Es war eine erstaunlich kurze Diskussion, obwohl sie an die Grundprobleme der Stadt Leipzig im Jahr 2020 rührte. Michael Neuhaus (Die Linke), Jürgen Kasek (Grüne) und Andreas Geisler (SPD) rissen diese Probleme zumindest an, als sie am Mittwoch, 20. Mai, in der Ratsversammlung zu den Änderungsanträgen ihrer Fraktionen zur Parkstadt Dösen sprachen.
Die Debatte zur Parkstadt Dösen im Stadtrat am 20. Mai 2020
Video: Livestream der Stadt Leipzig
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Die Linksfraktion hatte mit ihrem ersten Antrag eine ziemlich heftige Diskussion darüber angestoßen, wie viele Stellplätze eigentlich in diesem neuen Wohngebiet an der Chemnitzer Straße notwendig sind, wo tatsächlich für 600 Wohnungen anfangs 700 Stellplätze geplant waren. Dafür sollten teilweise 300 bis 500 Bäume gefällt werden, uralte Starkbäume darunter, Heimat für hunderte Tier- und Insektenarten. Ein Thema, das ja der NABU Leipzig öffentlich gemacht hatte.
Wie üblich nahm das Stadtplanungsamt Stellung zum Linke-Antrag, erklärte, warum die Wünsche so nicht erfüllbar seien, denn man habe ja Vorgaben, an denen man nicht vorbeikomme. Etwa, was die Mindest-Stellplatzzahl betrifft. Und außerdem wären da noch der Supermarkt und die Tatsache, dass die Parkstadt, die ein Großteil der Bebauung des einstigen Parkkrankenhauses einer neuen Nutzung zuführt, vom Nahverkehr her eigentlich miserabel angebunden ist.
Übrigens ein Punkt, an dem die Stellungnahme der Stadt höchst widersprüchlich war, worauf neben Michael Neuhaus auch Andreas Geisler zu sprechen kam. Denn wenn die Anbindung mit dem ÖPNV miserabel ist, kann das keine Ausrede sein dafür, dass man das als Begründung für mehr Stellplätze nimmt. Als Stadtrat aus einer Leipziger Randlage kennt er die Probleme.
In der Diskussion um den Nahverkehrsplan haben das fast alle Ortschaftsräte thematisiert. Fast überall ist die Versorgung mit regelmäßigen Bus- und/oder Straßenbahnverbindungen miserabel. Wer Arbeit, Einkauf und Familie unter einen Hut bringen will, ist fast überall aufs Auto angewiesen.
Mit dem LVB-Angebot Flexa in Lindenthal gäbe es ja endlich ein besseres Angebot, deutete Geisler an. Und so war es der Grundansatz des gemeinsamen Antrags von SPD und Freibeutern: „Die Stadt prüft, ob im Zusammenhang mit einer verbesserten ÖPNV-Verbindung auf einen Teil der Stellplätze verzichtet werden kann oder ob Teile der Stellplätze in Car-Sharing-Flächen oder Fahrradabstellgaragen gewandelt werden können und legt dem Stadtrat dazu ein entsprechend abgestimmtes Konzept vor.“
Und natürlich hat Geisler recht: Was sind all die schönen Konzepte der Stadt zu Mobilität, Wohnen, Klima- und Umweltschutz wert, wenn sie bei jedem einzelnen Neubaugebiet neu verhandelt werden müssen oder einfach aufgeweicht werden, weil sie scheinbar nicht umsetzbar sind?
Wäre die Parkstadt nicht ein ideales Modell gewesen, es wirklich einmal anders zu machen und nicht nur „Öko als Lifestyle“ zu inszenieren (wie es Neuhaus nannte), sondern wirklich einmal ein ökologisches Wohnen in einem möglichst intakten Grünumfeld zu ermöglichen? Also ein Wohngebiet so zu bauen, wie in Leipzig künftig jedes Wohngebiet aussehen muss, wenn diese Stadt auch nur davon träumen will, ihre Klimaziele zu erreichen?
Was ist das für ein „Nachvornedenken“, wenn selbst bei Neubaugebieten die alten, starren Regeln der Autostadt umgesetzt werden und Investoren sich davor scheuen, wirklich einmal konsequent ein ökologisches Stadtquartier zu bauen?
