Das noch grüne Areal ist abgesperrt, ein Teil der Bäume ist gefällt. Die Grünfläche zwischen Grünewaldstraße und Windmühlenstraße erzählt seit ein paar Tagen davon, dass da etwas falschläuft – und zwar ausgerechnet in den beiden Ämtern, die sich in Leipzig um den Umweltschutz kümmern sollten. Dann aber, wenn es konkret wird, versagen sie alle beide. Und der NABU Leipzig ist zu Recht richtig wütend.
Der NABU Leipzig kämpft nun seit Jahren um den Erhalt der Artenvielfalt und grüner Rückzugsräume für die Tiere im Stadtgebiet. Auf das Areal am Wilhelm-Leuschner-Platz hat er ein besonderes Auge, denn städtische Planungen sehen hier eine fast flächendeckende Bebauung vor. Damit gehen die seit 70 Jahren gewachsenen Rückzugsräume für eine artenreiche Stadtfauna verloren.
Und man konnte durchaus den Eindruck gewinnen, dass die Verantwortlichen in der Verwaltung nicht einmal begriffen, was der NABU von ihnen wollte, als er einerseits die intensive Einbeziehung der Umweltverbände forderte und andererseits eine fachgerechte Erfassung aller vorkommenden (streng geschützten) Tierarten.
Ein seltsamer Verkaufs-Deal
All das ist städtischerseits bislang weder für das Gesamtareal am Leuschnerplatz passiert noch für die dreieckige Grundstücksfläche, die die Stadt an den Freistaat Sachsen verkaufen wollte. Was übrigens 2016 im Stadtrat diskutiert und beschlossen wurde. 2,7 Millionen Euro sollte der Verkauf bringen abzüglich eines Rabatts von 1 Million Euro, weil der Freistaat hier ein Forschungsinstitut unterbringen will, nämlich das Institut für Länderkunde.
Und möglicherweise fließt auch sonst kein Euro.
Denn in einer Neufassung von 2017 (über die freilich kein Stadtratsbeschluss nachweisbar ist), wurde noch ein Extra-Passus eingefügt: „Die Stadt Leipzig ist verpflichtet, dem Käufer die Kosten für die Beseitigung von Altlasten bis zur Höhe des Kaufpreises zu erstatten. Bei der Feststellung von Altlasten wird der Betrag in Höhe des Kaufpreises von 2.470.000,00 Euro nach § 79 (1) SächsGemO überplanmäßig im PSP-Element 1.100.11.1.3.05 bereitgestellt. Die Einzahlung aus Verkäufen PSP-Element 7.00000.51.770 dient als Deckung.“
Wenn das der Grundstücksausschuss in dieser Form genehmigt haben sollte, erzählt das eine Menge über das eigenartige Verhältnis der Stadt zum Freistaat. Denn wenn die Suche nach Altlasten die Summe von nun noch 1,4 Millionen Euro übersteigt, zahlt Leipzig sogar drauf. Die Altlastenerkundung ist notwendig, weil hier einmal eine Tankstelle gestanden hat.
Nach dieser letzten Meldung von 2017 passierte nichts mehr.
Bis dann die Verwaltung am 20. Januar ihre Ad-hoc-Meldung herausgab. Und umgehend zur Tat schritt.
Die ersten Rodungen am 20. Januar 2021 auf dem Leuschner
Video: Privat
Die Meldung der Stadt
Baugrunduntersuchungen für Neubau des Leibniz- Instituts für Länderkunde auf dem Leuschnerplatz
Für den geplanten Neubau des Leibniz-Instituts für Länderkunde werden seit Mittwoch, 20. Januar 2020, auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz erste Bäume und Gehölze gefällt. Hintergrund sind notwendige Baugrunduntersuchungen auf dem Areal. Der Untergrund des Baufeldes zwischen Grünewald-, Windmühlen- und Brüderstraße erfordert nicht zuletzt aufgrund der Sicherheitszone rund um den Citytunnel eine aufwendige Erkundung und Räumung der Fläche, bevor die Baugrube ausgehoben werden kann. Je nach Ergebnis der Untersuchung könnten die Erdarbeiten noch im Spätsommer dieses Jahres starten.
