Die โZeitโ verkรถrpert dieser Tage so ungefรคhr alle Widersprรผche, zu denen Zeitungen fรคhig sind, die aus ihren Vorurteilen nicht herauskommen. Und die sich dennoch kritische Stimmen wie Mely Kiyak leisten, die in ihrer Kolumne darauf hinweist, dass Politikerinnen wie Saskia Esken sehr wohl das Recht und die demokratische Pflicht haben, einen Polizeieinsatz zu hinterfragen, der derart aus dem Ruder gelaufen ist wie der am 1. Januar in Connewitz.
Dass die โZeitโ, die ja auch ein Auรenbรผro in Leipzig unterhรคlt, noch immer nicht geschafft hat, zu dieser Stadt ein objektives und kritisches Verhรคltnis aufzubauen, zeigte dann am Donnerstag, 9. Januar, der gleich von mehreren Autor/-innen geschriebene Artikel โLinke Gewalt: Der Kampf um Connewitzโ, der dann doch erstaunlich an einen รคhnlichen Artikel in der LVZ erinnerte und der wieder alle Interpretationsmuster aufnahm, mit denen die konservative Stadtzeitung, die sรคchsische CDU und auch einige groรe Immobilieninvestoren ihre Sicht auf Connewitz zur Schablone machen. Stichworte: linksextrem, gewalttรคtig, hochgefรคhrlich.
Die jahrelange Framing-Arbeit der konservativen Stadtzeitung zeigt Folgen. Und die Connewitzer fassen sich an den Kopf.
Denn die sehen ihren 19.000-Einwohner-Ortsteil eher so wie Mely Kiyak, die wenigstens schon mal dagwesen ist und weiร, wie bunt und gemischt dieses Connewitz ist.
Und was da am 1. Januar am Connewitzer Kreuz feierte, war genau diese bunte Mischung โ von alternativ bis bรผrgerlich. Viele junge Menschen, die einfach Silvester feiern wollten und sich dann entsetzt fragten, was da in die Polizei gefahren ist.
Aber mit dem seit 2019 amtierenden Polizeiprรคsidenten Torsten Schultze (mit dem die โZeitโ ein geradezu peinliches Interview fรผhrte) sind alle gerade in der konservativen Dresdner Innenpolitik gepflegten Vorurteile gegen dieses alternative Connewitz auch noch in die Leipziger Fรผhrungszentrale der Polizei eingezogen. Anders als seine Vorgรคnger im Amt fรผhlte er sich nicht einmal bemรผรigt, selbst am Kreuz aufzutauchen. So hรคtte er eingreifen kรถnnen, als die Einsatzleitung vor Ort die Lage eskalieren lieร. Aber er war nicht da.
Und recht hat die SPD-Vorsitzende Saskia Esken: Wenn ein Polizeieinsatz derart aus dem Ruder lรคuft, dann muss der Einsatz hinterfragt werden.
Zwar hat Innenminister Roland Wรถller (CDU) angekรผndigt, den Einsatz aufarbeiten zu wollen. Aber was er am Mittwoch, 8. Januar, zu einem Schnellurteil fรผr einen jungen Mann, der in der Silvesternacht verhaftet wurde, sagte, hat mit amtlicher Zurรผckhaltung und Unvoreingenommenheit nichts zu tun. Der Minister setzte gleich wieder auf Vorverurteilung und damit auf die politische Argumentationsschiene der Hartliner in der CDU, die in Connewitz unbedingt gewalttรคtigen Linksextremismus sehen wollen.
Obwohl sie selbst die Allerletzten sind, die an einem Silvester in Connewitz vor Ort sein wรผrden. Das ist Politikgedรถns aus der Sofa-Perspektive.
Auch das LKA betont, dass es nicht wegen โLinksextremismusโ untersucht, sondern wegen eine gewalttรคtigen Straftat.
Aber das Reden ist brandgefรคhrlich. Denn mit solchen Worten zรผndelt der Innenminister: โDie gewalttรคtigen Ausschreitungen in der Silvesternacht in Leipzig-Connewitz waren von Linkextremisten bewusst provozierte Auseinandersetzung und gezielte Angriffe auf unsere Polizistinnen und Polizisten. Ziel einiger Kriminellen war neben blinder Zerstรถrungswut die Gefรคhrdung von Leib und Leben der Einsatzbeamten.โ
Was dem Angriff auf den Einsatzbeamten vorausging, ist bis heute nicht geklรคrt. Und warum es danach zu einer ganzen Serie gewalttรคtiger รbergriffe der eingesetzten Polizisten auf Passanten kam, die mit dem gewalttรคtigen Angriff รผberhaupt nichts zu tun hatten, ebenfalls nicht.
