Anfang Dezember, kurz vor der entscheidenden Sitzung des Leipziger Stadtrates zum Forstwirtschaftsplan 2019 / 2020, veröffentlichten mehrere Leipziger Wissenschaftler ein Diskussionspapier zum Umgang mit den Auenwald. Am 12. Dezember beschloss der Stadtrat den Forstwirtschaftsplan dann erstmals mit den vom Ökolöwen geforderten Naturschutzauflagen. Nun formuliert der Hallenser Diplombiologe Stefan Michel in einem eigenen Diskussionspapier seine Kritik am Papier „Reiner Prozessschutz gefährdet Artenvielfalt im Leipziger Auwald“.
Stefan Michel ist Diplombiologe, studiert an der MLU Halle mit Schwerpunkt Pflanzenökologie/Geobotanik sowie Tierökologie, Geographie und Geologie. Sein Forschungsfeld war bislang die Saaleaue bei Halle. Seine Diplomarbeit hat er vor 25 Jahren zu einem Eichen-Hainbuchenwaldgebiet im Spannungsfeld von Forstwirtschaft und Naturschutz angefertigt und hatte als Mitarbeiter des damaligen STUFA Leipzig in den 1990ern auch mit dem Leipziger Auenwald dienstlich zu tun. STUFA war das Staatliche Umweltfachamt. Heute ist er freiberuflicher Gutachter für Naturschutz und Naturressourcenmanagement.
„Unter anderem ging es 1997 um die Bewertung von Auenwaldflächen hinsichtlich ihrer Naturschutzwertigkeit und ich habe die Gelegenheit genutzt, mir einiges anzusehen“, sagt Michel. „Nun sind viele Jahre vergangen, aber Auenwälder sind ja zum Glück Systeme, die sich langsam verändern, auch bei veränderten Umweltbedingungen. In zwei Exkursionen 2019 konnte ich mich im Gebiet der Burgaue davon überzeugen. Daher denke ich, fachkundig mich zu der Thematik äußern zu können.“
Vor allem stört ihn der künstlich aufgemachte Gegensatz im Papier der Wissenschaftler, die den Kritikern des Forstwirtschaftsplanes vorwarfen, kompletten Prozessschutz im gesamten Auwaldgebiet zu fordern.
Das Diskussionspapier von Stefan Michel.
„Daher geht es in der kontrovers geführten Diskussion nach meiner Beobachtung nicht um die Frage, ob jegliche forstliche Eingriffe abzulehnen oder zu begrüßen sind, sondern um deren fachliche Begründung, den Charakter und Umfang der geplanten Maßnahmen und deren Umsetzung“, schreibt Stefan Michel in seinem neunseitigen Papier, in dem er sich eingehend mit den vorgebrachten Argumenten beschäftigt, die aus seiner Sicht ganz und gar nicht begründen, dass man den Forstwirtschaftsplan einfach so fortschreiben könne. Im Gegenteil: Selbst die vorgebrachten Argumente der Wissenschaftler vom Umweltforschungszentrum und von der Uni Leipzig legen eigentlich einen sehr sensiblen und schonenden Umgang mit dem Auenwald nahe.
Und das immer wieder vorgebrachte Argument mit dem bedrohten Eichenbestand nimmt er ganz besonders unter die Lupe: “Das Diskussionspapier geht von einem historischen Anteil der Stieleiche von 60% aus und nimmt für heute noch 20% an (S. 3). Hierbei wird allerdings offengelassen, worauf sich dieser Anteil bezieht – Prozent von was? Denkbar wären Parameter wie Flächen von der Art dominierter Bestände, Ãœberschirmung, Deckungsgrad nach Braun-Blanquet, Stammzahl, Grundfläche und/oder Holzvorrat. Ohne Bezugsgröße sind derartige Prozentangaben nicht aussagekräftig.“
Auch das Argument, der Eichenbestand sei bedroht, wenn jetzt keine neuen Femel im Auenwald angelegt werden, findet er nicht wirklich schlüssig.
„Im Weiteren werden in dem Diskussionspapier Altersklassenverteilungen verschiedener Baumarten präsentiert und gezeigt, dass die Stiel-Eiche in der Strauchschicht und den unteren BHD-Klassen deutlich weniger vertreten ist als andere Arten, und dass auch verschiedene andere Arten nicht gleichmäßig in allen Altersklassen vorhanden sind. Aus dieser Beobachtung wird die Schlussfolgerung gezogen: ‚Mit reinem Prozessschutz ist die Eiche in 200 bis 300 Jahren sehr selten und auch andere Auwaldarten wie Esche, Linde, Feld-Ahorn und Hainbuche gehen zurück.‘ Eine derartige Prognose über einen so langen Zeitraum zu treffen, ist fachlich nicht zu begründen“, schreibt Michel.
