Auch das könnte am heutigen Mittwoch, 7. Oktober, zu einem Debattenthema im Leipziger Stadtrat werden: Denn jetzt soll der Bebauungsplan Nr. 392 „Wilhelm-Leuschner-Platz“ in der Ratsversammlung beschlossen werden. Der Plan sieht eine Versiegelung von knapp zwei Hektar Fläche vor, eine Überbauung aller vorhandenen Grünflächen sowie eine vollständige Rodung des Gehölzbestandes. Das finden die Grünen inakzeptabel. Aber auch der Stadtbezirksbeirat Mitte hat sich zu Wort gemeldet.
Um das in den vergangenen Jahrzehnten gewachsene Grün auf der Platzfläche, die als Brache rund um das ehemalige Markthallenviertel entstanden ist, kämpft schon seit längerem der NABU, aufgeschreckt durch die vielen in den letzten Jahren zugebauten Baulücken und die damit verschwundenen Lebensräume für allerlei Tiere, Insekten und Pflanzen. So geht nicht nur die Artenvielfalt in der Stadt immer weiter zurück. Auch die Anwohner finden immer weniger Orte zur Erholung und es fehlen zunehmend die kühlenden Plätze, die im Klimawandel immer wichtiger werden.
Dem Stadtbezirksbeirat Mitte lag freilich auch am Herzen, dass die Stadt hier nicht einfach wieder wertvolle Grundstücke im Herzen der Stadt auf Dauer verkauft. Denn wenn sie erst einmal verkauft sind, hat die Stadt auch künftig kaum noch Einfluss darauf, was dort geschieht.
„Der Wilhelm-Leuschner-Platz gehört zu den letzten großen Brachen im Zentrumsbereich“, schrieb der Stadtbezirksbeirat in seinem Änderungsantrag. „Ein jahrelanges Planungsverfahren hat zum Ergebnis gebracht, auf dieser Fläche künftig eine urbane und vielseitige Nutzung zu ermöglichen, die zudem als Bindeglied zwischen Innenstadt und Südvorstadt fungieren soll. Verkehrsgünstig gelegen, sollen hier neben Wohnungen auch öffentliche Institutionen mit hoher Besucherfrequenz angesiedelt werden.
Dazu kommt ins Zentrum des Platzes der Sonderbau einer Markthalle mit entsprechender Anziehungskraft. Um diese Ziele und Ansprüche auch künftigen Generationen zu sichern, sollen die Flächen im mittleren und nördlichen Baufeld (MK 1, 2, 3, 4 & SO) als strategische Liegenschaften mit geeigneten Instrumenten im Eigentum der Stadt Leipzig verbleiben.“
Die SPD-Fraktion vermisst in den Plänen sowohl einen Kinderspielplatz als auch konkrete Pläne für die anzusiedelnde Juristische Fakultät der Uni Leipzig.
Und ganz wie der Stadtbezirksbeirat hat auch die Freibeuter-Fraktion einen Antrag ins Verfahren gegeben, in dem mehr Wohnungsbau im Gebiet gesichert werden soll.
Man merkt schon, wie unzufrieden einige Ratsfraktionen mit der Vorlage der Stadt sind. Dass die AfD-Fraktion just das Gegenteil beantragt – noch mehr Versiegelung und noch mehr Parkraum für Autos – war fast schon zu erwarten.
Und auch wenn die Grünen-Fraktion diesmal selbst keinen Änderungsantrag eingereicht hat, wird sie sich der Debatte nicht entziehen können und möglicherweise die Anträge der Linksfraktion unterstützen, die sich wie der Stadtbezirksbeirat gegen einen Verkauf der Grundstücke ausgesprochen hat.
Aber auch für deutlich mehr Wohnungsanteil.
