Bei der im Bericht zum Karl-Heine-Kanal beschriebenen Entkrautung geht es um vordergründige Sauberkeit und die Förderung ungehinderter Bootsfahrt. Ökologische Folgen werden anscheinend nicht beachtet? Hiermit sei wie folgt empfohlen, ökologische Gedanken einfließen zu lassen, damit solche Pflege in der Zukunft kein nachteiliger Eingriff in die gefährdete irdische Artenvielfalt mehr wird.
Vielleicht kann der Eingriff ja sogar kurzfristig auf ökologische Verträglichkeit eingestellt werden? Das ist das Ziel dieses Leserbeitrags!
Der Karl-Heine-Kanal ist ein unnatürliches Bauwerk, das über lange Jahre zu einem Gewässer wurde, in dem sich selbstverständlich Pflanzen und Tiere angesiedelt haben. Was wissen wir über Art und Umfang der Besiedelung? Was weiß die Genehmigung erteilende, die anordnende und die praktisch entkrautende Dienststelle davon?
Wenn solche Pflegemaßnahmen halbwegs naturverträglich ausgeführt werden sollen, dann muss abschnittsweise entkrautet werden. Es wird empfohlen, mindestens ein Drittel des „Krautes“ unbeeinflusst zu lassen.
Auch ein noch so naturferner und hier auch recht unsinniger Kanal bildet infolge jahrzehntelanger Entwicklung ein von Tieren und Pflanzen besiedeltes Gewässer. Folglich ist damit zu rechnen, dass sich darunter auch artenschutzrechtlich relevante Arten befinden. Und sollte das ausnahmsweise nicht der Fall sein, dann spielen die Mitglieder der Lebensgemeinschaft eine wichtige Rolle in der Nahrungskette.
Fluginsekten aus dem Krautbestand des Karl-Heine-Kanals dienen z. B. auch Schwalben und Mauerseglern und vielen weiteren Insektenfressern als Nahrung – darunter wiederum solche, die auf Roten Listen verzeichnet sind, und für deren Schutz Kommunen, Staat und Bevölkerung einen Auftrag zu erfüllen bzw. eine Mitverantwortung übernommen haben.
Häufig werden – nicht nur bei städtischer Parkpflege, sondern sogar durch Naturschutz-Verbände – Pflegemaßnahmen „auf ganzer Fläche auf einmal“ durchgeführt. Für die Pflanzen werden Blüten- oder Fruchtbildung ausgeschaltet, für die Tiere bricht z. B. das Blütenangebot abrupt zusammen, oder es gibt keine Orte mehr zum verpuppen oder sich zurückzuziehen. Sollte solcher Eingriff mehrfach hintereinander erfolgen entsteht die Situation verarmter Lebensgemeinschaften – und davon haben wir landauf-landab über 70 bis 90 %! Diese Krautbestände müssen als ökologische Trittsteine, ökologisch wertvolle Habitatinseln etc. erkannt und geschützt werden!
Das Problem betrifft sinngemäß u. a. auch Wiesen, die aus Sicht des Artenschutzes für Ameisenbläulinge z. B. bei Leipzig eine wichtige Rolle spielen würden – wenn sie nicht ein- bis dreimal pro Jahr „total und in einem Durchgang“ gemäht würden!
Die Begründung dazu ist plausibel: „Wir haben nicht genug Leute, die so etwas mehrfach im Jahr machen“ oder die Vergabe der Mahd wird an große Agrarbetriebe vergeben, und die machen es eben tabula rasa, weil sie maschinell so ausgestattet sind. Dieser Zustand sollte nun bei der Wiesenpflege ebenso geändert werden, wie bei der Pflege von Gräben, Teichen und auch jenem naturfernen „Karl-Heine-Kanal“!
Was bedeutet die Pflegemaßnahme „auf ganzer Fläche auf einmal“ aus ökologischer Sicht?
Jede „Pflege“maßnahme „auf ganzer Fläche auf einmal“ ist eine ökologische Katastrophe für die bestehende Lebensgemeinschaft und sie wirkt wie eine Falle, mit der die Natur über Gebühr geschröpft wird! Wenn in einem Rutsch alles entfernt wird, geht das Ergebnis einer langen Entwicklungszeit kaputt – weg die Algen, die schwimmenden Gefäßpflanzen und die zahlreichen Wassertiere, einschließlich z. B. der auffallenden Libellen oder „Wasser“Schmetterlinge, z. B. der Wasserzünsler (https://de.wikipedia.org/wiki/Wasserzünsler) und Elophila nymphaeata (www.insekten-sachsen.de/Pages/TaxonomyBrowser.aspx?ID=443054) u. a., deren Larven im „Kraut“ auf und nahe der Wasseroberfläche siedeln!
Vollständige Entkrautungsmaßnahmen sind eine ökologische Katastrophe für die Pflanzen, Tiere und Gewässer, die derart behandelt werden, wirken wie eine gemeine Falle, denn eine Zeitlang geht alles gut, und dann räumt Mensch unkundig alles weg!
Wir können uns in dieser Zeit, da ein nie gekanntes Insektensterben grassiert und das Klima verrückte Sprünge macht, keinen Aderlass bei der Insektenfauna mehr erlauben – und ebenso auch nicht bei der übrigen wildlebenden Natur!
