Stadt schon vor Jahren präventiv tätig werden können. Aber das Wort „präventiv“ fällt Leipzigs Verwaltung immer erst ein, wenn die Sache schon eskaliert ist.

Das Wort taucht dann im Text natürlich auf, weil die Vorgänge auf der Sachsenbrücke nun auch noch dem letzten Bürgermeister klargemacht haben, dass man das nicht aussitzen kann. Und auch nicht immer nur mit der Polizeibehörde agieren kann. Oder mal so formuliert: Der Einsatz von Polizei und Polizeibehörde ist die Fortsetzung missratener Stadtverwaltung mit den falschen Mitteln.

Aber zusammengesetzt haben sich die Ämter und Dezernate der Stadt erst jetzt. Wobei man unter Punkt 1.2 der Stellungnahme nachlesen kann, dass man auch diesmal versucht hat, das Ganze mit Polizeivollzugsdienst und Polizei zu bewältigen. Das alte Muster, das auch davon erzählt, dass die Verantwortlichen den feierwilligen jungen Menschen zutiefst misstrauen. Aber wie formuliert es das Ordnungsamt so schön? „Zwischen Polizei und Ordnungsamt bestehen auf den verschiedenen Arbeitsebenen sehr gute Schnittstellen und es findet eine ausgeprägte Zusammenarbeit statt.“

Eine gescheiterte Strategie

Erst unter Punkt 1.3 gesteht das Ordnungsamt zu, dass diese Strategie mal wieder völlig gescheitert ist. Sie versucht nur zu kontrollieren und zu maßregeln, wo Lösungen über Jahre verweigert wurden.

Dort heißt es nun: „Nach tiefgreifender Auseinandersetzung mit der vorhandenen Sachlage ist nach Einschätzung der Stadtverwaltung die bestehende Situation allein mit polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen nicht zu beherrschen und stellt sich vielmehr als ein ganzheitliches Problem dar. Infolgedessen wurden unter Beteiligung betroffener städtischer Akteure (u. a. Kulturamt, Straßensozialarbeit, Naturschutzbehörde, Amt für Stadtgrün und Gewässer, Verkehrs- und Tiefbauamt, Eigenbetrieb Stadtreinigung sowie Ordnungsamt) und der Polizeidirektion Leipzig mehrere Abstimmungsrunden durchgeführt, in welchen neben ordnungsrechtlichen Maßnahmen auch präventive Lösungen diskutiert wurden. Bereits in der 24. Kalenderwoche fand dazu eine Abstimmung statt, was seitdem regelmäßig fortgeführt wird. Demnach wird derzeit dazu beraten, wie die Sachsenbrücke langfristig und ohne massive Polizeipräsenz als öffentlicher Ort mit all seinen Möglichkeiten zur Freizeitgestaltung erhalten werden kann.“

Die 24. Kalenderwoche war die Woche vom 14. bis zum 21. Juni. Ein bisschen spät, möchte man meinen, da man ja schon aus dem Vorjahr wusste, wie enorm der Bedarf an Partyräumen für die jungen Leute war und ist. Und aus den Jahren davor ebenfalls, auch wenn da ja die Clubs wenigstens noch offen hatten.

Aber der Absatz ist noch viel verräterischer. Denn er ist das Eingeständnis, dass die Verwaltung mit all ihren Ablehnungen zu Anträgen der Stadtratsfraktionen für Freiluft-Partyflächen falsch lag, weil sie immer davon ausging, sie könne das „Problem“ allemal „allein mit polizei- und ordnungsrechtlichen Maßnahmen (…) beherrschen“.

Und genau in diesem letzten Wort steckt das ganze falsche Denken: Eine Stadtverwaltung herrscht nicht und darf auch nicht herrschen. Wenn aber auch nur ein Amt sich anmaßt, etwas beherrschen zu wollen, ist das schon der falsche Weg. Falsches Denken sowieso. Auch dann, wenn die alten Bewohner/-innen der Stadt bei jeder Bürgerumfrage ankreuzen, sie wären mit der Ordnung und der Sicherheit in der Stadt unzufrieden.

