In der nächsten Ratsversammlung sollen die Leipziger Stadträtinnen und Stadträte darüber befinden, ob der Bebauungsplan für den Wilhelm-Leuschner-Platz in der Variante der Stadtverwaltung nun zum Beschluss wird oder nicht. Dass da irgendetwas falsch läuft, zeigten ja die Baumfällungen am 20. Januar auf dem Teilstück zwischen Windmühlenstraße und Brüderstraße.
Hier wurden mit einem Kaufvertrag mit dem Freistaat Sachsen schon Vorentscheidungen getroffen, noch ehe der Bebauungsplan wirklich vorlag. Und die Vorlage, die jetzt in den Stadtrat ging, erzählt nur zu deutlich davon, dass Grünflächen und schützenswerte Arten bei den Planungen der Stadt nur eine marginale Rolle spielten – trotz aller Diskussionen um Arten- und Klimaschutz.Mehrere Anwohner/-innen des Platzes haben jetzt einen Offenen Brief an den OBM, die zuständigen Bürgermeister und die Ratsfraktionen geschrieben.
Der Offene Brief
Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Jung,
sehr geehrter Herr Rosenthal,
sehr geehrter Herr Dienberg,
sehr geehrte Damen und Herren Stadträte,
als Leipzigerinnen und Leipziger rings um den Wilhelm-Leuschner-Platz verfolgen wir die Entwicklung dieser grünen Insel mit äußerster Sorge. Wir wissen nicht nur um die enorme Bedeutung des „Platzes der biologischen Vielfalt“, sondern kennen die 17 (in Worten: siebzehn) z. T. streng geschützten Vogelarten, die dort leben und die schattenspendenden Bäume, durch die trotz hohen Verkehrsaufkommens in Ringnähe der Lärmpegel gemindert wird.
In der aktuellen Diskussion um den Klima- und Umweltschutz wird der vom Stadtrat verabschiedete Bebauungsplan ein Schlag ins Gesicht aller Bürgerinnen und Bürger sein, denen nachhaltiges Handeln und biologische Vielfalt ein Anliegen sind.
Erfahrungen mit anderen Bauprojekten der Stadt Leipzig haben gezeigt, dass die praktizierte Art der Bebauung den gänzlichen Verlust an Lebensraum für Flora und Fauna zur Folge hat – in unmittelbarer Nähe des Leuschner-Platzes betrifft das etwa die Goldschmidtstraße 6–10, den Platz um St. Trinitatis, die Sternwartenstraße (Parkrodung) und selbst der auf den ersten Blick grün wirkende Addis-Abeba-Platz ist durch eine für eine Vogelbesiedelung ungeeignete Bepflanzung ökologisch wertlos.
Dabei gäbe es praktikable Alternativen. Um eine möglichst naturverträgliche Nutzung zu erreichen, hat der NABU Leipzig seit Beginn der Planungen für den Wilhelm-Leuschner-Platz seine Zusammenarbeit angeboten und dem Städtebau- und Umweltamt ausführliche Dokumentationen vorgelegt. Naturverträglich heißt dabei einerseits Bebauung, andererseits Hecken und Bäume sowie offene Blühflächen und sandige Stellen für Insekten, Vögel usw. einzurichten bzw. zu bewahren – ein echtes Biotop also zuzulassen.
Über die Art und Weise der Bebauung des Grundstücks am Wilhelm-Leuschner-Platz entscheiden Sie am 24. März 2021. Fällt das Votum gegen biologische Vielfalt und Naturschutz aus, käme das einem Widerruf Ihrer Verpflichtung zu nachhaltiger Stadtentwicklung gleich, und zwar aus folgenden Gründen:
1. Vernachlässigung des Leipziger Klima- und Umweltschutzes, denn jede Versiegelung durch Bebauung mit Gebäuden hat fatale Folgen: mehr Schadstoffe in der Luft, Temperaturerhöhung, Grundwasserreduzierung, Erhöhung der Überschwemmungsgefahr und höhere Lärmpegel sowie langfristig und dauerhaft den unumkehrbaren Verlust der natürlichen Bodenfunktion, Zerstörung der Lebensgrundlage und des Lebensraums für Menschen, Tiere und Pflanzen.
2. Vernachlässigung des Wohlbefindens der Leipziger Bürgerinnen und Bürger, denn prinzipiell vermindert jede Bebauung die m2-Zahl an Grünfläche pro Kopf, gleichzeitig erfordert die steigende Einwohnerzahl ein Mehr (und nicht weniger) an Grünfläche.
3. Störung des Vertrauens in die Gestaltungs- und Problemlösungskompetenz der Kommunalpolitik, denn Sie betonten selbst, wie bedeutsam der Naturhaushalt, das Klima, der Arten- und Biotopschutz sowie die Erholung seien: Sie riefen den Klimanotstand aus (2019); veranstalteten Naturschutzwochen mit Themen wie „Insektenvielfalt vor unserer Haustür“ (2019), „Biologische Vielfalt in der Stadt“ (2017) oder „Wilde Orte – Wildnis in der Stadt“ (2015); seit 2010 sind Sie im Bündnis „Kommune der biologischen Vielfalt“. Seit 2017 rühmt sich die Stadt Leipzig sogar, Mitglied im Biostädte Netzwerk zu sein!
Sie entscheiden am 24. März mit darüber, ob diese Bekundungen das Papier wert sind, auf dem sie festgehalten sind. Aktuell stehen sie im völligen Widerspruch zu Ihren Handlungen: am 20. Januar 2021 begann die Stadtverwaltung mit Baumrodungen auf dem Leuschner-Platz und vernichtete – ohne vorherige Prüfung durch Artenschutzgutachter – 500 Quadratmeter Fläche mit Sträuchern sowie mehr als ein Dutzend Bäume. Dieses Vorgehen lässt sich mit dem Gebot nach einem auch ökologisch reichhaltigen städtischen Lebensraum nicht vereinbaren.
Daher fordern wir den Stadtrat auf, einen Bebauungsplan zu erlassen, der Folgendes enthält:
1. Unbedingter Erhalt, Schutz und ggf. Neuschaffung intakter Lebensräume und Wanderungskorridore für das vorhandene Arteninventar, welches geschützt ist.
2. Unbedingter Erhalt, Schutz und ggf. Neuschaffung klimawirksamer, lärm- und feinstaubbindender Strukturen wie Gehölze und Freiflächen, um die Gesundheit der Anwohner zu schützen und bei etwaiger Erkrankung den Heilungsprozess zu beschleunigen.
3. Außerdem fordern wir einen ressourcenschonenden Flächenverbrauch, der sich vor allen Dingen in der vertikalen Richtung orientiert, d. h. die Grundfläche der geplanten Gebäude soll so reduziert werden, dass die umgebenden Bäume vollständig erhalten bleiben.
4. Zu guter Letzt fordern wir ein autofreies Quartier und damit die Entsiegelung der vorhandenen Straßen (das sind Markthallen- und Brüderstraße), eine entsprechende Begrünung dieser Flächen mit Langgraswiesen und großen zusammenhängenden einheimischen Strauchgruppen.
Mit freundlichen Grüßen
Die Anwohner des Wilhelm-Leuschner-Platzes
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