Am Mittwoch, 9, Juni, stellten Innenminister Roland Wöller und OBM Burkhard Jung endlich die Evaluationsergebnisse zur 2018 eingeführte Waffenverbotszone in der Eisenbahnstraße vor. Aus Sicht des Innenministeriums zeigen die Evaluierungsergebnisse, „dass die Waffenverbotszone als zusätzliches Instrument zur Senkung, vor allem bei bewaffneten, in der Öffentlichkeit begangenen Angriffen, beigetragen hat.“ Das nennt man schon Unverfrorenheit. Denn genau das belegt die Evaluation nicht.

Viel eher zeigen sie, dass die vermehrten Polizeikontrollen am Kriminalitätslevel rund um die Eisenbahnstraße und am Sicherheitsempfinden der dort Wohnenden eher nichts geändert haben. Was das SMI zumindest zugibt: „Die Ergebnisse zeigen aber auch, dass die Waffenverbotszone kaum positive Auswirkungen auf das übrige Kriminalitätsgeschehen hat.“Die vom Institut für Soziologie der Universität Leipzig erstellte Untersuchung betont sogar mehrfach, dass die von der Polizei bereitgestellten Zahlen ein gewaltiges Problem haben, denn indem die Polizei mehr kontrolliert, verändert sie das Verhältnis zwischen Hell- und Dunkelfeld.

Das heißt: Vermehrte Funde an gefährlichen Gegenständen und in diesem Fall auch Drogen haben nichts damit zu tun, dass dieser Teil der Kriminalität zugenommen hätte, sondern dass die Polizei schlicht mehr Funde gemacht hat. Wer mehr kontrolliert, findet mehr. Was ihr in anderen Leipziger Stadtvierteln genauso gegangen wäre.

Inwiefern die Polizeipräsenz Gewaltstraftaten tatsächlich zurückgedrängt hat, lässt sich anhand der Zahlen nicht einmal belegen. Denn nach einem kurzen Knick nach Einführung der Waffenverbotszone erreichten die Fallzahlen schnell wieder ihr übliches Level.

Was ja auch logisch ist: Nur weil die Polizei mehr patrouilliert und kontrolliert, ändert sich ja nichts an den sozialen Konflikten und Problemen in diesem Viertel, in dem nun einmal unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen auf engstem Raum leben, manche, weil es ihnen hier wirklich gefällt, viele, weil sie hier noch eine bezahlbare Wohnung gefunden haben.

Ein Teil der Studie umfasste dann auch noch eine Befragung der Bevölkerung. Aus dieser geht – auch das eine Interpretation des Innenministeriums – „unter anderem der Wunsch nach einer ansprechbaren Präsenz der Polizei und der Ordnungsbehörde vor Ort hervor.“

Einen Wunsch, den freilich nur ein Teil der Befragten äußerte.

So holt man sich eine Zustimmung, die keine ist. Die oben abgebildete Grafik zeigt, wie divergierend die Aussagen tatsächlich sind. Und das hat auch mit den betroffenen Personen direkt zu tun. Was die untere Grafik wieder zeigt. Denn augenscheinlich fühlten sich einige Bewohner allein aufgrund ihrer äußeren Merkmale zu Unrecht immer wieder kontrolliert.

Wer polizeiliche Maßnahmen als ungerecht erlebt hat. Grafik: Ergebnisbericht zur Evaluierung der Waffenverbotszone Eisenbahnstraße in Leipzi
Wer polizeiliche Maßnahmen als ungerecht erlebt hat. Grafik: Ergebnisbericht zur
Evaluierung der Waffenverbotszone Eisenbahnstraße in Leipzig

Um zielstrebig und zeitnah die gewonnenen Erkenntnisse der Evaluierung in einem lokalen Handlungsrahmen umsetzen zu können, soll ein gemeinsamer Maßnahmenplan zwischen Polizei und Ordnungsamt gefasst und rasch umgesetzt werden, meinten die beiden in ihrer Pressekonferenz noch.

„Die Ergebnisse der Evaluierung der Waffenverbotszone zeigen uns, dass es keinen Schalter gibt, den wir umlegen können, damit Kriminalität abnimmt“, gesteht Innenminister Prof. Dr. Roland Wöller zumindest zu.

„Deshalb lautet die Frage nicht in allererster Linie, ob die Waffenverbotszone bestehen bleiben oder abgeschafft werden soll, sondern wie die Sicherheit in dem Quartier erhöht werden kann. In enger Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig gilt es jetzt weitere Schritte zu gehen und gemeinsam Kräfte zu bündeln. Daher ist geplant, die Präsenz von Einsatzkräften der Polizei zu erhöhen, einen gemeinsamen Standort von Polizei und Stadt einzurichten und vermehrt Verkehrskontrollen durchzuführen.“

Und Oberbürgermeister Burkhard Jung: „Die begleitende Befragung zur Waffenverbotszone hat uns einen tiefen Blick in das Quartier ermöglicht. Die beste Erkenntnis für mich ist: Bewohnerinnen und Bewohner dort haben dieselben Fragen und Probleme wie in vielen anderen Stadtteilen auch. Sie wollen sichtbare Polizei, Zurückdrängung der Alltagskriminalität und ein sauberes Wohnumfeld. Die Menschen haben sehr genau aufgezeigt, wo sie mehr von Stadt und Polizei erwarten – und das wollen wir ihnen jetzt auch gemeinsam bieten: mehr gemeinsame Streifen, einen neuen Polizeiposten, konsequentere Müllberäumung.“

Aber so eindeutig, wie Wöller und Jung es sehen, waren die Ergebnisse nicht.