Aber in Leipzig leben nun einmal nicht nur alte Menschen, sondern auch junge, die aber oft behandelt werden, als wären sie einfach nur Störenfriede. In diesem Fall auf jeden Fall.

Lösungen für die Sachsenbrücke sind überfällig

Und selbst wo die Verwaltung jetzt endlich über Lösungen an der Sachsenbrücke nachdenkt, kann sich das Ordnungsamt nicht verkneifen, einen Verdacht auszusprechen:

„Als ein weiterer Schritt sind derzeit auch Veränderungen an der Lichtsituation im Bereich der Sachsenbrücke im Gespräch. Gegenwärtig ist der Bereich der Sachsenbrücke unbeleuchtet. Allgemein bekannt ist, dass Dunkelheit mitunter bewusst für Straftaten ausgenutzt wird. Aber auch hinsichtlich der Vermüllung und den davon ausgehenden Gefahren können positive Effekte durch eine bessere Ausleuchtung erwartet werden. Eine mögliche Umsetzung von Beleuchtungslösungen muss in jedem Fall sensibel auf die Natur und die charakteristischen Merkmale der denkmalgeschützten Sachsenbrücke abgestimmt werden.“

Alles richtig. Und trotzdem falsch herum gedacht. Denn einen Ort wie die Sachsenbrücke auch für die dort Feiernden sicherer zu machen, hätte man schon vor Jahren in Angriff nehmen können. Mit allem, was dazugehört, auch wenn manch alter Stadtrat die dumme Frage stellen würde, warum man so viel Aufriss macht für diese jungen Leute, oder – wie das Ordnungsamt so verächtlich schreibt – „die Partyszene“. Eine zurückhaltende Beleuchtung wäre längst schon genauso möglich gewesen wie die Aufstellung fester Toiletten (von denen es im Clara-Zetkin-Park sowieso zu wenige gibt) und entsprechende Abfallsammelbehälter.

Man hätte längst Ansprechpartner einsetzen können, bei denen spontane Partys kurzfristig hätten angemeldet werden können und mit denen auch die Modalitäten hätten abgesprochen werden können. Denn es ist schlicht unterlassene Arbeit, wenn eine Verwaltung jahrelang beklagt, dass die jungen Leute ihre Party „wild“ im Naturschutzgebiet feiern, sich aber stur verweigert, öffentliche Flächen für solche Partys zu sichern.

Ergebnis: Herr G. kann nicht schlafen. Die Stadtreinigung muss Müll und Scherben zusammenkehren. Es wird „wild gepinkelt“, es kommt zu Straftaten. Und Polizei und Ordnungsamt müssen eingestehen, dass sie der Sache „nicht Herr“ werden. Eben weil das keine Kriminellen sind, die da feiern, sondern vor allem junge Menschen, die wie alle jungen Menschen auf der Welt sind. Und wer niemals jung gewesen ist, bewirbt sich beim Leipziger Ordnungsamt. Das ist jetzt zwar eine freche Pointe. Aber sie beschreibt das, was diese Behörde in Leipzig in den letzten Jahren an Missvergnügen angerichtet hat.

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Leipzig hat nunmal den Auwald, der einen erheblichen Teil des Stadtgebietes umfasst und zudem großteils irgendeiner Variante von Naturschutzgesetzen/-richtlinien unterliegt. Da verbietet sich eine Nutzung als lautstarke Partymeile. Es ist schon unsäglich, dass die Stadtverwaltung mit ihrem Wassertouristischen Nutzungskonzept den Naturschutz beständig mit Füßen tritt.

Der nicht vom Auwald eingenommene Teil der Stadt ist widerum größtenteils recht dicht bebaut, so dass hier auch der Lärmschutz der Anwohner greift. Wer draußen Party machen will, der muss halt nach Halle, wenn es dort geht. In Leipzig wüsste ich keine Fläche, wo nicht der Natur- und/oder Lärmschutz unter die Räder kommen würde.
Einzig Kopfhörer-Partys dürften in Leipzig unter Einhaltung der Gesetze funktionieren.

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