Die Rodungen sind mit dem Amt für Umweltschutz sowie dem Amt für Stadtgrün und Gewässer abgestimmt. Als Ausgleich sind auf dem Institutsneubau eine intensive Dachbegrünung und umfassende Neupflanzungen bei der Freiflächengestaltung vorgesehen: Allein zehn hochstämmige oder Solitärpflanzen mit einem Stammumfang von 30 bis 50 Zentimetern, sowie 79 Pflanzen mit einem Stammumfang von 14 bis 20 Zentimetern müssen bis Ende des Jahres 2022 gesetzt werden.
Der innovative Institutsneubau mit Bibliothek und Archiv will auf 6.000 Quadratmetern Nutzfläche Platz für über 150 Beschäftigte, für öffentliche Ausstellungen und Veranstaltungen schaffen. Im Herbst 2017 hatte der Freistaat Sachsen die 4.000 Quadratmeter große Teilfläche auf dem Leuschnerplatz von der Stadt Leipzig erworben.
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Viel Platz für eine Freiflächenbepflanzung wird da nicht mehr bleiben, schon gar nicht für zehn hochstämmige Bäume.
Und als sich dann am 22. Januar der NABU zu Wort meldete, wurde auch klar, dass die beiden beteiligten Ämter aus ihrem alten Trott einfach nicht herausgekommen waren: Weder wurden alle auf dieser Grüninsel vorkommenden Arten erfasst, noch ein Konzept erarbeitet, wie sie umgesiedelt und gerettet werden konnten.
Entsprechend dramatisch liest sich dann, was der NABU eiligst auf die Beine stellte.
Polizei stoppt Fällarbeiten
Um Baumfällungen auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz in Leipzig zu stoppen, ist der NABU Sachsen am Freitag, 22. Januar, aktiv geworden und hat einen Anwalt sowie die Polizei eingeschaltet. NABU-Mitglieder vor Ort waren am 21. Januar 2021 im Einsatz, um zu verhindern, dass gesetzlich geschützte Lebensstätten auf dem Areal zerstört werden.
„Die Gefahr ist noch nicht gebannt“, warnt der NABU, der noch dabei ist, weitere juristische Schritte vorzubereiten, denn die Stadt Leipzig prüfe parallel die rechtliche Lage, um die Rodungen auf dem Areal fortzusetzen. Um das dem Fällstopp zugrunde liegende Schreiben an die Arbeiter vor Ort zu überreichen, war für die NABU-Mitstreiter die Hilfe der Polizei notwendig.
„Falls für die Arbeiten die notwendigen Ausnahmegenehmigungen tatsächlich erteilt wurden, ist die naturschutzfachliche und rechtliche Grundlage dafür fraglich“, schätzt der Naturschutzbund ein. „Zudem wurde hier offenbar versucht, mit einer ,Hauruck-Aktion‘ naturzerstörerische Fakten zu schaffen. Ein solches Vorgehen verhöhnt das Engagement des ehrenamtlichen Naturschutzes und die Beteiligungsrechte der Bürgerinnen und Bürger.“
Aufmerksamen Anwohnern ist es zu verdanken, dass der NABU rasch informiert wurde, freut sich der Verein über die so wichtige schnelle Unterstützung. Der NABU Leipzig wirbt seit vielen Jahren öffentlichkeitswirksam für den Erhalt des Gehölzbestandes, auch wenn der Platz bebaut würde. Zudem verwies der NABU immer wieder darauf, dass für die Zerstörung von gesetzlich geschützten Lebensstätten vorgezogene Ausgleichsmaßnahmen, die die ökologische Funktion erhalten, notwendig und gesetzlich vorgeschrieben sind.
„Der Verweis der Stadtverwaltung auf geplante Dach- und Fassadenbegrünungen wird dem nicht gerecht, denn damit wäre die ökologische Funktion von großen Strauchgruppen und alten gesunden Bäumen nicht zu ersetzen, und es wäre auch kein vorgezogener Ausgleich“, betont der NABU.
Keine Untersuchung der Gehölze vor Fällarbeiten
Außerdem hatte der NABU darauf hingewiesen, dass bei Baumfällungen eine naturschutzfachliche Fällbegleitung nötig ist, um zu verhindern, dass Tiere in Baumhöhlen und in den Hecken verletzt oder getötet werden und dass gesetzlich geschützte, wiederkehrend genutzte Lebensstätten ohne Ausgleich verloren gehen.
