Was ist schon möglich? Wie viel Umweltschutz ist durchsetzbar, wenn ein neues Wohnquartier wie die Parkstadt Dösen gebaut wird? Und wo hat Baubürgermeister Thomas Dienberg eigentlich das Wort abnicken gefunden? Immerhin hielt er am Donnerstag. 24. Juni, eine sehr emotionale Rede für den Städtebaulichen Vertrag und den Bebauungsplan für die Parkstadt. Und für einen hart erarbeiteten Kompromiss.
Das ist auch im Leipziger Stadtrat so oft nicht zu erleben, dass ein Bürgermeister nicht nur inhaltlich für eine solche Vorlage wirbt, sondern auch einen Blick hinter die Kulissen zulässt und ein wenig beschreibt, wie eine Verwaltung mit einem Investor am Ende eigentlich fünf Jahre lang darum gerungen hat, für das Areal der einstigen Heilanstalt/Parkkrankenhaus Dösen einen Kompromiss zu finden, in dem alle Seiten Zugeständnisse machen mussten, nicht nur die Autofahrer.Auch wenn die Redebeiträge zuvor vermuten ließen, es ginge hier tatsächlich nur gegen die Autofahrer und die Verwandlung der individuellen Motorisierung in ein Luxusgut, wie AfD-Redner Udo Bütow es als Schreckgespenst an die Wand malte.
Ob das mal so kommt, weiß kein Mensch. Denn auch Leipzig hat ja den Pfad der „autogerechten Stadt“ noch lange nicht verlassen. Wie ein Leben komplett ohne Autos auf der Straße aussehen könnte, kann sich kein Leipziger vorstellen, denn es gibt nicht mal ein autofreies Quartier. Und natürlich wäre es mutig gewesen, mal ein komplettes Wohnquartier ohne Stellplätze zu bauen. Aber so weit war nicht nur der Investor nicht, der jetzt die ganze Zeit intensiv mit den Leipziger Stadtplanern verhandelt hat, noch die Stadt selbst.
Da gab Dienberg auch Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek recht, der ja moniert hatte, dass es bis heute keine belastbare ÖPNV-Verbindung zur künftigen Parkstadt gäbe. Aber das brauche ebenso Zeit, betonte Dienberg, und werde parallel zum Bauprozess passieren. Er deutete auch an, woran das lange Zögern vor allem der Leipziger Verkehrsbetriebe liegen mag: Dort schaut man sich sehr genau an, wie viel potenzielles Fahrgastpotenzial an einer (neuen) Linie vorhanden ist.
Überhaupt zeigte die ganze Diskussion am Donnerstag, dass gerade das ganze Thema Mobilität vor allem eines ist, bei dem alle Beteiligten knallhart auf die Zahlen schauen. Auch Leipzigs Carsharing-Anbieter, der tatsächlich selbst gerechnet hat und nur einen Teil der gewünschten Carsharing-Plätze anlegen wird, weil ihm – rein rechnerisch – die potenziellen Nutzer fehlen.
Wer kann schon in die Köpfe der künftigen Bewohner der Parkstadt schauen? Also rechnen alle mit den Leipziger Durchschnittswerten und gehen lieber doch nicht davon aus, dass vor allem umweltbewusste Menschen in die Parkstadt ziehen werden. Übrigens auch nicht der Discounter, der sich im Gelände ansiedeln wird und seine Ansiedlung an die Schaffung von Stellplätzen für die Kundschaft gebunden hat.
Und der Investor schon mal gar nicht, der wohl zumindest ahnt, dass die meisten Leute, die sich künftig eine Wohnung in der Parkstadt leisten werden, ganz und gar nicht auf das Auto verzichten können. Denn natürlich ist Leipzig noch lange keine Vorbildstadt in Sachen ÖPNV. Viele Arbeitsplätze in der Stadt und im Umland erreicht man leider mit dem ÖPNV gar nicht oder nur so umständlich, dass das schlicht nicht praktikabel ist.
Und auch wenn Michael Neuhaus, der umweltpolitische Sprecher der Linksfraktion, den Grünen – und dabei insbesondere deren umweltpolitischen Sprecher Jürgen Kasek – vorwarf, mit ihrem Änderungsantrag zu spät zu kommen und utopische Ziele zu verfolgen, steckt gerade in diesem Dissens das komplette heutige Leipzig: einerseits das mögliche Leipzig der Zukunft, das vielleicht wirklich viel konsequenter aufs Auto verzichten kann, weil ÖPNV und Carsharing viel besser ineinandergreifen und viel häufiger genutzt werden.