Beamte, die mit keiner Anzeige rechnen mรผssen, denn โ dafรผr hat auch Wรถller gesorgt โ in Sachsen gibt es weiterhin keine Kennzeichnungspflicht fรผr Polizisten. Und es gibt keine unabhรคngige Beschwerdestelle.
Was die โZeitโ veranstaltet, bedient eben leider auch die seit 30 Jahren medial betonierten Vorurteile, die die extrem konservativen Wahlergebnisse in Sachsen in weiten Teilen mitbestimmen. Es war selbst nach dem โ rechtsextremen โ Attentat am 9. Oktober in Halle so, dass gleich nach den eher plakativen Beileidsbekundungen fรผr die Opfer die seltsame Mahnung auftauchte, man dรผrfe รผber so einer Tat nun die Linksextremisten nicht vergessen.
Als hรคtte Sachsen nicht ganz offenkundig ein Riesenproblem bei den Ermittlungen gegen die rechtsextremen Netzwerke im Land. Das jahrelange Untertauchen des NSU-Trios in Zwickau war ja nur die Spitze des Eisbergs.
Da tauchen dann eine Menge Fragen zum Polizeieinsatz in Connewitz auf.
Und in der Linksfraktion im Sรคchsischen Landtag glaubt man nicht daran, dass dieser Innenminister tatsรคchlich bereit ist, die Vorgรคnge kritisch und vorurteilsfrei zu untersuchen.
Die Linksfraktion hat deshalb in Reaktion auf die Silvesternacht in Connewitz einen Antrag beschlossen, der darauf abzielt, den Polizeieinsatz, die polizeiliche Kommunikation und weitere Aspekte aufzuarbeiten (Drucksache 7/1209). Dabei soll es unter anderem um die Gefรคhrdungsanalyse und das Einsatzkonzept gehen sowie um Maรnahmen, die zum Zwecke der Deeskalation getroffen worden sind. Berichtet werden soll auch รผber eingesetzte polizeiliche Mittel, die Anzahl der verletzten Personen und die Umstรคnde, die zur Verletzung von Personen fรผhrten.
Aufgeklรคrt werden soll ferner, โinwieweit sich die Einsatzplanung, das Einsatzkonzept, die Gefรคhrdungsanalyse und die Anzahl der eingesetzten Polizeikrรคfte des Polizeieinsatzes in der Silvesternacht 2019/2020 von den entsprechenden Punkten des Polizeieinsatzes in der Silvesternacht des vergangenen Jahres 2018/2019 unterschieden hatโ.
Die zweite Forderung an die Landesregierung ist die Erarbeitung eines Handlungskonzepts gemeinsam mit der Stadt Leipzig, der Zivilgesellschaft im Stadtteil Connewitz und der Polizei, um friedliche und gewaltfreie Silvesterfeiern auch in Leipzig-Connewitz zu erreichen. Denn da war man in den vergangenen Jahren schon einmal weiter.
โDer Jahreswechsel in Leipzig-Connewitz war leider nicht friedlich โ Menschen wurden angegriffen und zum Teil schwer verletzt. Das ist nicht hinnehmbar und darf sich nicht wiederholen. Auch in Connewitz muss es mรถglich sein, friedlich Silvester zu feiernโ, sagt der Fraktionsvorsitzende der Linken, Rico Gebhardt.
โWir sehen Aufklรคrungsbedarf hinsichtlich der Frage, ob die polizeiliche Strategie der Ausgangslage angemessen war und ob alle Mittel ausgeschรถpft wurden, so deeskalierend wie mรถglich auf Stรถrungen zu reagieren. In den Blick gehรถren auch Unstimmigkeiten in der Kommunikation der Polizei.โ, so Gebhardt weiter. Intern wie extern muss man wohl ergรคnzen: ein Kommunikationsteam der Polizei fehlte vor Ort und auch die Beamten selbst scheinen mit dem Gefรผhl aguert zu haben, dass hier ein Kollege womรถglich versterben kรถnnte.
Die nachfolgende polizeiliche Mediennachricht gegen 4:30 Uhr am Morgen sprach immer noch von einer โNot-Operationโ an einem Beamten, wo es bereits andere Informationen hรคtte geben kรถnnen.
