Nicht nur CDU-Stadträtin Sabine Heymann lag falsch, als sie vor einer Woche der Stadtverwaltung vorwarf, sie verzögere die Verhandlungen am Eutritzscher Freiladebahnhof und ihr damit irgendwie die Mitschuld gab, wenn jetzt schon wieder von Verkaufsplänen die Rede sei. Wenn es ein Feld gibt, wo elementare kommunale Interessen auf die explosiven Entwicklungen der Immobilienbranche treffen, dann sind es solche komplett neu zu entwickelnden Stadtviertel.
Auch Natalie Mattikau, Vorsitzende der Leipziger Freien Demokraten, lag am 15. August völlig daneben, als sie (wohl nach Kenntnis der entsprechenden LVZ-Veröffentlichungen) meinte: „Zwei Jahre Verzögerungen und Hinhalten durch das Rathaus sind peinlich für die Stadt. Im weiterhin gültigen städtebaulichen Vertrag war der Masterplanbeschluss und die Weiterführung der Bauleitplanung für das zweite Quartal 2018 geplant. Das war vor zwei Jahren. Heute steht der Masterplan weiter unter Vorbehalt und die Bauleitplanung liegt auf Eis.“
Da hätte sie vielleicht besser die FDP-Stadträt/-innen gefragt. Die hätten ihr erklären können, dass es der Stadtrat selbst war, der im Frühjahr 2019 den Oberbürgermeister beauflagt hatte, die Bauleitplanung erst einmal auszusetzen.
Und mit dem neuen Besitzer des Geländes am Eutritzscher Freiladebahnhof erst einmal zu klären, „ob der zukünftige Eigentümer (als Planungsbegünstigter und damit Vorhabenträger) den Geschäftszweck einer flächenhaften Grundstücks- und Immobilienentwicklung im Sinne des Städtebaulichen Vertrages vom 26.04.2017 verfolgt und die dazu notwendige Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit nachweisen kann und wenn ja, welche Risiken bei Vorbereitung und Durchführung des Vorhabens durch die Lage des Geschäftssitzes des zukünftigen Eigentümers und Vorhabenträgers im europäischen Ausland entstehen.“
Es gab da noch ein paar Punkte in der Stadtratsvorlage, die aber alle darauf hinausliefen, mit dem neuen Besitzer Imfarr zu klären, ob die zuvor mit der CG Gruppe vereinbarten Vertragsgrundlagen auch mit dem neuen Besitzer umgesetzt werden.
Und anders als in der LVZ zu lesen hat die Stadt ihre Verhandlungsbereitschaft nie aufgekündigt. Denn natürlich hat die Stadt auch nach drei Jahren Zerren um das Gebiet noch immer das Ziel, hier Schulen, Kitas, Sportanlage, Wege und öffentliche Parkfläche zu schaffen bzw. vom Investor schaffen zu lassen. Ganz ähnlich wie am Bayerischen Bahnhof.
Aber so ein Projekt – die Entwicklung eines gesamten Stadtviertels – bringt auch Investoren an ihre Leistungsgrenze. Einfach neue Wohnhäuser in schon bestehende Strukturen zu bauen ist dagegen eine leichte Fingerübung.
Nun scheint man auch bei Imfarr wieder an den Verhandlungstisch zurückgekehrt zu sein. Was Franziska Riekewald, stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linksfraktion und Mitglied im Ausschuss Stadtentwicklung und Bau, begrüßt: „Dass der Investor Imfarr jetzt wieder Gespräche mit der Stadtverwaltung führt, freut mich. Lange genug hat es gedauert. Immerhin hat der Stadtrat schon vor knapp einem Jahr (im September 2019) beschlossen, unter welchen Voraussetzungen die Weiterführung der Bauleitplanungen erfolgen soll.“
Denn was alles mit welchen Rahmenbedingungen auf dem Eutritzscher Freiladebahnhof entstehen soll, hatte die Stadt mit der CG Gruppe schon vertraglich sehr detailliert festgeschrieben. Die Erwartung, dass der neue Besitzer diese vertraglichen Grundlagen ebenfalls akzeptiert, war nur zu berechtigt. Gerade der Stadtrat hat seit Jahren darum gekämpft, dass die vielen städtischen Bedürfnisse auch in den Bauplanungen für die großen Brachflächen im Stadtinneren berücksichtigt werden, bestenfalls umgesetzt vom Investor selbst.
„Wenn sich Imfarr jetzt endlich bereiterklärt, auf diese Forderungen einzugehen, ist dies ganz im Sinne des Projektes. Auch der damals beschlossene Änderungsantrag, welcher unter anderem von uns Linken gestellt wurde, muss umgesetzt werden: Ein verbindlicher Zeitplan muss endlich auf den Tisch. Wenn Imfarr das Areal tatsächlich so dringend entwickeln will, wie in diversen Erklärungen zu lesen ist, sollte die Akzeptanz von Vertragsstrafen bei Terminabweichungen kein Problem sein“, betont Franziska Riekewald.