Und da ist von den eigentlich von der Stadt vorgesehenen 30 Prozent sozialer Wohnungsbau noch keine Rede. Einen „Zielkonflikt“ nannte es Jürgen Kasek, weil geförderter Wohnungsbau hier nur im Neubau möglich ist (67 Wohnungen), aber nicht im Altbaubestand, wo man die Wohnungsgrundrisse so nicht ändern könnte.
Zielkonflikt? Oder doch eher das Denken in alten Mustern, das sich geförderte Wohnungen im sanierten Altbestand nicht denken kann?
Kein Wunder, dass Neuhaus das Gefühl hat, dass hier – auch wenn es keine Sperrtore geben wird – eine „gated community“ entstehen wird für Leute, für die das Auto genauso zum Lifestyle gehört wie das hochpreisige „Wohnen im Grünen“.
Wobei die Sache mit den Bäumen nicht wirklich geklärt ist. Neuhaus und Kasek zweifelten zu Recht daran, dass wirklich bis zu 300 Bäume gefällt werden müssen. Auch nicht aus Sicherheitsgründen. Weshalb der neu gefasste Antrag der Linken auch den Passus enthält: „Für die Baumfällungen im Rahmen der Verkehrssicherung des Planungsgebietes wird ein externer Baumgutachter beauftragt. Baumfällungen sind nur dann zu genehmigen, wenn durch ein Zurückschneiden der gefährdenden Äste keine Verkehrssicherheit herzustellen ist.“
Aber noch viel kritischer sahen Neuhaus und Kasek, dass der vorgelegte „Umweltbericht“ zu einigen wenigen am Ort vorkommenden geschützten Tierarten nicht im mindesten den Grundstandard erfüllt. Die Vorschläge zur Umsiedlung dieser Tierarten erst recht nicht. Das sei reineweg Unfug, denn die Artenvielfalt muss im Gebiet erhalten werden, nicht irgendwo beiseite geschafft. Logisch, dass beide betonten, dass es hier ein fachlich fundiertes Artenschutzkonzept braucht. Denn sonst ist das ganze „Wohnen im Grünen“ eine Farce. Denn eine gesäuberte Parkumgebung hat nichts mehr mit Artenvielfalt zu tun.
Da die Linken ihren Ursprungsantrag noch einmal überarbeitet haben, zogen die Grünen ihren Antrag zurück, da ihre Punkte mit berücksichtigt wurden. SPD und Freibeuter zogen ihren Antrag nicht zurück, auch wenn er am Ende keine Mehrheit fand.
Dafür steht ihr Anliegen eigentlich auch im Linke-Antrag, wenn auch etwas entschärft: „Der Oberbürgermeister wird beauftragt, zu prüfen, wie nach Fertigstellung des Quartiers eine Verbesserung des ÖPNV-Angebotes erreicht werden kann.“
CDU und AfD hielten sich in der Diskussion komplett zurück, stimmten am Ende aber auch gegen den Änderungsantrag der Linken.
Aber Michael Neuhaus hat mit der Andeutung auf jeden Fall recht, dass dieses geplante Wohngebiet nicht wirklich zu all den verheißungsvollen Mobilitäts-, Klimaschutz- und und Wohnkonzepten der Stadt passt. Die Diskussion machte eher sichtbar, wie schwer es Investoren fällt, eine andere, klimaverträgliche Wohnweise überhaupt zu denken.
Noch scheint die Überzeugung vorzuherrschen, dass das vom Auto dominierte Wohnmodell des 20. Jahrhunderts auch bei Leipziger Bauvorhaben noch immer richtungsweisend ist. Was auch daran liegt, dass man eigentlich nur auf eine zahlungskräftige Klientel zielt, die auf Auto und Stellplätze am Haus Wert legt, also eigentlich für eine Minderheit baut, deren Lebensstil überhaupt nicht umwelt- und klimaverträglich ist.
Es war eigentlich ein sehr zahmes Vorspiel für ganz andere Debatten, die künftig auch auf Leipzig zukommen, dann, wenn Stadträte und Verwaltung wirklich begriffen haben, welche Veränderungen im Gewohnten selbst die eher zahmen Klimaschutz- und Mobilitätskonzepte, die es jetzt schon gibt, künftig erfordern.
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