Der NABU konnte jedoch beobachten, dass vor den Fällarbeiten Stämme und Äste nicht untersucht wurden. Die für die Zerstörung von Lebensstätten notwendige artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigung sowie die Genehmigung zur Fällung der Bäume wurden einer Pressemitteilung der Stadt zufolge erteilt – unklar ist jedoch, auf welcher sachlichen Grundlage.
Über Monate hinweg hatte der NABU Leipzig schon im Vorfeld mehrfach Akteneinsicht beantragt. Obwohl es nach dem Umweltinformationsgesetz ein Recht darauf gibt, wurden von den zuständigen Ämtern die erbetenen Informationen nicht an den NABU übermittelt, Antwortschreiben gab es nie oder mit erheblicher Verspätung. Auch dagegen prüft der NABU rechtliche Schritte.
Für die geplante bauliche Umgestaltung des Platzes muss der Stadtrat einen Bebauungsplan beschließen. Das ist noch nicht erfolgt.
Für den Institutsneubau auf dem Grundstück an der Grünewaldstraße gab es auch schon einen Architekturwettbewerb.
Mit den umfangreichen Rodungen habe die Stadt jetzt aber bereits begonnen, Fakten zu schaffen und die Lebensstätten der Tiere unwiederbringlich zu vernichten. In Zeiten von Artensterben und Klimawandel ist dieses Vorgehen nach Auffassung des NABU Sachsen nicht nur rechtswidrig, sondern auch ignorant und unzeitgemäß. Mehrfach wurde dem NABU eine Zusammenarbeit und eine frühzeitige Information zugesagt, diese Zusage aber nicht eingehalten. Der Appell des NABU, frühzeitig Ausweichlebensräume im Umfeld des Platzes zu schaffen, wurde ignoriert.
Wobei hier zu betonen ist: Diese öffentlichen Forderungen bezogen sich auf das ganze Stadtgebiet – bis hin zu einem umfassenden Artenschutzkataster, das die Verwaltung in dieser Form aber abgelehnt hat. Denn wenn die Standorte streng geschützter Arten tatsächlich aktenkundig sind, kann man eben nicht einfach mehr eine generelle Fällgenehmigung für Bäume ausreichen.
So wurden dann auch umliegende Brachflächen inzwischen bebaut und Parkanlagen und Grünflächen derart umgestaltet und „gepflegt“, sodass sie als Ausweichlebensraum nicht infrage kommen, kritisiert der NABU. Die Politik der Grünverwaltung ist also durchaus zwiespältig und schwankt zwischen Blühwiesen auf der einen Seite und formlos genehmigten Baumfällungen auf der anderen.
Der Grünspecht unter den Opfern
Der NABU Leipzig hat freilich in aufwendiger ehrenamtlicher Arbeit auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz Brutvogelarten erfasst und festgestellt, dass das Areal ein „Platz der Biologischen Vielfalt“ ist: Hier leben mehr Arten als auf vergleichbar großen Flächen in den umliegenden Parkanlagen.
„Diese Vielfalt wird veralteten Bauprojekten achtlos geopfert“, kritisiert Bernd Heinitz, Landesvorsitzender des NABU Sachsen. „Außerdem werden die Rechtslage und die engagierte Arbeit des ehrenamtlichen Naturschutzes ignoriert. So kann man mit den berechtigten Anliegen des Biotop- und Klimaschutzes nicht umgehen. Zumindest muss aber der gesetzliche Artenschutz beachtet werden.“
Unter den nachgewiesenen Brutvogelarten ist auch der gesetzlich streng geschützte Grünspecht.
Wiederholte Fragen des NABU, wie das Überleben dieser Art gesichert werden soll, blieben in den Leipziger Ämtern unbeantwortet, teilt der Verein mit. Zudem bezweifelt der NABU grundsätzlich, dass die Naturschutzbehörde für artenschutzrechtliche Ausnahmegenehmigungen überhaupt eine gesicherte Datengrundlage hat.
Überdies ignoriere die Stadtverwaltung mit ihren Bauplänen Selbstverpflichtungen der Stadt für den Schutz der biologischen Vielfalt sowie den vom Stadtrat ausgerufenen Klimanotstand.
