Johannes Hansmann ist nicht der Einzige, der sich darüber wundert, warum Zeitungen wie die LVZ jetzt auf einmal so eine Kampagne fahren, um (wieder einmal) Leipziger Stadtteile wie den Osten oder Connewitz zum brandgefährlichen Pflaster zu machen. Gleich nach dem Auftaktartikel am 27. November („Wie die Gewalt nach Connewitz kam“) fasste sich ja selbst SPD-Stadtrat Christopher Zenker an den Kopf: In was für einer Stadt leben die LVZ-Redakteure eigentlich?
„Man könnte meinen, Herr Tappert war noch nie in Connewitz. Der Stadtteil ist bunt und vielfältig, hier leben Menschen in Lofts und Eigenheimen oder auch in alternativen Wohnprojekten und kommen gut miteinander zurecht. Es gibt eine vielfältige Kulturszene und ein buntes Nachtleben“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Christopher Zenker, der seit seiner Geburt im Leipziger Süden wohnt. „Einen gesamten Stadtteil oder alternative Lebensformen zu stigmatisieren, zeugt schlicht von Kleingeist.“
In ihrem Artikel hatte die LVZ versucht, die „Gewalt“ in Connewitz historisch aus den Jahren 1992/1993 herzuleiten. Damals sorgten einige spektakuläre Polizeiaktionen gegen das autonome Klientel in und um die Stockartstraße für Schlagzeilen. Damals gab es die L-IZ noch nicht. So wurde die Berichterstattung damals allein von der LVZ dominiert. Mit Folgen. Auch mit Bestätigungsfolgen für einen damals amtierenden Ordnungsbürgermeister namens Holger Tschense, der diesen staatlichen Zugriff auf Connewitz bis heute für richtig hält. So wurde das „gewalttätige“ Connewitz beim konservativen Leipziger Bürgertum zu Topos.
Genauso wie dieser Zugriff bei den Autonomen in Connewitz der Auslöser für eine Legendenbildung war, die ebenso bis heute funktioniert. Für jeden Besucher des Quartiers im Leipziger Süden immer wieder neu zu erleben mit dem Gerangel um den NoCops-Schriftzug an der Connwitzer Streetball-Anlage.
Aber dominieren die Autonomen den 19.000-Einwohner-Ortsteil eigentlich? Sind die Einwohner des auch bei neu Zuziehenden begehrten Ortsteils also besonders gewaltbereit, wie nicht nur die LVZ nur zu gern suggeriert?
„Ja, es gibt Straftäter in Connewitz – genauso, wie in Seehausen, Gohlis oder jedem anderen Stadtteil“, sagt Zenker. „Recht und Gesetz gelten überall. Straftaten sind zu ahnden und keinerlei politische Gründe können hierfür als Rechtfertigung dienen. Obwohl die Kriminalitätsrate seit Jahren sinkt, empfinden einige Leipziger mehr Unsicherheit. Die Ursache dafür ist aber nicht ein vielfältiger Stadtteil, sondern vor allem, dass der Freistaat Sachsen über Jahre die Polizei kaputtgespart hat und es kaum noch Streifenpolizisten gibt.“
„Diesen Verlust kann ein Ordnungsamt nicht auffangen. Wer heute in Leipzig eine Straftat bei der Polizei anzeigt, hat noch 25.737 offene Vorgänge vor sich. 24.513 offene Verfahren, allein bei der Leipziger Justiz, sind ein Totalversagen des Justizministers Sebastian Gemkow und nicht des städtischen Ordnungsamts. Wer zu verantworten hat, dass Strafverfahren teils Jahre dauern, wie auch die Prozesse um den rechtsextremen Überfall auf Connewitz zeigen, kann sich Sonntagsreden sparen, vor allem dann, wenn die Zahlen unbearbeiteter Verfahren in der sächsischen Justiz seit Jahren so dramatisch hoch sind.“
Datenquelle für die von Christopher Zenker genannten Zahlen ist eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Rico Gebhardt (Die Linke) im Sächsischen Landtag Drs.-Nr.: 7/66 „Offene Vorgänge bei Polizei und Staatsanwaltschaften September 2019“.
Aber selbst zu den Kriminalitätszahlen gibt es Erhellendes, wenn man nicht die LVZ-Berichterstattung über einzelne besonders spektakuläre Demonstrationen als Maßstab nimmt. Einige dieser Aktionen sind natürlich so spektakulär, dass sie immer wieder als mahnendes Beispiel dienen, um die Gewaltbereitschaft in Connewitz anzuprangern. Selbst dann, wenn überhaupt kein LVZ-Reporter vor Ort war und die Polizeimeldung und die Aussagen des Innenministeriums einfach nicht zum tatsächlichen Geschehen passen wollen.
