Seit 2008 wird diskutiert, wie das Gelände östlich des Wilhelm-Leuschner-Platzes künftig gestaltet werden soll. Doch am 21. Januar, als die ersten Bäume fielen auf dem südlichen Dreieck, wurde ziemlich deutlich, dass die ganze Diskussion eigentlich all die Jahre ins Leere gelaufen war. Selbst die 2016 geäußerte Kritik an der Zerstörung der Artenvielfalt hatte in den Plänen der Stadt keine Berücksichtigung gefunden. Jetzt beantragen die Grünen zahlreiche Änderungen.
Und man wird den Eindruck nicht los, dass auch hier wieder eine der konzertierten Bürgerbeteiligungen schiefgegangen ist, irgendwann schon an einem sehr frühen Punkt, als in einer Architekturwerkstatt eine dichte und profitable Bebauungsstruktur entworfen wurde, an der die Verwaltung nichts mehr ändern wollte. Die Frage „Was braucht die Stadt hier wirklich?“ wurde elegant umschifft.
Und nicht einmal die Veränderungen, die sich zwischenzeitlich bei wichtigen Rahmengesetzgebungen ergeben haben, wurden noch eingearbeitet. Sodass der im Februar vorgestellte Entwurf zum Bebauungsplan irgendwie immer noch an die riesigen Blockbebauungen aus der Anfangszeit der Diskussion erinnerte.
Und so beantragen die Grünen eigentlich lauter selbstverständliche Änderungen.
Deutlich weniger Autostellplätze: „Die im Entwurf vorgesehene Reduzierung vollzieht lediglich die in der Verordnung des Freistaats ohnehin vorgesehene Reduzierung der Stellplatzpflicht bei Vorliegen einer ÖPNV-Anbindung sowie weiterer begünstigender Bedingungen wie Semestertickets nach, die als gegeben angenommen werden können. Im Sinne der Zielsetzungen der Mobilitätsstrategie der Stadt Leipzig ist der Umweltverbund prioritär einzustufen und ist der MIV auf ein absolut notwendiges Minimum zu begrenzen. Ein entscheidender Schlüssel dafür ist die Reduzierung der KfZ-Stellplätze auf ein absolut notwendiges Minimum. Angesichts der hervorragenden Verkehrsanbindung ist ein autoarmes Quartier zu planen. Durch die Reduzierung der Stellplätze werden Kosten verringert. Zudem wird die Grundwasserneubildung begünstigt, da weniger Freifläche für Tiefgaragen in Anspruch genommen wird“, schreiben die Grünen.
Geschütze Baumbestände erhalten: „Dem Planentwurf zufolge verlaufen in einzelnen Fällen die Baulinien mitten durch geschützten Baumbestand. Durch die Regelung soll ermöglicht werden, im Einzelfall von der Baulinie abzuweichen, um geschützten Baumbestand zu erhalten. Auf die Vereinbarkeit mit dem städtebaulichen Entwurf des Masterplans ist im Rahmen der künftigen Architekturwettbewerbe zu achten.“
Deutlich weniger Versiegelung: „Mindestens 30 % des Plangebiets sind als unversiegelte sowie vegetations- und artenreiche Grünfläche zu gestalten.“
In einem Extra-Antrag fordern die Grünen sogar, die Sache mit dem 2019 ausgerufenen Klimanotstand endlich ernst zu nehmen und aus dem neuen Quartier ein echtes Klimaschutzquartier zu machen. Denn was die Stadt bislang vorlegt hat, ist das Bau-Denken von 2008. Oder noch viel früher.
Und dann schaut man sich das nun seit 2020 verpflichtende Prüfschema zur Klimawirkung in der Vorlage an und sieht: Es wurde überhaupt nicht geprüft. Man hat seine „Ahnungslos-Häkchen“ gemacht, aber eine Klimawirkung der Pläne nicht mal theoretisch vorgenommen.
Dabei wäre genau diese riesige Brache im Stadtinneren eine Chance, den Beschluss zum Klimanotstand auch bei der Planung endlich ernst zu nehmen.
„Mit der Entwicklung des Wilhelm-Leuschner-Platzes bietet sich die Chance, ein Quartier mit herausragender städtebaulicher und ökologischer Qualität zu realisieren. Als international sichtbares Leuchtturmprojekt kann das Vorhaben eine Vorbildwirkung für Klimaneutralität, Artenschutz, nachhaltige Mobilität einnehmen. Für die Umsetzung als Klimaschutzquartier gilt es über die Festsetzungen des Bebauungsplans hinaus bis zum Satzungsbeschluss die notwendigen Fachkonzepte zu entwickeln und weitere Maßnahmen zu ergreifen“, schreiben die Grünen in ihrem Antrag dazu.