Denn die Stadt scheint zwar die Bedürftige zu sein, weil sie Schulen und Kitas dringend braucht. Aber mit dem Planungsrecht, welches aus dem Areal überhaupt erst einmal Bauland macht, hat sie eben auch Mittel in der Hand, Investoren vertraglich zu verpflichten, kommunale Belange zwingend mit zu berücksichtigen. Genau das hat Leipzigs Verwaltung getan. Und Imfarr hätte es wissen müssen, als es das Gelände von der CG Gruppe übernahm.
„Auch die zweite Forderung des Änderungsantrags – ein Teilkündigungs- bzw. Gesamtkündigungsrecht für die Stadt Leipzig – sollte auf Akzeptanz stoßen, wenn Imfarr (wie behauptet) wirklich mit dem Fortführen der Bauleitplanungen das Areal Eutritzscher Bahnhof entwickeln und nicht nur den Immobilienwert für den nächsten Verkauf steigern möchte“, merkt Franziska Riekewald an.
„Denn ein Immobilien-Monopoly, in welchem sich Investoren die Grundstücke für immer höhere Preise zuschieben, gilt es zu verhindern. Die Zeche dafür würden die Mieter/-innen mit extrem hohen Mieten zahlen, welche sich ein Durchschnittsverdiener in Leipzig definitiv nicht mehr leisten kann. Im Gegensatz zu manch anderen Parteien in Leipzig sehen wir als Linke nämlich nicht die Forderungen der Stadt als Preistreiber, sondern die Grundstückspreise, welche zum Teil Spekulationspreise und mit fairen Mieten realistisch niemals mehr auszugleichen sind.“
Die Linksfraktion sei gern dazu bereit, noch im September in der Ratsversammlung entsprechende Weichen zu stellen, wenn die Stadtrats-Beschlüsse vom September 2019 enthalten seien, betont die Stadträtin: „Anderenfalls stehen wir hinter der Stadtverwaltung, erst dann mit den Bauleitplanungen fortzufahren, wenn Imfarr versteht, dass der Eutritzscher Bahnhof kein Spekulationsobjekt von Immobilienhaien ist, sondern ein Stück Stadt, welches endlich mit Leben erfüllt werden soll.“
„Die große Frage vor den neuen Gesprächen ist, ob sich Stadt und Investor zusammenraufen oder ob sich Imfarr aus dem Milliardenprojekt zurückzieht. Letzteres hatte der Imfarr-Vertreter (und frühere Strabag-Chef) Nematollah Farrokhnia Anfang Juli in einem Brief an Jung für den Fall angekündigt, dass die Ampeln für die Bauleitplanung im Rathaus nicht spätestens im September auf Grün geschaltet werden“, schrieb die LVZ am 18. August und nahm auf die Branchengerüchte bezug, der Eutritzscher Freiladebahnhof sei mittlerweile zum Spekulationsobjekt geworden.
Aber gerade die erwähnte Kaufsumme von 160 Millionen Euro an den Verkäufer CG Gruppe macht deutlich, was für einen Rucksack sich Imfarr da aufgeladen hat. Denn da sind ja die jetzt nötigen Investitionen noch nicht erfasst. Aber zum schnellen Bauen kommt Imfarr nur, wenn es die Verhandlungen mit der Stadtverwaltung ernsthaft wieder aufnimmt und zu einem erfolgreichen Ende bringt. Vorher kommt auch der Stadrat nicht wieder ins Spiel. Muss er auch nicht.
Er hat seine Bedingungen alle formuliert. Und dazu gehörte auch, dass der OBM festzustellen habe, ob „der zukünftige Vorhabenträger verpflichtet ist, den gemäß oben genannten Beschlusspunkt 1. erarbeiteten Stand der Masterplanung als Grundlage zur Vorbereitung und Durchführung des Vorhabens zu verwenden“ und „der zukünftige Vorhabenträger verpflichtet ist, den Verhandlungsstand zur Ausgestaltung des Städtebaulichen Vertrages zwischen bisherigem Vorhabenträger und der Stadt vom September 2018, Grundlage des Stadtratsbeschlusses VI-A-06105-NF-03 vom 19.09.2018 umzusetzen, (…) sodass es für die Stadt zumutbar ist, den Städtebaulichen Vertrag unverändert zu belassen und die Vorbereitung des Vorhabens zur Entwicklung des Quartiers fortzuführen.“
Vorher gibt kein Grünes Licht für Imfarr, egal, wie viele Briefe da geschrieben werden.
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