Gebhardt weiter: โEs geht uns nicht um Vorverurteilung oder darum, Feststellungen vorwegzunehmen, sondern um eine differenzierte Auswertung. In einer Demokratie muss es mรถglich sein, polizeiliches Handeln kritisch zu hinterfragen, ohne deshalb gleich fรผr Straftaten in Mithaftung genommen oder dem Vorwurf ausgesetzt zu werden, dass man diese insgeheim befรผrworte.
Im Mittelpunkt muss die Aufgabe stehen, abseits des OB-Wahlkampfes und mit allen gutwilligen Betroffenen zu รผberlegen, wie kรผnftig ein friedlicher Verlauf der Silvesternacht gesichert werden kann. Es geht weder darum, ,rechtsfreie Rรคumeโ zuzulassen, noch einen ganzen Stadtteil unter einen Generalverdacht zu stellen. Wir plรคdieren fรผr Besonnenheit auf allen Seiten.โ
Silvester am Kreuz: Die Spirale dreht sich (1)
Silvester am Kreuz: Die Spirale dreht sich (2) + Videos
Hinweis der Redaktion in eigener Sache (Stand 1. November 2019): Eine steigende Zahl von Artikeln auf unserer L-IZ.de ist leider nicht mehr fรผr alle Leser frei verfรผgbar. Trotz der hohen Relevanz vieler unter dem Label โFreikรคuferโ erscheinender Artikel, Interviews und Betrachtungen in unserem โLeserclubโ (also durch eine Paywall geschรผtzt) kรถnnen wir diese leider nicht allen online zugรคnglich machen.
Trotz aller Bemรผhungen seit nun 15 Jahren und seit 2015 verstรคrkt haben sich im Rahmen der โFreikรคuferโ-Kampagne der L-IZ.de nicht genรผgend Abonnenten gefunden, welche lokalen/regionalen Journalismus und somit auch diese aufwendig vor Ort und meist bei Privatpersonen, Angehรถrigen, Vereinen, Behรถrden und in Rechtstexten sowie Statistiken recherchierten Geschichten finanziell unterstรผtzen und ein Freikรคufer-Abonnement abschlieรen.
Wir bitten demnach darum, uns weiterhin bei der Erreichung einer nicht-prekรคren Situation unserer Arbeit zu unterstรผtzen. Und weitere Bekannte und Freunde anzusprechen, es ebenfalls zu tun. Denn eigentlich wollen wir keine โPaywallโ, bemรผhen uns also im Interesse aller, diese zu vermeiden (wieder abzustellen). Auch fรผr diejenigen, die sich einen Beitrag zu unserer Arbeit nicht leisten kรถnnen und dennoch mehr als Fakenews und Nachrichten-Fastfood รผber Leipzig und Sachsen im Netz erhalten sollten.
Vielen Dank dafรผr und in der Hoffnung, dass unser Modell, bei Erreichen von 1.500 Abonnenten oder Abonnentenvereinigungen (ein Zugang/Login ist von mehreren Menschen nutzbar) zu 99 Euro jรคhrlich (8,25 Euro im Monat) allen Lesern frei verfรผgbare Texte zu prรคsentieren, aufgehen wird. Von diesem Ziel trennen uns aktuell 400 Abonnenten.
Alle Artikel & Erklรคrungen zur Aktion โFreikรคuferโ
So kรถnnen Sie die Berichterstattung der Leipziger Zeitung unterstรผtzen:
Es gibt 3 Kommentare
Erstaunlich ist, dass zu Connewitz รผberhaupt ein Attribut verwendet wird. Niemand kรคme auf die Idee das fรผr einen anderen Stadtteil/Ortsteil zu machen. Warum also bei Connewitz?
Wir werden โ wie immer, wenn sich bei uns oder anderen Vorurteile bilden โ darรผber nachdenken und nachschauen โฆ
Danke. M.F.
โDie jahrelange Framing-Arbeit der konservativen Stadtzeitung zeigt Folgen.โ
Im รbrigen auch bei euch. In nahezu jedem Artikel รผber Connewitz kommt ein โlinksalternativโ drin vor. Connewitz ist ein kleinerbรผrgerlicher, spieรiger, elitรคrer Stadtteil. Und nur weil dort nicht dauerhaft Reichskriegsflaggen hรคngen, ist der Stadtteil noch lange nicht linksalternativ.
Wenn ihr mal Zeit habt, vergleicht mal im Ortsteilkatalog Connewitz mit bspw. Paunsdorf oder Mรถckern.