Und andererseits das aktuell existierende Leipzig, in dem selbst eingefleischte Nutzer der umweltfreundlichen Mobilität immer wieder irgendwo steckenbleiben, weil Strecken nicht ausgebaut sind, Linien zu selten verkehren oder das Ganze zeitlich einfach nicht funktioniert.
So gesehen haben die Grünen mit ihrem Änderungsantrag zum Bebauungsplan ein Zeichen gesetzt, das übrigens nicht nur für die Grünen gilt: Die Leipziger Umweltverbände stehen ebenfalls für diese deutlich mutigere Version. Die sich aber, wie Dienberg erklärte, aktuell nicht durchsetzen lässt. Denn in der Parkstadt konkurrieren Umweltschutz, Denkmalschutz, Mobilitätsbedarf und Wohnungsbedarf miteinander. Und die Interessen des Investors, wie Dienberg auch noch anmerkte.
Und man möge auch die Leistung des Planungsamtes würdigen, das einige Zugeständnisse erreichen konnte – wie die Verringerung der geplanten Stellplatzzahl von 750 auf 550 und die Erhöhung der Zahl geplanter Wohnungen von 600 auf 800, davon 32 Sozialwohnungen. Und die Verringerung der Zahl zu fällender Bäume. Ein echter Kompromiss, wie Dienberg betonte, und im Ergebnis trotzdem etwas, was für Leipzig Vorbildwirkung entfalten könnte.
Was eben auch heißt: Andere Planungen der jüngeren Gegenwart gehen beim Umweltschutz noch nicht einmal so weit.
Von Abnicken könne also gar keine Rede sein, so Dienberg. Aber genau das Wort habe er ja gelesen.
Nicht ganz. Es stand in einem Zitat, das die LZ hier am 22. Juni veröffentlicht hat.
Gesagt hat es Ulrike Böhm, Sprecherin des Leipziger Stadtvorstands von Bündnis 90 / Die Grünen: „In Zeiten des Klimanotstands und der Biodiversitätskrise darf so etwas nicht einfach abgenickt werden! Wir fordern eine deutlich höhere Gewichtung des für den Klima- und Artenschutz wertvollen alten Baumbestands. Auch zur Hitzeprävention aus gesundheitlichen Gründen ist der Erhalt von Bäumen im Stadtgebiet zwingend.“
Am 23. Juni, als man eigentlich hoffte, der Beschluss würde an diesem Tag schon in der Ratsversammlung aufgerufen, haben Grüne, BUND, NABU und Omas for Future auch vorm Neuen Rathaus protestiert. Die Grünen sind also nicht ganz so allein, wenn es um weitergehende Forderungen zu einem klimakompatiblen Umbau der Stadt geht. Aber Michael Neuhaus machte ja mit seinem Redebeitrag auch sichtbar, wie lang die Vorläufe für solche Bauprojekte sind.
Seit 2002 steht das Klinikgelände leer. 2012 wurde es erstmals an einen Investor verkauft, der es dann 2015 an den jetzigen Investor weiterverkaufte. Was dann am Donnerstag – nach vielen Verhandlungen, wie Dienberg betonte – zum Beschluss kam, konnte nur ein Kompromiss sein, bei dem alle Seiten Zugeständnisse machen mussten.
Der Änderungsantrag der Grünen zum Bebauungsplan bekam entsprechend keine Mehrheit und wurde mit 12:27 Stimmen abgelehnt.
Der Bebauungsplan selbst bekam eine deutliche Mehrheit von 38:7 Stimmen bei vier Enthaltungen.
Und der Städtebauliche Vertrag mit dem Investor, der – erstmals für Leipzig – auch den Artenschutz stärker verankert, bekam im Stadtrat mit 42:2 Stimmen bei sechs Enthaltungen eine noch deutlichere Zustimmung. Die Parkstadt kann also gebaut werden. Und vielleicht lernt man sogar was draus, was man beim nächsten Mal tatsächlich noch besser machen kann.
Die Debatte am 24. Juni 2021 im Stadtrat
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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