Am Ende dauerte es doch noch einmal fast zwei Stunden, bis die Leipziger Ratsversammlung am Mittwoch, 21. April, dem Bebauungsplan für den Wilhelm-Leuschner-Platz zustimmte. Immerhin ein Jahrhundertprojekt. Wie es ein Stadtrat in Leipzig selten auf den Tisch bekommt. Und dabei war der Löwenanteil der Arbeit schon vorher passiert. Denn seit einem halben Jahr haben Stadtrat und Verwaltung an dem Projekt gefeilt.
Was gar nicht anders zu erwarten war, denn schon 2011 fasste der Stadtrat den Aufstellungsbeschluss für den B-Plan. Darin gab es nur einen Anker, an dem bis zuletzt nicht gerüttelt wurde: die Neuschaffung einer Markthalle auf dem alten Markthallengrundstück. 2017 folgte der Masterplan für das große Areal. Und dann begann eigentlich das Kämpfen darum: Was kommt da hin? Immerhin preschte die Verwaltung immer wieder mit neuen Projekten vor, die sie hier unbedingt platziert haben wollte.Der Freistaat zum Beispiel zeigte mehr als reges Interesse, hier das neue Institut für Länderkunde unterzubringen. Das Forum Recht sollte Platz finden, gleich mit einem Neubau für die Juristenfakultät der Uni Leipzig. Zuletzt kam dann auch noch der Global Hub hinzu, was die Ratsfraktionen endgültig auf den Plan rief. Denn eigentlich wünschten sich die Meisten hier ein modernes und lebendiges Quartier, nicht nur eine triste Bürolandschaft, wo abends dann alle Lichter ausgehen.
Weshalb einer der stärksten Kritikpunkte am ersten Entwurf für den Bebauungsplan die nicht gesicherten Wohnflächen waren. Hier sollen Menschen wohnen, war der einhellige Tenor. Das Quartier soll ein erlebbarer Übergang von der City zur Südvorstadt sein.
Dazu wurde dann in den Ausschüssen des Stadtrates und in der AG Wilhelm-Leuschner-Platz im letzten halben Jahr intensiv debattiert und gestritten, manchmal auch öffentlich. Und am Ende prasselten dann doch noch 20 Änderungsanträge ins System. Aber das Baudezernat wartete gar nicht erst, bis die in der Ratsversammlung abgestimmt werden mussten, sondern ging schon in den Ausschüssen auf die Ratsfraktionen zu.
Ergebnis: Der größte Teil dessen, was die Fraktionen beantragt hatten, wurde teils komplett, teils in veränderter Form in die Neufassung der Verwaltungsvorlage übernommen. Das sparte am Mittwoch garantiert noch einmal zwei Stunden Debattenzeit, denn mit den meisten dieser Übernahmen waren die betroffenen Fraktionen zufrieden.
Dazu gehört zum Beispiel die deutliche Erhöhung des Wohnungsanteils, der garantiert werden muss. Dazu gehört eine deutliche Reduzierung der Stellplätze, denn bis auf eine, anderthalb Fraktionen ist im Leipziger Stadtrat niemand mehr der Meinung, dass man riesige Tiefgaragen unter dem ganzen Quartier braucht, um auch noch jedem Wunsch nach einem Stellplatz entgegenzukommen.
Die einzige Fraktion, die verbissen am Autozeitalter festhält – obwohl der Wilhelm-Leuschner-Platz mit Straßenbahn und S-Bahn ideal erschlossen ist – ist die AfD-Fraktion, deren urzeitliche Anträge die Verwaltung auch nicht übernommen hatte. Also standen sie alle zur Abstimmung und wurden auch alle von der Stadtratsmehrheit abgelehnt. So baut man einfach kein klimafreundliches Quartier mehr. Die Zeiten sind vorbei.
Durchgesetzt haben sich die demokratischen Fraktionen natürlich mit ihren Forderungen nach einem Mobilitätskonzept, einem Klimaschutzkonzept und einem Freiflächenkonzept, die die Verwaltung alle noch vorlegen muss, bevor auf den einzelnen Baufeldern losgebaut wird. Gerade die Fällaktion auf dem südlichen Baufeld im Januar hat so einige Leute aufgeschreckt, auch wenn es wohl nicht so werden wird, dass der Grünbestand in der jetzigen Form erhalten wird. In die Richtung zielte ja ein Grünen-Antrag, der im Stadtrat dann keine Mehrheit fand.