Viel besser ist dies zu wissen: wir brauchen es uns gar nicht zu erlauben – wir können stattdessen achtsam vorgehen! Achtsamer Umgang mit Gewässern, Wiesen und Baumbeständen (Forsten und Wäldern …) will gelernt sein, an sich ist alles Wissen dazu da, es will umgesetzt werden.
Was bedeutet achtsamer Umgang mit Lebensräumen der Kulturlandschaft?
1. Keine Hauruck-Metoden mehr einsetzen!
Wir sollten also Gewässer abschnittsweise schonend entkrauten.
Wir sollten Wiesen abschnittsweise mähen
Wir sollten Baumbestände mit angemessener Vorsicht nutzen.
2. Wir sollten diese Lebensräume jeweils auch mal zwei bis zehn Jahre vollkommen ungenutzt lassen. Alles Leben auf dieser Erde braucht Atempausen, Verschnaufpausen, Ruhe- und Erholungsphasen. Die Natur kennt es nicht, dass ihre Lebensräume einem von oben her verordneten Mahdplan unterzogen werden, oder die Durchsetzung einer Forstplanung erleben müssen, die nur nach wenigen „Wirtschaftsbaumarten“ fragt.
3. Bestandsaufnahmen sind alljährlich durchzuführen, damit wir Eingriffe überhaupt in ihrer ökologischen Wirkung abschätzen können. Das gilt an Gewässern, auf Wiesen, im allgemeinen Kulturland und in allem was wir als Wald oder Forst bezeichnen!
Es entspricht unserem Stand der Technik, dass wir an den Lebensgemeinschaften stetig unser wachsames Auge und Ohr haben: Bestandsaufnahmen sollen Jahr für Jahr erfolgen, und von Zeit zu Zeit soll der Schwerpunkt der Untersuchung gewechselt werden, damit wir über eine breite Palette an Artengruppen und ihre Bestandsdichte und Bestandsdynamik Aufschluss haben.
Ich sage damit, dass es sich ziemt, die unter menschlicher Obhut stehende Natur genau zu beobachten. Fachleute sind dafür zur Genüge vorhanden. Die Zeit, da wir wie die „Axt im Walde“ mit der Natur umgingen, sollte endgültig vorbei sein!
Der Aufruf zu achtsamer Pflege von Naturvorkommen in der Kulturlandschaft ist nicht neu. Der frühere BUND-Vorsitzende Prof. Dr. Gerhard Thielcke (de.wikipedia.org/wiki/Gerhard_Thielcke) gab bereits 1981 eine Publikation heraus unter dem Titel „Der Staat als Täter. Die öffentliche Hand als Verursacher von Naturzerstörung“.
An Aktualität hat diese Schrift leider nicht verloren. Teilweise sind inzwischen auch Verbände bzw. Unterverbände in dieses fatale Netzwerk einbezogen worden, wobei als Ursache der Vereinnahmung und des Verlusts von Unabhängigkeit u.Na. die Mittelzuweisung respektive Ermöglichung von „Stellen“ wahrscheinlich erscheint. Thielcke prangerte 1981 an, dass mit öffentlichen Geldern gegen Artenschutz verstoßen werde. Das dürfte nun auch im Karl-Heine-Kanal der Fall sein. Über den Umfang des vermutlich artenschutzrechtlich relevanten Eingriffs, d. h. die evtl. nachteiligen Auswirkungen für Flora und Fauna dürfte kaum etwas bekannt sein.
Meine Frage daher: Wurden v o r der Entkrautung ökologische Bestandsaufnahmen durchgeführt? Wann gegebenenfalls und in welchem Umfang bzw. auf welche Artengruppen bezogen?
Aufruf an die Ämter für Naturschutz und Gewässerpflege
1. Bitte beschränken Sie bereits im laufenden Jahr 2019 die Entkrautung auf max. 2/3, sodass 1/3 des Bestands vor Beginn der Maßnahmen ungestört verbleibt.
2. Beauftragen Sie für die nächste Saison – ab März bis September 2020 – pflanzen- und tierökologische Bestandsaufnahmen, um über das Ausmaß der Besiedlung des Karl Heine-Kanals Aufschluss zu erhalten. Auf dieser Grundlage kann dann entschieden werden, in welchem Umfang künftige, abschnittsweise Entkrautungen durchgeführt werden dürfen.
3. Prüfen Sie auch bezüglich der Pflege naturkundlich wertvoller Wiesenbestände einschließlich solcher in den Kanalbereichen z. B. der Neuen Luppe auf den Bestand indikatorisch wichtiger sowie artenschutzrechtlich relevanter Insekten und anderer Tiergruppen sowie der Vegetation. Beispielsweise bot die Neue Luppe infolge der viel zu dichten Beweidung durch Schafe ein naturkundlich außerordentlich schlechtes Bild.
Weitere Informationen zu Kanälen und natürlich erhaltenen Gewässern, Auenwiesen sowie Forsten und Wäldern bietet das 3. Internationale Auensymposium vom 9. bis 12. September 2019 in der Alten Börse, Naschmarkt, Leipzig-Stadt-Zentrum.
Entkrautungsboote arbeiten sich durch den Karl-Heine-Kanal
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