Kommt das Baugeschehen auf dem Eutritzscher Freiladebahnhof jetzt wirklich ins Rollen? Mit 48 Pro-Stimmen, keiner Gegenstimme und 12 Stimmenthaltungen hat die Ratsversammlung am 24. November den Masterplan zum Projekt „Freiladebahnhof Eutritzscher Straße“ beschlossen. Drei Neufassungen der Vorlage dazu hatte das Dezernat Stadtentwicklung und Bau entwickelt. Am Ende gab es noch einen Änderungsantrag von CDU und SPD.
„Der vorliegende Entwurf zum Masterplan ist ein belastbarer Startpunkt für die weitere Projektentwicklung – und über deren Verlauf, dazu kenne ich uns alle inzwischen gut genug, werden wir noch oft genug diskutieren. Wir sollten nur endlich mit der Entwicklung des Areals beginnen. Der Rest – und das haben wir aus den Bauarbeiten zum BER gelernt – dauert sowieso noch lang genug“, sagte SPD-Stadtrat Professor Dr. Getu Abraham in seiner Rede zur Vorlage des Masterplans, in der er sich der leisen Ironie nicht enthalten wollte.
Weniger ironisch, aber mit deutlich größerem Zweifel sprach Linke-Stadträtin Franziska Riekewald zum Thema: „Heißt das, Imfarr hat vor, noch mehr Leipziger Grundstücke zu erwerben um damit zu spielen oder heißt das, dass die 416 GmbH wirklich bereit ist, das Areal Eutritzscher Bahnhof in guter Qualität und mit bezahlbaren Mieten zu entwickeln?“
„Hoffen wir auf das Letztere, denn wir alle wissen aus dem Spiel Monopoly, wer am Ende die Zeche bezahlt: die Mieterinnen und Mieter“, sagte sie in ihrer Stadtratsrede. „Schon zum jetzigen Stand muss der Investor mit einer Miete pro qm von ca. 14 € kalkulieren. Und mit jedem Weiterverkauf wird diese Miete noch steigen. Deshalb gilt es genau diese Spirale von Kauf und Weiterverkauf zu durchbrechen. Denn am Ende so einer Spirale hätten wir als Leipzig vielleicht ein neues Stadtquartier, in dem sich jedoch die/der normale Leipziger/-in keine Wohnung mehr leisten kann.
Das Nettoeinkommen in Leipzig liegt im Median nun mal immer noch bei unter 1.500,- €. Wenn man davon nicht mehr als 30 % für die Miete zahlen will und sollte, ist das eine Brutto-Miete von 450,- €. Und selbst wenn ich zwei Einkommen habe und somit 900,- € für die Miete – also inkl. Nebenkosten – ausgeben kann, bin ich gewiss nicht in der Lage, eine Kaltmiete von mehr als 9,- € pro Quadratmeter zu bezahlen.“
IMFARR will 2021 die nächsten Schritte gehen
Am Mittwoch dann meldeten sich Stadtverwaltung und IMFARR zu Wort und betonten beide, dass sie den nun beschlossenen Masterplan zur Entwicklung des Quartiers als Startschuss nehmen, endlich loszulegen.
Auf dem rund 25 Hektar großen Gelände an der Eutritzscher und Delitzscher Straße soll in den nächsten Jahren das größte neue innerstädtische Quartier Leipzigs für etwa 3.700 Menschen entwickelt werden. Vorgesehen sind nicht nur ein 55.000 Quadratmeter großer Park, sondern auch ein Schul- und Sportcampus mit einer vierzügigen Grundschule sowie eine fünfzügige Oberschule, zwei Kitas mit jeweils 165 Plätzen und kulturell-soziale Einrichtungen.
Immerhin sollen hier bis zu 2.400 Wohnungen (davon 30 Prozent mietpreis- und belegungsgebunden) entstehen, 96.000 Quadratmeter Büros, Einzelhandel, Arztpraxen, Gastronomie. Auf etwa 30 Prozent der Wohnfläche sollen miet- und belegungsgebundene Wohnungen entstehen. Aufgrund der zentrumsnahen Lage ist der neue Stadtteil zudem als autoreduziertes Quartier konzipiert.
In einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Leipzigs Baubürgermeister Thomas Dienberg lobte IMFARR-Seniorchef Nematollah Farrokhnia am Mittwoch die gute Zusammenarbeit mit der Stadt Leipzig: „Wir danken der Stadt Leipzig, Herrn Oberbürgermeister Jung und dem neuen Baubürgermeister Thomas Dienberg ausdrücklich für die konstruktiven Gespräche und Verhandlungen der letzten Wochen und Monate und freuen uns darauf, dieses Projekt nun gemeinsam umzusetzen. Im ersten Quartal 2022 werden die ersten Kräne stehen.“
Jürgen Wöss, Geschäftsführer der Leipzig 416 GmbH, erklärte: „Wir haben vier Bauabschnitte geplant. Im ersten, westlich an der Eutritzscher Straße, werden rund 500 Wohnungen entstehen.“
Die denkmalgeschützten Gebäude des Lokschuppens und des Ladeschuppens werden saniert und stehen für kulturelle Nutzungen zur Verfügung. Aktuelle Mietverhältnisse, wie das des „TV Clubs“, werden solange wie möglich aufrechterhalten und danach bei der Umsiedlung in neue Objekte inhaltlich wie auch finanziell unterstützt.
„Leerstand ist kein Ziel – weder von der Stadt Leipzig noch von IMFARR.“ Mit diesen Worten entgegnete IMFARR-Kommunikationschef Matthias Euler-Rolle den Befürchtungen von zukünftig überhöhten Mieten: „Neben den mietpreis- und belegungsgebundenen Wohnungen werden die Preise des frei finanzierten Teils den Marktgegebenheiten angepasst sein.“
Die Erschließungsplanung des Projektes laufe bereits, der Offenlagebeschluss wird bis Mitte 2021 und der Satzungsbeschluss bis Ende 2021 angestrebt, so die ambitionierten Ziele von Nematollah Farrokhnia. IMFARR wird das kompetente Team vor Ort weiter aufstocken und lokale Fachplaner mit Großprojekt-Erfahrung in Leipzig beauftragen. Und Nematollah Farrokhnia erklärte noch, dass die Firma IMFARR Projektentwickler und kein Bestandshalter ist: „Wir kaufen, wir entwickeln, wir bauen. Dafür sind wir nach Leipzig gekommen und wir bleiben mindestens, bis wir unseren Job erledigt haben.“
„Damit sind wir bei diesem für Leipzig in seinen Dimensionen einzigartigen Projekt einen großen Schritt vorangekommen. Ich danke allen Beteiligten, sowohl aufseiten des Investors als auch innerhalb der Stadtverwaltung, für die konstruktive und zielorientierte Zusammenarbeit auf dem nicht immer einfachen Weg“, betonte Oberbürgermeister Burkhard Jung.
„Mit dem Beschluss des Stadtrates haben wir gemeinsam die Weichen gestellt für die konkrete Planung des ersten vornehmlich nach ökologischen Gesichtspunkten konzipierten Stadtteiles in Leipzig. Das ist ein großer Schritt für die Stadt“, erläutert Baubürgermeister Thomas Dienberg. „Wir freuen uns darauf, dass der Investor beim Projekt Leipzig 416 nun bald in die Umsetzung der anspruchsvollen gestalterischen und ökologischen Anforderungen gehen kann.“
Verzögerung durch Weiterverkauf 2019
Ausgangspunkt für den Masterplan war der Entwurf des Planungsteams Octagon Architekturkollektiv, Leipzig und Atelier Loidl, Berlin, der im August 2017 als Sieger aus einem städtebaulichen Werkstattverfahren hervorging. Dieses Konzept war unter Beteiligung der Öffentlichkeit sowie nach städtebaulichen und verkehrsplanerischen Aspekten weiterentwickelt worden.
In der zeitlichen Umsetzung des Großprojektes hatte es mehrfach Verzögerungen gegeben, die unter anderem auf Eigentümerwechsel zurückzuführen waren. Nach dem Verkauf des Areals von der CG Gruppe AG an die Leipzig 416 im Oktober 2019 begannen unverzüglich die Verhandlungen mit dem neuen Vorhabenträger. Einer der kompliziertesten Themenkomplexe war dabei die Sicherung von Erwerbs- und Ankaufsrechten, beispielsweise für öffentliche Straßen, Wege und Grünflächen, aber auch für Schulen, Kitas und Kultureinrichtungen, zugunsten der Stadt.