In einem gesonderten Antrag nahm die Linksfraktion das Anliegen des NABU auf und fordert ein Artenschutzkonzept für den Wilhelm-Leuschner-Platz. Darin heißt es zum Beispiel: „Die Verwaltung wird beauftragt, bis zum Satzungsbeschluss des Bebauungsplans Nr. 392 „Wilhelm-Leuschner-Platz, Stadtbezirk Mitte, Ortsteil Zentrum Süd“ ein Artenschutzkonzept vorzulegen. In diesem Artenschutzkonzept sind für jede von den Bautätigkeiten bedrohte Tierpopulation Maßnahmen darzulegen und festzusetzen, welche nötig sind, um einen Verlust zu vermeiden. Als Leitbild soll das Konzept des ,Animal Aided Designs‘ vom Bundesamt für Naturschutz angewendet werden. Bei der Erstellung sind die Umweltverbände einzubeziehen.“
Entziehen kann sich dem Thema auch die Grünen-Fraktion nicht. Denn im Vorfeld hat der grüne Kreisverband schon deutlich gemacht, was er bei den Entscheidungen zum Wilhelm-Leuschner-Platz erwartet. Zum Beispiel den Erhalt der Bäume. Denn: Zum Wilhelm-Leuschner-Platz gehören an die 100 vitale Bäume, Lebensraum nicht nur für eine Reihe von geschützten Vogelarten.
„Wir Bündnisgrüne stehen nicht nur für Stadtgrün zur Erholung und die Erhaltung von Kaltluftentstehungsgebieten, sondern auch für konsequente Erhaltung der Artenvielfalt“, erklärte dazu Ingo Kirst, Sprecher der AG Umwelt- und Klimaschutz der Leipziger Grünen.
„Der Leuschnerplatz verdeutlicht die grundsätzliche Haltung der Stadtverwaltung: von Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu sprechen, aber das Gegenteil zu tun. Gerade vor dem Hintergrund des Klimawandels muss es möglich sein, jahrzehntealte Baupläne zu überarbeiten und so notwendige Innenverdichtung UND Natur- und Klimaschutz zu verbinden. Andere Städte zeigen, dass das geht.“
Bäume, Sträucher und Wiesen sorgen in der Stadt das ganze Jahr für Frischluftzufuhr und für Abkühlung im Sommer. Das Stadtklima verschlechterte sich in den letzten drei Dürrejahren spürbar, tausende Stadtbäume vertrockneten. Zudem werden Ausgleichsmaßnahmen für Grünflächenverluste vor allem außerhalb der Stadt hergestellt und Neupflanzungen gehen zahlreich ein, kritisieren die Grünen.
Ulrike Böhm, die Sprecherin des Grünen-Stadtverbandes, führt die ehrgeizigen Ziele ins Feld, die sich die Stadt Leipzig gesetzt hat. „Seit dem 30. Oktober 2019 gilt in Leipzig der Klimanotstand – dies zu erreichen, war ein hartes Stück Arbeit auch für uns Grüne. Leipzig soll bis zum Jahr 2050 klimaneutral werden. Dafür wurde ein ambitioniertes Sofortmaßnahmenprogramm zur Erreichung der kommunalen Klimaschutzziele durch die Ratsversammlung verabschiedet. Wir Grünen wollen, dass dies nun auch bei älteren Bauprojekten beachtet wird.“
Dem Beschluss des Bebauungsplanes folgt die öffentliche Auslegung der Pläne. Da können dann auch die Bürgerinnen und Bürger Leipzigs Einsicht nehmen in das, was die Stadt bei der Neubebauung des riesigen Areals plant.
„Es wäre schön, wenn möglichst viele Leipzigerinnen und Leipziger mit Herz und Sachverstand dieses demokratische Element der Bürgerbeteiligung nutzen würden“, wünscht sich Ulrike Böhm.
„Es sind so viele Alternativen denkbar: Höher bauen und dadurch den Flächenverbrauch mindern, was wiederum bedeuten könnte, dass weniger Bäume gefällt werden müssen. Man kann Dachgärten und bepflanzte Terrassen anlegen, ein zentraler grüner Hotspot ist denkbar. Die Entwicklung einer Vision von einem Naturkundemuseum inmitten erlebbarer Natur und mitten in der Stadt wäre eine angemessene Antwort nicht nur auf die klimatischen Herausforderungen der Gegenwart. Wir könnten im wahrsten Sinne des Wortes Bäume versetzen.“
NABU Leipzig erinnert den Stadtrat daran, dass Klimaschutz und Biologische Vielfalt auch am Wilhelm-Leuschner-Platz zu beachten sind
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