Dafür konnte die Linksfraktion noch zwei Wünsche durchdrücken: Wenn über die Markthalle entschieden wird, wird es garantiert keinen großen Supermarkt mit 1.500 Quadratmeter Fläche geben, sondern maximal ein Leipziger Marktmodell mit bis zu 800 Quadratmeter. Wobei das erst in der Zukunft entschieden wird, wenn es um die Baupläne für das Baufeld Markthalle geht.
Wobei mehrere der Sprecher am Mittwoch betonten, dass man sich eigentlich eine möglichst große Markthalle wünscht, wie es etwa FDP-Stadtrat Sven Morlok betonte. Und Tobias Peter von den Grünen zeigte sich „überhaupt nicht skeptisch“, was den Erfolg einer Markthalle in Leipzig betrifft. Denn der Trend spreche längst dafür. Die Leipziger/-innen wollen ein größeres Angebot regionaler und saisonaler Produkte, gern auch ergänzt mit internationalem Flair.
Und persönlich freute sich Linke-Stadträtin Franziska Riekewald darüber, dass es auch eine klare Mehrheit für einen Spielplatz gab – keine Spiel- und-Aktionsfläche wie vor der Moritzbastei, „wo man nun wirklich niemals jemanden spielen sieht“, sondern einen richtigen Spielplatz, wo sich Kinder wirklich gern aufhalten.
Gewiss mutig war der Antrag von Piraten-Stadtrat Marcus Weiss, statt der Markthalle die Arbeitsagentur auf den Platz zu verlagern. Gegenüber den Arbeitsuchenden in Leipzig wäre das sicher ein starkes Zeichen gewesen. Aber da spielte die Stadtratsmehrheit dann doch nicht mit.
Was bleibt? Eigentlich ein ordentliches Werkstück, bei dem am Schluss auch das Dezernat Stadtentwicklung und Bau zeigte, dass es flexibel reagieren kann, wenn es um wichtige Anliegen aus dem Stadtrat geht. Die Zustimmung von 53:12:2 Stimmen zur Vorlage war eindeutig. Jetzt freilich muss es auch Wege finden, die Erwartungen umzusetzen. Zum Beispiel die bislang vertraglich noch nicht gesicherten nach mehr Wohnraum in diesem Quartier.
„Seit fast einem Jahr diskutieren wir darüber, dass diese somit fehlenden Wohnungen auf dem Areal in anderen Baufeldern auf dem Leuschnerplatz ausgeglichen werden sollten. Denn auch wir als Linke wollen natürlich nicht das Leibnizinstitut verhindern. Allerdings haben sich die städtebaulichen Zielstellungen, nämlich im südlichen Baufeld möglichst viele Wohnungen zu schaffen, nicht geändert. Der Freistaat muss hier seiner Verpflichtung nachkommen“, erklärt Franziska Riekewald, die auch Mitglied in der Arbeitsgruppe Wilhelm-Leuschner-Platz ist.
„Auf unser Drängen hin verpflichtete sich der Oberbürgermeister hin zu weiteren Verhandlungen mit der Landesregierung. Auch war unserer Fraktion wichtig, dass die Grundstücke in Erbbaupacht vergeben werden. Ein Verkauf der Flächen in der erweiterten Innenstadt kommt für uns nicht infrage! Deshalb freut es uns natürlich, dass unsere Forderung in der Neufassung des B-Plans durch die Verwaltung berücksichtigt wurde.“
Und auch die Festsetzung eines Spielplatzes ist für sie ein wichtiger Erfolg: „In der Innenstadt gibt es keinen Spielplatz und somit auch keine Möglichkeit für Familien mit Kindern, sich länger aufzuhalten. Dies soll sich mit der Entwicklung des Wilhelm-Leuschner-Platzes nun endlich ändern. Darüber freue ich mich sehr. Alles in allem ist die Neufassung des seit langem bearbeiteten B-Plans ein Schritt hin zu einem lebendigen Viertel. Wir freuen uns, dass wir unsere Ansprüche an die Planung erfolgreich einbringen konnten. Die Vorlage ist nun die Grundlage für die Auslegung und weitere Planung.“
Dass da noch zahlreiche Aufgaben bis zum Satzungsbeschluss geklärt und gelöst werden müssen, sieht auch die SPD-Fraktion so.
