Ein kleines Zeitalter geht zu Ende. Nach und nach hebt Leipzigs Stadtrat die Sanierungsgebiete auf. 25 Jahre besondere Fรถrderung zur Aufwertung dieser Quartiere, die 1994 allesamt einen heruntergekommenen Eindruck machten, haben die Stadt verรคndert. Sie sind zu beliebten Wohnquartieren geworden, in denen einige Sanierungsprojekte zur lokalen Identitรคt gehรถren. Das Dezernat Stadtentwicklung und Bau hat jetzt fรผr das Sanierungsgebiet Plagwitz eine eindrucksvolle Abschlusspublikation vorgelegt.
Dabei kommt das Finale noch, denn die โSatzung zur Aufhebung der Sanierungssatzungen ,Leipzig-Plagwitzโโ kรถnnte im April auf der Tagesordnung des Stadtrates stehen. Teilgebiete aus diesem sehr anspruchsvollen Sanierungsgebiet wurden schon 2018 und 2019 entlassen. Denn als alles anfing 1994, da war Plagwitz ein grauer Stadtteil mit akutem Bevรถlkerungsschwund. Dem benachbarten Lindenau ging es nicht besser.Das Gebiet war geprรคgt von einer รผber 100 Jahre langen Industriegeschichte, von der diese von Birgit Seeberger und Stefan Geiss erstellte Publikation ebenfalls berichtet. Denn erst so wird greifbar, wie sehr sich das Gebiet verรคndert hat, das nicht nur den Karl-Heine-Kanal und die angrenzenden einstigen Industrieareale umfasst, sondern auch Teile von Lindenau.
Mit historischen Fotos bebildert gibt es also anfangs eine kleine Reise durch die Plagwitzer Industriegeschichte von den Zeiten Carl Heines รผber die Blรผtezeit einst weltberรผhmter Unternehmen bis in die DDR-Zeit, in der die alten Industriebauten ja alle weitergenutzt wurden, obwohl sie schon lรคngst nicht mehr dem Stand der Technik entsprachen.
Entsprechend heruntergewirtschaftet war alles 1990. Die Bausubstanz war ruinรถs und wer hier noch wohnte, lebte in einer von Staub und Rauch geprรคgten Umgebung, die der damaligen Stadtleitung eigentlich nur noch einen Ausweg lieร: Man wollte das komplette Gebiet leerziehen, weil es zum Bewohnen nicht mehr geeignet war.
Das รคnderte sich ja radikal nach 1990, als 80 Prozent der ansรคssigen Unternehmen binnen kurzer Zeit ihre Tore schlossen, von 18.000 Industriearbeitsplรคtzen 16.000 einfach verschwanden. Das Gebiet verwandelte sich ziemlich schnell in eine fast menschenleere Landschaft mit unbewohnbar gewordenen Wohnhรคusern und leergerรคumten Fabrikhallen.
Es war also folgerichtig, dass der Stadtrat 1994 hier die Einrichtung eines Sanierungsgebietes beschloss, Grundbedingung dafรผr, dass besondere Fรถrdergelder nicht nur in die Aufwertung von Straรenraum und Grรผnflรคchen flieรen konnten, sondern auch in die Unterstรผtzung von Haussanierungen und die Ansiedlung neuer Unternehmen. Auch wenn der Stadtrat damals genauso wenig wie die Verwaltung ahnen konnte, wie lange das am Ende dauern wรผrde.
Im Buch kommen auch einige der damals Verantwortlichen zu Wort, die die ersten Schritte zur Wiederbelebung des Gebiets organisierten โ so wie der damalige Leiter des Amtes fรผr Stadtsanierung und Wohnungsbaufรถrderung, Karsten Gerkens, oder Inge Kunath, die Leiterin des Grรผnflรคchenamtes, unter deren Regie 1993 die Revitalisierung des zur Abwasserkloake verkommenen Karl-Heine-Kanals begann und der Bau des 3,2 Kilometer langen uferbegleitenden Radweges, der quasi zum Symbol eines anderen, wieder lebenswerten Plagwitz werden sollte.