So wie bei dieser Spontandemo.
Aber ist Connewitz denn nicht krimineller als die sonstige Stadt? Nicht einmal ansatzweise. Ein Blick in den „Ortsteilkatalog 2018“ (mit den Zahlen für 2016 und 2017) zeigt: Das Kriminalitätsniveau im gesamten Leipziger Stadtgebiet lag bei 139 Straftaten je 1.000 Einwohner. Die Zahl lag 2017 schon niedriger als in den Vorjahren, als Leipzig augenscheinlich Ziel organisierter Diebesbanden gewesen war und besonders die Diebstahls- und Einbruchszahlen in neue Höhen geschossen waren.
Connewitz lag aber deutlich unter diesem Wert. Dort wurden 2017 nur 98 Straftaten auf 1.000 Einwohner gezählt. In der benachbarten Südvorstadt waren es übrigens 96.
Und wie ist das nun mit den von der LVZ angeprangerten Gewalttaten?
Auch da fällt der Vergleich zugunsten von Connewitz aus. Im Stadtgebiet kamen 1,1 Gewalttaten auf 1.000 Einwohner, in Connewitz waren es im selben Zeitraum 2017 nur 0,83.
Das heißt: Es lebt sich in Connewitz in keiner Weise gefährlicher als im sonstigen Stadtgebiet. Aber warum hat jetzt auch wieder die Staatsgewalt Connewitz im Visier? Das hat zum Teil wieder mit einer neuen wirren V-Mann-Geschichte zu tun, über die der „Kreuzer“ am 25. Oktober berichtete und die dann die Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Die Linke) zum Inhalt einer Landtagsanfrage machte:
„Wie das Magazin ‚Kreuzer‘ in einem Onlinebeitrag vom 25. Oktober 2019 berichtet, habe zurückliegend eine polizeiliche Vertrauensperson berichtet, dass Personen ‚Waffen und Sprengstoff‘ beschaffen würden. Daraufhin seien ,Sicherheitsbehörden Anfang 2018 äußerst aktiv‘ geworden, um in Leipzig eine schwere staatsgefährdende Gewalttat von links zu verhindern. Hausdurchsuchungen, Verhöre, intensive Ermittlungen gegen fünf Personen seien erfolgt. Der Fall sei dem Tatort Leipzig-Connewitz und dem Phänomenbereich der PMK-Iinks zugeordnet worden. Die Ausgangsinformationen der Quelle hätten sich indes nicht bestätigt. Der Fall zeige laut ‚Kreuzer‘, dass sächsische Behörden‚ offensichtlich in Kreisen, die sie für linksextreme Strukturen halten, mit V-Leuten arbeiteten.”
Am 25. November antwortete Inenminister Roland Wöller auf die Anfrage.
Da stellte sich dann heraus, dass nicht nur der Tatverdacht älter war, sondern das Verfahren sogar längst wieder eingestellt worden war, weil den fünf Verdächtigten schlicht nichts nachgewiesen werden konnte.
Roland Wöller: „Aufgrund der Informationen wurde bei der Staatsanwaltschaft Dresden am 21. November 2017 ein Ermittlungsverfahren gegen fünf Beschuldigte wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer nicht konkret bestimmbaren (nicht rechtsverjährten) Tatzeit mit Tatort in Leipzig eingeleitet. Das Ermittlungsverfahren ist mit der statistischen Kennzeichnung ,innerer Frieden – linksextremistische Straftaten‘ gekennzeichnet. Mit Verfügung vom 13. Juni 2018 wurde das Ermittlungsverfahren hinsichtlich aller Beschuldigten gemäß § 170 Absatz2 Strafprozessordnung eingestellt, weil sich der anfängliche Tatverdacht nicht bestätigt hat.“
Warum aber dann die neuerliche Hysterie im Herbst 2019?
Das deutet Wöller zumindest an, wenn er erst einmal erklärt, warum man zum gefragten Fall keine weiteren Angaben machen wolle. Aber die jüngsten Anschläge auf diverse Immobilienunternehmen hat man ja gleich im linksextremen Milieu verortet. Was ja Wöller auch dazu animiert hat, umgehend eine „Soko LinX“ zu gründen.
Seine Worte in der Antwort an Kerstin Köditz: „Im vorliegenden Fall sind wichtige Geheimschutzbelange betroffen, weil Auskünfte begehrt werden, welche die Identifikation einer Person erleichtern würde, mit welcher die Strafverfolgungsbehörden im Interesse an einer wirksamen Bekämpfung von Kriminalität und Terrorismus zusammenarbeiten.“
Da ist gleich mal das schöne Wort, mit dem seit 2001 alles Mögliche an staatlichen Maßnahmen begründet wird: „Terrorismus“. Das rechtfertigt dann augenscheinlich eine Menge.