„Uns war insbesondere wichtig, den Oberbürgermeister zu beauftragen, im Rahmen des weiteren Bebauungsplanverfahrens, spätestens vor Ausschreibung oder Beginn der Bauplanung für die Sonderfläche ,Überbaute Markthalle‘ inklusive Supermarkt dem Stadtrat den Sachverhalt zur nochmaligen Entscheidung vorzulegen. In einer Beschlussvorlage soll die wirtschaftliche Entwicklung der Stadt, insbesondere die Situation des Einzelhandels in der Innenstadt und der Südvorstadt aktualisiert analysiert werden“, erklärt Anja Feichtinger, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der SPD-Fraktion.
„Sollte im Ergebnis der Analyse feststehen, dass die Sonderfläche ,Überbaute Markthalle‘ inklusive Supermarkt nicht realisiert werden kann, soll der Oberbürgermeister dem Stadtrat einen alternativen Vorschlag zur Bebauung vorlegen. Aufgrund der derzeitigen Situation des Einzelhandels der Stadt Leipzig infolge der Corona-Pandemie ist nicht auszuschließen, dass – trotz Bemühungen, die Pandemie abzufedern – zahlreiche Ladenflächen in der Innenstadt und im Umfeld leerstehen werden. Es ist daher geboten, einen Haltepunkt einzulegen, um die Gesamtsituation zu analysieren und insbesondere zu den wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie auf das städtische Wirtschaftsleben vor einer finalen Entscheidung über eine Bebauung mit dem Stadtrat im Detail zu erörtern.“
Und wie wichtig die vom Stadtrat erwartete Freiflächenkonzeption für das Quartier wird, betont Prof. Dr. Getu Abraham, Sprecher für Stadtentwicklungs- und Umweltpolitik der SPD-Fraktion: „In einem weiteren Änderungsantrag hatte die SPD-Fraktion die Stadtverwaltung beauftragt, im Rahmen des weiteren Bebauungsplanverfahrens zu prüfen, wie eine erlebbare Grünfläche mit einem generations-, milieuübergreifendem, barrierefreiem Bewegungs- und Gesundheitspark inkl. Spielplatz auf dem W.-Leuschner-Platz geschaffen werden kann und dafür auch entsprechende Infrastruktur vorzuhalten, damit die Leipziger innenstadtnah nicht-kommerziell sportlichen Aktivitäten nachgehen können.“
„Außerdem hatten wir die Stadtverwaltung beauftragt, Regelungen zu schaffen, um das Viertel auf dem Leuschner-Platz grün zu gestalten. Hierbei sollen insbesondere Möglichkeiten für vertikales Grün an den Gebäuden – vertikale Wälder oder hängende Gärten – im Vordergrund stehen. Last but not least fordern wir im Rahmen des weiteren Bebauungsplanverfahrens zu klären, wie zusätzliche Fahrradstellplätze geschaffen werden können und in diesem Zusammenhang auch die Errichtung einer Fahrradgarage zu prüfen. Wir sind einverstanden, dass die Verwaltung diese Vorschläge im Rahmen der Freiflächenkonzeption bzw. des weiteren Verfahrens bewerten will.“
Sehr deutlich wurde, dass die alte Erzählung von „mehr Platz für Autos“ in der Stadtratsmehrheit keine Unterstützung mehr findet. Das ist das Stadtdenken von vor 50 Jahren. Stattdessen soll das Quartier deutlich Rücksicht auf Klima und Ökologie nehmen. Aber da sind sich auch OBM und Baubürgermeister sicher: Da kommen noch einige heftige Diskussionen auf den Stadtrat zu, bevor tatsächlich alles umgesetzt werden kann.
Die Debatte im Stadtrat zum Leuschner-Platz
Video: Livestream der Stadt Leipzig
Die Beschlüsse zum Leuschner-Platz im Einzelnen
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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lokale, regionale Produkte, was ist das überhaupt? Die Stadt indes hat auf eine Einwohneranfrage (https://ratsinfo.leipzig.de/bi/vo020.asp?VOLFDNR=1018740#searchword) hin nicht gerade zeigen können, dass Sie imstande ist, den Vertrieb von regionalen Produkten oder Produzenten zu begünstigen; es wird mal wieder angeführt, dass eine Begünstigung eher rechtswidrig wäre. Wie soll dass dann in der Markthalle gelingen? Wie will man denn als Stadt auf die Vermietungskultur Einfluss nehmen? Die Markthalle bleibt ein Prestige-Objekt, welches ohne tatsächliche Kaufkraft aller Gesellschaftsschichten auskommen muss und zum Scheitern verurteilt ist.