Die Auswertung erzählt eher von Enttäuschung und Ermüdung.

Hier einige Betroffenengruppen:

Junge Personen mit und ohne Migrationshintergrund sowie Studierende äußern sich vermehrt ablehnend gegenüber der WVZ, da diskriminierende Verhaltensweisen gegenüber bestimmten, marginalisierten Gruppen wahrgenommen werden und teilweise negative Erfahrungen mit Polizeibeamt/-innen bestehen. Durch die WVZ wurde in diesen Gruppen im Bereich der WVZ ein Gefühl des Unwohlseins ausgelöst. Die anfängliche Ablehnung der WVZ bleibt zwar bestehen, mittlerweile beobachten die Expert/-innen aber auch Momente der Ernüchterung in ihren Kontaktgruppen hinsichtlich fehlender Erfolge bei ihrem Engagement für eine Abschaffung der WVZ.

Die Sorge davor in einem ständigen Ausnahmezustand zu leben, wurde von einer Alltäglichkeit im Umgang mit der WVZ abgelöst. So wird die WVZ von Anwohner/-innen mittlerweile weitestgehend gleichgültig wahrgenommen, wohingegen sie bei Besucher/-innen, welche nicht mit dem Stadtviertel vertraut sind, noch für Irritationen sorgt.

Konträr dazu äußern sich Personen mittleren Alters mit und ohne Migrationshintergrund. Sie befürworten den Versuch der Stadt und der Polizei, im Rahmen der WVZ die öffentliche Sicherheit zu wahren, besonders im Hinblick auf ihre eigenen Familien und Kinder. Wobei bisher jedoch keine Verbesserung der Sicherheitslage von ihnen festgestellt wird.

Auch Jugendliche mit Migrationshintergrund erkennen den Versuch des Staates an, gegen kriminelle Strukturen vorzugehen. Diese werden jedoch nicht bewertet. Junge Migrant/-innen stehen der WVZ ebenfalls konträr gegenüber.

So kann einerseits betont werden, dass der Versuch, die wahrgenommene Kriminalität zu bekämpfen, als positiv aufgefasst wird. Andererseits kommt es aber auch zu Verunsicherungen durch die möglichen Auswirkungen der WVZ auf die eigene Person und potenzieller damit einhergehender Stigmatisierungen.“

2018 und nun?

Die Waffenverbotszone wurde Ende 2018 per Verordnung eingerichtet, um die allgemeine Sicherheit im Bereich der Leipziger Eisenbahnstraße zu erhöhen und den dortigen Kriminalitätsschwerpunkt einzudämmen.

Seither galt in diesem Quartier ein Verbot von Schusswaffen, Messern, Reizstoffsprühgeräten sowie anderen gefährlichen Gegenständen, wie Elektroschockgeräten oder Baseballschlägern. Am 24. März 2021 erklärte das Sächsische Oberverwaltungsgericht die Polizeiverordnung über das Verbot des Mitführens gefährlicher Gegenstände als unwirksam.

Die Hochschule der Sächsischen Polizei verantwortete unter Federführung von Prof. Dr. Marcel Schöne, Direktor des Sächsischen Institutes für Polizei- und Sicherheitsforschung, die Evaluierung der Waffenverbotszone. Die Durchführung der Evaluierung erfolgte durch Prof. Dr. Kurt Mühler von der Universität Leipzig Mitte 2020 nach einer öffentlichen Ausschreibung.

Und es sind nicht nur Grüne und Linke, die die Abschaffung dieses Sonderkontrollbereiches fordern. Arnold Arpaci, Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Leipzig Nord-Ost/Ost, bringt es eigentlich auf den Punkt, wenn er unlautere Motive bei der Begründung der Waffenverbotszone sieht: „Das OVG in Bautzen hat die Waffenverbotszone gekippt, da es von vornherein an den Voraussetzungen fehlte: Es gab keine hinreichende Wahrscheinlichkeit, dass die Verordnung die öffentliche Sicherheit schützt.“

„Obwohl andere Orte wie das Leipziger Zentrum eine höhere Kriminalitätsbelastung aufweisen, ist ausgerechnet der einzige als migrantisch geltende Stadtteil in ganz Sachsen ins Auge gefasst worden. Das lässt den Erlass der Verordnung eher als kurzlebigen medialen Coups des angeschlagenen Innenministers Wöller erscheinen. Die sogenannte Waffenverbotszone ist rechtswidrig und wirkt rassistisch.“

Der ausführliche Ergebnisbericht zur Evaluierung der Waffenverbotszone in Leipzig steht zum Download zur Verfügung.

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