„Über den vorgelegten Artenschutzbeitrag hinaus ist im Rahmen eines integrierten Grün- und Artenschutzkonzeptes sicherzustellen, dass die Grün- und Erholungsflächen sowie Dach- und Fassadenbegrünungen so geplant werden, dass ein vollständiger Ausgleich des derzeitigen Artenbestandes erreicht werden kann. Dabei sind die Pläne so aufeinander abzustimmen und naturschutzfachlich zu begleiten, dass ein Biotopverbund innerhalb des Plangebiets und seiner Einzelbereiche sowie ein Anschluss außerhalb des Plangebietes ermöglicht werden kann.“
„Zudem sind die Maßnahmen so auszugestalten, dass eine zusätzliche sommerliche Aufheizung nach Fertigstellung von Freiflächen und Gebäuden vermieden werden kann. Eine vorgezogene Realisierung der Freifläche als vegetations- und artenreiche Grünfläche im westlichen Teil des Leuschnerplatzes ist im Gesamtablauf des Projekts ohne weiteres möglich und kann einen entscheidenden Beitrag leisten, um Ausweichmöglichkeiten für vorhandene Arten des Plangebiets zu schaffen.“
Und hier wäre auch mal der Ort, moderne Holzbauweisen auszuprobieren, da ja der bislang dominierende Betonbau eindeutig das Klima hochgradig belastet.
Aber gerade weil die Grünen das alles so detailliert formulieren, drängt sich die Frage auf: Warum ist das alles nicht viel früher bedacht worden? Warum hat sich an den riesigen Dimensionen von 2008 bis heute nichts geändert und wurde so offensichtlich an einer Städteplanung festgehalten, die schon 2008 so wirkte, als wäre sie ein Überbleibsel aus den 1990er Jahren?
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Auch wenn das sicherlich eine gewisse Verbesserung bringen könnte, ein “sichtbares Leuchtturmprojekt mit Vorbildwirkung für Klimaneutralität, Artenschutz und nachhaltige Mobilität” oder gar ein “Klimaschutzquartier” kann ich indes nicht erkennen ….
Wer ein bißchen Ahnung von Brutvögeln hat, kann auch direkt erkennen, dass “ein vollständiger Ausgleich des derzeitigen Artenbestandes” im B-Plan-Geltungsbereich mitnichten möglich sein kann – dazu bedürfte es großflächiger externer Kompensationsmaßnahmen -, ebenso wenig kann von einem “Biotopverbund innerhalb des Plangebiets” gesprochen werden (das kann man nur als Verhöhnung dieses Begriffs bezeichnen).
Und die Aussage „Eine vorgezogene Realisierung der Freifläche als vegetations- und artenreiche Grünfläche im westlichen Teil des Leuschnerplatzes kann einen entscheidenden Beitrag leisten, um Ausweichmöglichkeiten für vorhandene Arten des Plangebiets zu schaffen.“ verkennt völlig die Habitatansprüche der Arten. Ich kann sie mir schon vorstellen diese Fläche, nämlich das typische Sterilgrün in Neubaugebieten (übrigens in einem Bereich, der extrem stark von Fußgängern und Radfahrern frequentiert werden wird; im Gegensatz zu den jetzigen Brachen im hinteren z.T. ziemlich ruhigen Bereich); die Vögel brauchen aber “unaufgeräumte” Brachen oder ähnliches. Mit einer solchen Aussage betet man mehr oder weniger die Inhalte des artenschutzfachlichen Gefälligkeitsgutachtens (fachlich kaum zu unterbieten) nach… Das ist eine Nichtumsetzung des Artenschutzrechts!
Eine Forderung, den gesamten vorhandenen Gehölzbestand zu erhalten, finde ich auch nicht. Vielmehr finde ich die Formulierung “Durch die Regelung soll ermöglicht werden, im Einzelfall von der Baulinie abzuweichen, um geschützten Baumbestand zu erhalten.” Augenwischerei?
Die Fläche, wo die Bäume gerodet wurden, ist im Landschaftsplan des Stadtplanungsamtes als Park- bzw. Grünfläche ausgewiesen. Diese Umsetzung wird aber offensichtlich nicht gefordert. Wäre das zuviel verlangt, eine städtische Grünplanung einfach umzusetzen?
Warum denn überhaupt Parkplätze? Andere Städte machen es vor mit autofreien Quartieren.
Insofern finde ich die Änderungsanträge deutlich zu schwach. Wenn diese wenigstens als Kompromiss zwischen Bauboom und Umweltschadensminimierung deklariert würden, aber nein, es wird als Leuchtturmprojekt (ein Begriff, der auch gerne von den WTNK-Strateg*innen in Leipzig benutzt wird) für Klimaschutz und Artenschutz bezeichnet. Da wird mir ganz anders …. , zeigt es leider deutlichst die neoliberale Handschrift der Fraktion, in engem Schulterschluss mit dem antigrünen Baudezernat und der Bauwirtschaft, die offensichtlich alles daran setzen, Leizig für seine Bürger*innen in den Zeiten der Klimakrise unbewohnbar zu machen. Ich denke und hoffe, dass der NaBu sich damit nicht zufrieden geben wird. Unbedingt eine Extra-Mahnwache vor der Stadtratssitzung!