Das thematisierte die Stadt ja auch im Jahr 2000 mit ihrer Projektbeteiligung an der EXPO, wo sie die Transformation des alten Industriequartiers zu einem neuen, vielfรคltigen Stadtteil schon mal skizzierte, auch wenn das Jahr 2000 fรผr Plagwitz noch nicht wie ein Neubeginn aussah. Die Einwohnerzahl war auf unter 5.000 abgesackt. Leipzig hatte รผber 100.000 Einwohner verloren in diesen zehn ersten harten Jahren nach der โWendeโ. Und der Neubeginn wurde damals gerade erst in der Sรผdvorstadt und in Gohlis sichtbar. Wer zog denn damals nach Plagwitz?
Natรผrlich die Pioniere โ die Studenten, Grรผnder und Kรผnstler. Die Stadt baute ein Grรผnderzentrum โ das BIC. Und sie hรถrte auch in den Folgejahren nicht auf, einzelne Leuchttรผrme zu unterstรผtzen wie den neu entstehenden Park an der Industriestraรe, den Henriettenpark, die Sanierung der Konsumzentrale oder die Revitalisierung der Karl-Heine-Straรe.
Die ist heute zur lebendigen Hauptstraรe geworden, noch viel lebendiger als die Zschochersche Straรe. Und auch wenn viele Grรผnder, die hier um das Jahr 2000 starteten, anfangs zehn sehr schwere Jahre erlebten, wurde um das Jahr 2010 herum sichtbar, dass die vielen Unterstรผtzungsprogramme Frรผchte trugen. Die nun auch mit viel Fรถrderung sanierten Hรคuser fรผllten sich wieder, die Bevรถlkerungszahl verdoppelte sich geradezu.
Und am Ende stehen rund 23 Millionen Euro, die die Stadt รผber die verschiedenen Fรถrderprogramme in diesem Sanierungsgebiet investiert hat. Der reich bebilderte Band zeigt eine Vielzahl dieser Projekte โ von besonders schรถnen Hรคusern, die gerettet werden konnten, รผber kleine und groรe Parks bis hin zu neuen Attraktionen wie Westwerk, Tapetenwerk oder die regelrecht aufgeblรผhte Schauburg.
Auch die kleinen Krisen lรคsst der Band nicht weg, etwa den Kampf um das Zwischenprojekt Nachbarschaftsgรคrten an der Josephstraรe, das letztlich doch in groรen Teilen wieder neuer Bebauung weichen musste. Man sieht regelrecht, wie sich ein Baustein in den anderen fรผgte โ die Umgestaltung der alten Gleise zu Radwegen und die vรถllig neue Nutzung fรผr das Ensemble Philippuskirche, die Sanierung des legendรคren Felsenkellers und der Umbau alter verlassener Fabriken zu neuen, attraktiven Wohnensembles.
Erst diese Zusammenschau zeigt eigentlich, was so ein Projekt Sanierungsgebiet bedeutet, selbst dann, wenn Themen wie Stadtteilmanagement, Selbstnutzer und Mรผtterzentrum nur kleine Streiflichter bekommen kรถnnen.
Vielleicht im April wird nun der Stadtrat die Aufhebung des Sanierungsgebietes beschlieรen.
Was aber nicht das Ende sein wird, wie die Autor/-innen betonen. Denn eine kleine Dividende gibt es ja auch noch: Die Hausbesitzer zahlen ihre Ausgleichsbeitrรคge fรผr die Wertsteigerung, die ihr Haus durch alle diese Maรnahmen erfahren hat. Und diese Ausgleichsbeitrรคge flieรen wieder in Aufwertungsprojekte im Gebiet.
Die Publikation wurde in 1.000 Exemplare gedruckt und ist im Amt fรผr Wohnungsbau und Stadterneuerung erhรคltlich.
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