„Einerseits können sich über solche Zeiträume Standortbedingungen verändern und der Autor dieses Kommentars ist optimistisch, dass spätestens in 100 Jahren die Stadt Leipzig es schafft, das Wasser- und Überflutungsregime der Aue wieder naturnaher zu gestalten. Sollten allerdings über derartige Zeiträume keine auentypischen Standortbedingungen erhalten bleiben, werden auch Pflanzungen von ‚Auwald(baum)arten‘ kein Hartholzauenökosystem erhalten können, denn ein solches besteht aus mehr Elementen – biotisch und abiotisch – als einigen Hauptbaumarten.
Andererseits ist die Stiel-Eiche ein langlebiger Baum und auch längere Zeiten ohne Verjüngung bedeuten nicht, dass die Art unmittelbar verschwindet. Somit eignet sich die derzeit zahlenmäßig geringe Eichenverjüngung kaum zur Rechtfertigung forstlicher Eingriffe in geplanter Form und Umfang und kann gleich gar nicht als Indikator des Erhaltungszustandes der Lebensraumtypen der Hartholzaue dienen.“
Das klingt sehr fachlich. Aber es ist die Ebene, auf der in Leipzig eigentlich über den Umgang mit dem Auenwald diskutiert werden müsste. Und gerade der Vorstoß des Ökolöwen zu Naturschutzauflagen zeigt ja: Es geht. Die Diskussion hat sehr wohl die Aufmerksamkeit geschärft für die so wichtigen Biotopbäume, für Totholz und die so wichtigen seltenen Tierarten im Auenwald.
Eine Vielfalt, die bislang durch eine Mittelwaldbewirtschaftung gar noch vermehrt werden soll. Aber auch das ist aus Michels Sicht nicht schlüssig. Denn eine Mittelwaldwirtschaft gab es im Leipziger Auenwald nie, nur nachweisbar in Teilen eine Hutewaldwirtschaft (wie sie die Abteilung Stadtforsten derzeit am einstigen Elsterstausee praktiziert).
„Mit dem Fehlen noch erkennbarer Mittelwaldstrukturen geht einher, dass auch Vorkommen an diese historische Nutzungsform entsprechend angepasster Arten nicht zu erwarten sind. Die im Diskussionspapier dargestellte außerordentlich hohe ‚Biodiversität und Strukturvielfalt‘ des Leipziger Auenwaldes kann nicht mit vermuteter früherer und heute nicht mehr erkennbarer Mittelwaldwirtschaft begründet werden, sondern sie entspricht der heute vorzufindenden Arten- und Alterszusammensetzung und den Standortbedingungen des Auenwaldes. Diese existierende Vielfalt als Begründung für Eingriffe zu nutzen, die gerade die bestehenden Strukturen und Artenzusammensetzungen massiv und plötzlich verändern, ist daher in sich widersprüchlich.“
Und dass erst durch Femel auch Platz für neue Eichen entstehen soll, ist aus seiner Sicht auch nicht logisch zu begründen.
„Dieser Ansatz, so überzeugend auf den ersten Blick die Förderung der Stiel-Eiche durch Auflichtung erscheint, ist fachlich nicht unumstritten. In der bisherigen Diskussion wurde von verschiedener Seite darauf hingewiesen, dass es keinesfalls als sicher gelten kann, dass die Femellöcher notwendig und geeignet sind, um die Stiel-Eiche zu fördern.
Da Lichtmangel und Wurzelkonkurrenz neben vermutlich anderen Faktoren die Verjüngung der Stiel-Eiche lokal behindern, werden Femellöcher einerseits als geeignetes Mittel ebendiese Verjüngung zu fördern. Andererseits soll in diesen Femellöchern gepflanzt werden, obwohl durch die vorhandenen Eichen eigentlich genug Diasporen vorhanden sind – ein offenkundiger Widerspruch“, schreibt Stefan Michel.
„Naturverjüngte Eichen sind viel besser an ihren Standort angepasst und Naturverjüngung dient der Aufrechterhaltung der genetischen Vielfalt. Bei Pflanzungen, auch mit Pflanzgut aus lokal gewonnenen Samen, werden beide Möglichkeiten vergeben.“
Und auch das Ausforsten erkrankter Eschen findet er überhaupt nicht zielführend: „Die Entnahme von Eschen, deren Rückgang im Diskussionspapier weiter oben (S. 7) beklagt wird, bewirkt eine Reduktion dieser Art, verringert die Chance einer Selektion auf gegenüber dem Eschentriebsterben widerständige Bäume und – bei vorrangiger Entnahme absterbender Bäume – zerstört den Lebensraum des Eremiten und anderer Arten in ebendiesen, reduziert das Totholz, und hat dabei kaum Einfluss auf das Lichtklima. In Beständen mit hohem Eschenanteil kann Eiche sich hinsichtlich des Lichtklimas recht gut verjüngen.“
Aber wie ist das mit den Eschen? Eigentlich, so Michel, entwickeln sie nur Widerstandskraft gegen den aus Asien eingeschleppten Parasiten, wenn sie an Ort und Stelle bleiben: „Andererseits beklagt das Diskussionspapier das Eschentriebsterben und die dadurch bedingte Mortalität der Esche. In diesem Zusammenhang werden Femelhiebe in den betroffenen Bereichen befürwortet.