„Ein Klimanotstand erlaubt es nicht, einen grünen, lebendigen Ort mitten in der zunehmend überhitzten Innenstadt zuzubetonieren. Ein gesunder Gehölzbestand wird hier geopfert, während anderswo in der Stadt Bäume vertrocknen. Alternativen für die geplante Nutzung werden offenbar gar nicht in Erwägung gezogen. Es gibt hier genug versiegelte Flächen und leerstehende Gebäude“, erläutert René Sievert, Vorsitzender des NABU Leipzig.
„Eine moderne, natur- und ressourcenschonende Bebauung des Platzes wäre möglich, vorhandene Gehölzstrukturen müssten erhalten bleiben. Sie dienen als Lebensraum, Klimaanlage und könnten ein attraktives Umfeld des neuen Standorts des Naturkundemuseums bilden. Wir brauchen mehr Grün in der Stadt, nicht weniger.“
Der NABU Sachsen fordert die Leipziger Stadtverwaltung deshalb auf, die Fällungen und Rodungen sofort zu beenden, vor der weiteren Zerstörung von Lebensstätten vorgezogene artenschutzfachliche Ausgleichsmaßnahmen im räumlichen und ökologischen Zusammenhang zu realisieren, Einsicht in Akten zu geben und die Baupläne grundsätzlich im Sinne von Biotop- und Klimaschutz zu überarbeiten.
Was dann die Baupläne des Freistaats für das neue Institutsgebäude weiter verzögern wird. Was aber auch zeigt, wie schwer sich gerade Leipzigs Umweltschutzämter tun, die Grundlagen der eigenen Arbeit ernst zu nehmen. 2016 nahm übrigens auch die Stadtratsmehrheit das Thema Biologische Vielfalt noch nicht ernst, denn entsprechend stringente Einwendungen zur Vorlage des Liegenschaftsamtes gab es damals nicht. Der Stadtrat fokussierte sich viel mehr darauf, dass auch noch ein Anteil Wohnungsbau auf dem Grundstück erfolgen sollte.
Und auch der NABU griff damals nicht ein, vielleicht, weil er die Grünfläche ganz selbstverständlich als Teil des ganzen Leuschnerplatzes betrachtete, dessen Artenvielfalt man dann auch in Gänze untersuchte.
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Es gibt 2 Kommentare
Guter Artikel und begrüßenswertes Engagement des NABU. Da kann man nur Erfolg wünschen!
Aber die Frage steht schon, warum der NABU beim Auenwald ähnlich gravierende Eingriffe nicht nur duldet, sondern sogar öffentlich begrüßt. Hier wäre, auch im Sinne der Glaubwürdigkeit eine kritischere Sichtweise auf die Maßnahmen von Stadtforsten und Sachsenforst wünschenswert.
Im Text wird dargelegt, dass sich der Stadtrat bereits 2016 mit dem Wilhelm-Leuschner-Platz befasste, nicht aber mit dem Thema Biologische Vielfalt, “und auch der NABU griff damals nicht ein”. – Tatsächlich hat sich der NABU bereits seit 2015 mit den Planungen beschäftigt, erste Arten auf dem Areal erfasst, später auch eine Langzeitbeobachtung ortstreuer, beringter Amseln gestartet. Bereits 2016 veröffentlichte der NABU Leipzig ein erstes Positionspapier, welches u.a. der Stadtverwaltung zuging, zudem nahm der NABU ebenfalls 2016 Kontakt zum Flächenkäufer (Freistaat) auf und zu den auf dem Leuschnerplatz tätigen Architekten. Dabei wurde jeweils auf die drohenden artenschutzrechtlichen Konflikte hingewiesen, eine naturschonende Bebauung wurde angemahnt. (www.nabuleipzig.de/wlp-rodungen/#papiere) Die Artenschutzprobleme und die bedrohte Biologische Vielfalt waren damit allen Verantwortlichen frühzeitig bekannt. Nachfragen, wie dementsprechend ein artenschutzfachlicher Ausgleich vorbereitet wurde, blieben ergebnislos, dieser Ausgleich fand offenbar bisher nicht statt, was leider auch bei diversen anderen ähnlich gelagerten Bauprojekten zu beobachten ist. Die Lebensräume gehen mehr und mehr verloren, Leipzig schrumpft http://www.NABU-Leipzig.de/Leipzig-schrumpft