Wöller: „Informationen der Quelle standen im Zusammenhang mit Vorgängen, die den Verdacht der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat aus dem Bereich des Linksextremismus begründeten (siehe die Antwort auf die Frage 4). Straftaten aus diesem Bereich sind nach polizeilicher Erfahrung vornehmlich dadurch gekennzeichnet, dass sie die Rechtsgüter Leib, Leben und Eigentum betreffen und zu teils schweren Schäden an diesen Rechtsgütern führen. Die Täter arbeiten in der Regel in untereinander streng abgeschirmten Gruppen koordiniert und arbeitsteilig zusammen.“
„Innerhalb der Gruppen besteht ein hohes Radikalisierungs- und Dynamisierungspotential. In den letzten Jahren ist die Gewaltbereitschaft angestiegen, wie zuletzt der körperliche Angriff auf eine Prokuristin eines Leipziger Immobilienunternehmers mit mutmaßlich linksextremistischem Hintergrund zeigt. Dies macht die Gruppen zunehmend unberechenbar und erhöht die von ihnen ausgehenden Gefahren zusätzlich. Zudem besteht innerhalb der Gruppen ein hohes Maß an wechselseitiger Kontrolle. Aussteiger und Verräter unterliegen hohen Gefährdungen für Leib und Leben seitens der übrigen Mitglieder der Gruppe und seitens ihrer Sympathisanten. Daher sind die Strafverfolgungsbehörden zur Ermittlung dieser Kriminalität auf Quellen angewiesen und diese jederzeit bei ihrem Bekanntwerden akuten Gefahren für Leib und Leben ausgesetzt.“
Erstaunlich viele Worte in einem Fall, in dem man trotz umfassender Hausdurchsuchungen nichts gefunden hat.
Und was macht man nun mit diesem Connewitz, wo doch nun die große Tageszeitung meint, hier sei die Gewalt zu Hause?
Die Grünen-Fraktion im Stadtrat macht jetzt einen Vorschlag, auch wenn sie Connewitz – genauso wie Christopher Zenker – überhaupt nicht für ein gewalttätiges Viertel hält.
„Connewitz ist bunt“, stellt die Grünen-Fraktion in ihrer Pressemitteilung fest. „Einer unserer bekanntesten Stadtteile lebt von kreativem und sozialem Potenzial, überdurchschnittlich im Vergleich der gesamten Stadt. Das bürgerschaftliche Engagement und das bunte Image ist im Stadtteil selbst und darüber hinaus in die ganze Stadt gewachsen. Aktuell wird Connewitz in der interessierten Öffentlichkeit beständig mit Gewalttätigkeiten verknüpft.“
Man habe deshalb einen Antrag eingereicht, der darauf abzielt, durch die Einrichtung eines Quartiersladens als Pilotprojekt die Stärken des Stadtteils Connewitz zu aktivieren und proaktiv und präventiv gegen Ausschreitungen wirksam zu werden. Sofern der Quartiersladen den Effekt erzielt, urbane Gewalt vor Ort zu mindern, sollen weitere Quartiersläden in anderen Stadtteilen folgen können.
„Connewitz droht, als Stadtteil durch die öffentliche Wahrnehmung und mediale, verkürzte Berichterstattung stigmatisiert zu werden“, sagt dazu Katharina Krefft, Fraktionsvorsitzende der Grünen.
„Das wird dem lebendigen Stadtteil in keiner Weise gerecht. Gerade von Connewitz geht sehr viel Kreativität und Engagement aus. Wir wollen darum den Stadtteil und seine Bewohner/-innen als zivilgesellschaftliche Gruppe aus sich heraus stärken und dazu das Instrument der Gemeinwesenarbeit anwenden. Wir sind uns sicher, dass mit einer Unterstützung durch ein sozialarbeiterisches Angebot am wirksamsten gegen urbane Gewalt vorgegangen werden kann. Denn Repression ist einseitig, Stärkung des sozialen Zusammenhaltes vielseitig.“
Der Stadtrat hatte 2016 nach den Ausschreitungen in Connewitz (den Auftakt dieser Ausschreitungen machte übrigens der Überfall von über 200 Rechtsradikalen auf Connewitz) nach einer intensiven Debatte festgelegt, dem Phänomen der urbanen Gewalt nachzugehen und eine Studie beauftragt. Diese ist weiterhin nicht veröffentlicht.
„Die Ergebnisse der Studie ,Urbane Gewalt in Leipzig‘ erwarten wir mit großem Interesse, weil deren Erkenntnisse natürlich für die Ausrichtung des Pilotprojektes essentiell sein werden“, sagt Katharina Krefft.
Spontandemonstration in Connewitz: Noch mehr Widersprüche
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