Der Forstwirtschaftsplan sieht umfangreichen Sanitärhieb in Eschenbeständen vor. Angesichts des generell hohen Eschenanteiles müsste man nur die Eschen in Frieden sterben – oder sich erholen – lassen. Dann wären innerhalb weniger Jahre ohne forstliche Eingriffe Totholzanteile von 10% und mehr zu erwarten, zudem mit Totholz unterschiedlichen Alters und Zerfallgrades durch die zeitliche Staffelung des Absterbens einzelner Bäume.“
Denn Sanitärhieb, das klingt, als bekäme man den Parasiten so aus dem Wald. Aber das ist eine Illusion. Er bleibt auch da, wenn die erkrankten Bäume entfernt werden. Verschiedene Schätzungen gehen von 5 bis 20 Prozent der Eschen aus, die im Lauf der Zeit Resistenzen ausbilden, also überleben und künftig ihre gewonnene Widerstandskraft auch weitergeben können an folgende Generationen.
Am Ende seines Papiers macht Stefan Michel eine Reihe von Vorschlägen, wie mit der wertvollen Substanz des Auenwaldes umgegangen werden könnte.
Und natürlich bleibt der zentrale Punkt: „Umgehende Verbesserung des Wasserregimes und der Überflutungsdynamik, mit Priorität auf kurzfristig und kostengünstig umsetzbare Maßnahmen, z.B. Ermöglichen des Zuflusses in und durch kleinere Wasserläufe bei hinreichendem Wasserstand in den Flüssen“. Das, was nach widersprüchlichen Aussagen der Verantwortlichen jetzt noch 30 bis 100 Jahre auf sich warten lasen soll. Aber ohne Wasser gibt es keinen gesunden Auenwald. Die Zeit läuft.
Und er schlägt auch direkt vor: „Verzicht auf forstliche Maßnahmen wie Femellöcher, Schirmschlag (‚Mittelwald‘) und Altdurchforstung in Beständen aus Baumarten der Hartholzaue“. Stattdessen: „Pflanzung von Stiel-Eichen als Heister oder größere Bäume und nur in Bestandslücken ohne Naturverjüngung, auch nach Entfernen standortfremder, invasiver Baumarten“. Also dorthin, wo – durch Absterben anderer Bäume oder Windbruch – sowieso Löcher im Wald entstehen. Und zwar nicht als in Reih und Glied gepflanzte Pflänzchen, sondern eben schon als robustere Jungpflanze (Heister), die nicht gleich wieder durch Wildverbiss zerstört wird.
Das ganze Papier erzählt davon, dass es zu all dem, was zum Forstwirtschaftsplan bislang diskutiert wurde, eine ganze Menge Alternativen gibt. Und dass es eben nicht darum geht, gar nichts zu tun.
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“Der Vorstoß des Ökolöwen”, liebe LIZ, reden wir von DEM Ökolöwen, der vor gar nicht ferner Zeit noch feierlich und stolz, in trauter Eintracht mit den üblichen Verdächtigen und vor der Presse in der Nonnen die Schilder enthüllt hat, auf denen den dummen Bürgern erklärt wird, wie richtig der riesige Kahlschlag war, der dort flächendeckend Lebensräume streng geschützter Arten zerstört hat? Der auf seiner Seite und in seinen Newsletters immer mal wieder erklärt, wie wichtig die Förster und deren drastische Maßnahmen sind? Nicht “der Vorstoß des Ökolöwen” hat verhindert, dass 2018 in der geschützten Burgaue wieder mehrmengig alte Biotopbäume gefällt werden sollten! Das verdanken wir ausschließlich NuKLAs Klage! Und wie die “vorgestoßenen” Maßnahmen, die dem aktuellen Forstwirtschaftsplan ein ökologisches Mäntelchen um die geplanten 11.000!! Festmeter Holzernte legen sollen (das ist genauso irre, wie blasen UND das Mehl im Maul behalten wollen), nun wirklich aussehen und wie sie tatsächlich, unter wessen Kontrolle und von wem umgesetzt werden sollen, weiß bisher auch kein Mensch, sie sind ja noch nicht mal veröffentlicht – sofern es sie überhaupt in konkreter Form gibt. Darauf wären wir doch mal sehr gespannt. Hingegen gibt es reichlich Ideen, fachliche Argumente und fundierte Vorschläge von außerhalb.