Weshalb am Dienstag, 24. November, auch noch ein Änderungsantrag der Fraktionen von CDU und SPD positiv abgestimmt wurde. Darin ging es logischerweise um die nächsten zeitlichen Fristen: „Die überarbeiteten Arbeitsstände nach Punkt 2 der Vorbemerkung des PEV zur Umsetzung der Planungsziele gemäß VI-A-06105-NF-03 werden dem Stadtrat spätestens 3 Monate vor Offenlagebeschluss, bzw. bis Juni 2021, zugeleitet und von der Ratsversammlung bestätigt. Der Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau wird fortlaufend über die Entwicklung der Sachstände informiert.“
Was die beiden Fraktionen natürlich auch begründeten: „Weder der Stadt Leipzig noch dem Vorhabenträger wäre damit geholfen, wenn wir das Bauleitverfahren auf die lange Bank schieben. Wir brauchen bald Klarheit über die Eckpunkte für den Auslegungsbeschluss und damit auch Klarheit über die ggf. für Leipzig interessanten Flächen. Mit einer unnötigen Verschleppung des Verfahrens verteuert sich das Projekt und damit auch die Mieten in diesem Gebiet.
Zu diesem Zweck müssen alle Akteure zusammenarbeiten: der Vorhabenträger, die Stadtverwaltung und auch der Stadtrat. Mit der zeitnahen Vorlage der Rahmenbedingungen für den Auslegungsbeschluss wird der Stadtrat in die Lage versetzt, konstruktiv mitzuwirken und die Interessen der Stadtgesellschaft in diesem Trialog wahrzunehmen.“
„Es war ein Tanz auf Messers Schneide. Es fehlt nicht viel, und wir hätten eine Dauerbrache mitten in unserer Stadt bekommen. Leidtragende wären wir Leipziger gewesen, nämlich die potenziellen Mieter und die Schülerinnen und Schüler, die künftig auf dem Gelände des ehemaligen Freiladebahnhofs wohnen und lernen können“, sagte CDU-Stadträtin Dr. Sabine Heymann nach der Stadtratssitzung am Dienstag.
Für die Phase der Umsetzung des Projekts fordert Heymann nun eine bessere Zusammenarbeit der Beteiligten. Insbesondere Stadtrat und -verwaltung hält sie dabei an, konstruktiv auf das gemeinsame Ziel der Entwicklung der derzeitigen Brachfläche hinzuarbeiten.
„Als CDU-Fraktionen bauen wir darauf, dass nur ein kooperatives Miteinander dazu beitragen kann, aus diesem Projekt ein Vorzeigeprojekt zu machen. Dazu ist nun dringend partnerschaftliche Arbeit nötig. Die Zeit des Hinhaltens und der ständigen, zum Teil ausufernden und schlicht nicht umsetzbaren Nachforderungen an den Vorhabenträger muss nun endlich ein Ende haben. Stattdessen hoffen wir, dass der gestrige Beschluss als Startsignal für ein erfolgreiches Projekt wirkt, bei dessen Realisierung alle an einem Strang ziehen.“
Die Uhr läuft.
Die Debatte am 24.11.2020 im Stadtrat Leipzig
Video: Livestream der Stadt Leipzig
Eutritzscher Freiladebahnhof: Neue Vorlage für den Stadtrat und Grüne-Antrag zum Grundstückserwerb
Leipziger Zeitung Nr. 85: Leben unter Corona-Bedingungen und die sehr philosophische Frage der Freiheit
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Hmmm, wenn die CDU spricht:
“Die Zeit des Hinhaltens und der ständigen, zum Teil ausufernden und schlicht nicht umsetzbaren Nachforderungen an den Vorhabenträger muss nun endlich ein Ende haben.”
Welche gab es denn da, die den Herrn C.G. konkret dazu bewogen haben, dass er “sein” Grundstück und Firma in ein neues Firmenkonsortium eingebracht hat, wo er wohl jetzt nur noch als Marke fungiert, dass dann von diesen wohl aus ‘Firmenrettungsgründen’ wirklich an Imfarr verkauft wurde?
Na Hauptsache, die öffentliche Durchwegung bleibt auch erhalten bzw. wird mitgedacht.
Nicht dass da, so wie in Schleußig, durch Grundstücksteilungen und (Wieder-)Zusammenkauf, der öffentliche Weg vom Amboß-Steg (Entenbrücke) zur Schwimmhalle, ‘verschwindet’.
Wobei es den schon seit altvorderen Zeiten gab, also vor dem Bau der ersten Schwimmhalle zu DDR-Zeiten. Aber jetzt sitzt da ja eine ‘Rentner-Burg’ drauf, kann man nichts mehr machen.
Also, manches sollte man sich doch zweimal anschauen,
vor allem wenn da jemand meint, dass da nun endlich mal gebaut werden muss.