Es war ein massiver Eingriff in die Bürgerrechte, als Sachsens Polizei 2018 rund um die Eisenbahnstraße eine Waffenverbotszone einrichtete. Und es wurde geradezu peinlich, als Innenminister Roland Wöller 2019 erklärte, dass eine unabhängige Prüfung von Sinn und Erfolg dieser Sonderzone gar nicht beabsichtigt sei. Die Polizei soll sich hier quasi selbst evaluieren. Das findet selbst FDP-Stadtrat Sven Morlok völlig am Thema vorbei.

Denn dass es rund um die Eisenbahnstraße immer wieder zu Konflikten kam, hat eben nichts damit zu tun, dass die Bewohner des Gebiets besonders aggressiv oder kriminell sind. Es sind immer wieder soziale Konflikte, die sich entladen. Und die löst man nicht mit Polizeimethoden. Das hat noch nie funktioniert.

Aber der feste Glaube der sächsischen Innenminister, soziale Probleme mit noch mehr Kontrollen und Überwachung in den Griff zu bekommen, ist augenscheinlich unerschütterlich. Lieber steckt man immer mehr Geld in Überwachung, als im Viertel den Aufbau echter Integrationsangebote zu unterstützen.

Schon 2018 war klar, dass hier die auch vom Leipziger Stadtrat gewollte Präventionspolitik der Stadt mit dem Kontrolldrang des damaligen Innenministers kollidierte. Doch Leipzig zog lieber den Kopf ein und ließ den Minister machen, auch wenn es kein besseres Mittel gibt, das Misstrauen in einem Stadtviertel am Kochen zu halten, als es unter permanente Generalkontrolle zu stellen.

Obwohl die Leipziger Polizei eigentlich immer nur tagesaktuell zu Großkontrollen einfliegt.

So hieß es in der jüngsten Auskunft des Innenministers zur Anfrage der Linken-Landtagsabgeordneten Kerstin Köditz zum August: „Bei drei Einsatzmaßnahmen des Polizeivollzugsdienstes erfolgten 94 einzelne Personenkontrollen/Identitätsfeststellungen. Dabei wurden neun Verstöße gegen die Verordnung des Sächsischen Staatsministeriums des Innern über die Einrichtung einer Verbotszone zum Schutz vor Waffen und gefährlichen Gegenständen in Leipzig festgestellt. Es wurden sechs Messer, ein Baseballschläger und zwei Reizstoffsprühgeräte sichergestellt.“

Die Waffenverbotszone gilt seit Mai 2018 in der Eisenbahnstraße als erste und einzige in Sachsen. Demnach ist das Mitführen von Waffen und gefährlichen Gegenständen im Geltungsbereich untersagt. Die Einrichtung einer Waffenverbotszone berechtigt die Polizei zu anlasslosen Kontrollen der Bürger vor Ort. Das kann man auch reine Symptom-Bekämpfung nennen. Ganz abgesehen davon, dass man hier einen Stadtteil stigmatisiert, statt die sozialen Konflikte mit echter Unterstützung anzugehen.

Und so findet die Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat diese Sonderkontrollzone längst völlig überzogen und beantragt, den Oberbürgermeister zu beauftragen, sich beim Freistaat Sachsen für die Abschaffung der Waffenverbotszone in der Eisenbahnstraße in Leipzig einzusetzen.

Aus Sicht der Fraktion wäre das nur ein konsequenter Schritt. So habe sich auf Vorschlag der Verwaltung eine Mehrheit aus Linken, Grünen und SPD im Leipziger Stadtrat für die Einführung einer Sozialen Erhaltungssatzung in der Eisenbahnstraße mit Wirkung zum 5. Juli 2020 ausgesprochen.

Vor dem Hintergrund, dass Soziale Erhaltungssatzungen der Erhaltung eines bestimmten Milieus in einem Quartier dienen, schlussfolgert der Vorsitzende der Fraktion Freibeuter im Leipziger Stadtrat, Sven Morlok (FDP): „Eine besondere Gefährdungslage in der Eisenbahnstraße gibt es nach Ansicht der Stadtratsmehrheit offenbar nicht. Denn wenn es sie gäbe, hätte der Stadtrat wohl kaum beschlossen, diese Gefährdungslage zu schützen.“

Die Soziale Erhaltungssatzung verfolgt zwar einen anderen Zweck, nämlich diesen: „Der Erlass einer Sozialen Erhaltungssatzung für das Gebiet ,Eisenbahnstraße‘ ist ein Baustein zur Umsetzung des INSEK-Ziels ,Leipzig schafft soziale Stabilität‘ mit dem Handlungsschwerpunkt ,Bezahlbares Wohnen‘. In Quartieren mit nachgewiesener besonderer Nachfragedynamik und einem hohem Aufwertungspotenzial des Gebäudebestandes sowie Aufwertungsdruck als auch einem nachgewiesenen Verdrängungspotenzial der im Gebiet ansässigen Bevölkerung soll mit dem Einsatz dieses Instruments die Zusammensetzung der Bevölkerung und damit der Zusammenhang von Wohnraum, Einwohner/-innen und (öffentlicher) Infrastruktur erhalten bleiben.“

Aber natürlich hat Morlok recht: Hier hat man ein Stadtquartier vor sich, in dem nun einmal besonders viele Menschen mit sehr geringen Einkommen leben. Teilweise ist es schon jetzt zum Tummelplatz von Immobilienspekulanten geworden, die die Lage noch verschärfen. Im Grunde müssten hier Stadt und Land alles tun, den Menschen ein stabileres soziales und finanzielles Umfeld zu schaffen – oder ihnen die Mittel in die Hand geben, es selbst zu tun. Was man sonst immer so flapsig „Hilfe zur Selbsthilfe“ nennt. Das beißt sich mit dem Kontrollbedürfnis einer Staatsregierung, die lieber von außen hineinregiert, statt bei der Lösung der Ursachen zu helfen.

Der Antrag wird in der Ratsversammlung am 11. November 2020 zur Beratung in die Gremien des Leipziger Stadtrates verwiesen.

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Der Antrag VII-A-01730 „Aufhebung der Waffenverbotszone in der Eisenbahnstraße“ zum Nachlesen.

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