Genauso wenig, wie wir Menschen immer und ewig gleich bleiben, genauso wenig verbleibt die Natur dauerhaft in einem Stadium. Das Leben besteht generell aus Veränderung – Ökologen nennen es Sukzession. Erich Fried sagte einmal: „Wer will, dass die Welt so bleibt, wie sie ist, der will nicht, dass sie bleibt.“ Man kann wollen, dass der Leipziger Auwald so bleibt, wie er ist.
Man kann auch wollen, dass der Leipziger Auwald wieder genau so wird, wie er vielleicht einmal war, sollte sich dann aber verdeutlichen, dass die Welt heute schlicht eine andere ist als damals und dies wahrscheinlich so gar nicht möglich sein wird. Prinzipiell aber haben wir es hier mit Natur und ihren durchweg offenen Kreisläufen zu tun, welche sich unabhängig vom menschlichen Wollen entwickeln – insofern, als sich Lebensgemeinschaften von Pflanzen und Tieren schlicht an ändernde Umweltbedingungen anpassen.
So wächst dann eben auch mal Spitzahorn da, wo Mensch es nicht möchte oder als Wissenschaftler nicht erwartet– weil diese Baumart gut mit urbanem Stadtklima und dem Stickstoffreichtum unserer Landschaften umgehen kann. Wir Menschen sind dabei selbstverständlich ein Einfluss von vielen, und je nachdem, was wir tun, ändern sich (banal) auch die von uns verursachten Einflüsse, aber das, was wir tun und verursachen, ist komplex und nicht so einfach, wie manche es sich wünschen. Vor allem ist eine Aue nicht einfach steuerbar: Natur ist keine Maschine, bei der man auf ein paar Knöpfe drücken kann und dann passiert das, was man sich gerade wünscht.
Eine Aue ist ein ganz besonderer Lebensraum, dessen besonderes Merkmal seine existentielle Bindung an Flüsse ist. Zwar haben wir Menschen scheinbar unsere Flüsse gebändigt und steuern ihre Wasserstände weitestgehend technisch im Rahmen unserer Möglichkeiten. Natürlich ist dies aber nicht. Ein natürlicher Fluss führt so viel oder wenig Wasser, wie es Niederschläge gibt. Somit schwanken die Wasserstände im Laufe der Jahreszeiten, Jahrzehnte, Jahrhunderte. Elementar ist dabei das Schwanken. Nichts bleibt dauerhaft in einem Stadium.
Genau diesen Schwankungen passen sich die Lebensgemeinschaften einer Aue an. Wie und wo sich welcher Typus von Weichholz- oder Hartholzaue entwickelt, wo sich Feuchtwiesen oder Tümpel entwickeln (oder eben nicht), all dies ist dynamisch, schwankt mit dem Wasser der Flüsse, welche im Übrigen auch nie gleich bleiben, sondern stets und ständig ihren Lauf verändern und mäandrieren.
Eben diese stetigen Veränderungen schaffen eine Vielzahl von Biotopen unterschiedlichster Art, mal von längerer, mal von kürzerer Dauer, wodurch Organismen mit verschiedensten Ansprüchen nachvollziehbarerweise in einer Aue Heimatnischen finden. Theoretisch, denn aktuell werden unsere Flüsse gezwungen, menschengemachte Wasserstände einzuhalten. Und durch diese konstant gehaltenen künstlichen Wasserstände wird der Aue schon seit langer Zeit ihr substantielles, basales Charakteristikum entzogen: die hydrologische Dynamik.
Dennoch haben Lebensgemeinschaften der Aue, wenn auch teilweise nur noch in Relikten, überlebt. Man könnte so die Aue als „schlafend“ bezeichnen. Pessimisten würden sagen, sie stirbt. Prinzipiell kann sie aber nicht sterben, sondern sich nur verändern, sich eben anpassen auf den vorwiegend menschlichen Einfluss, der ihr vor allem den Atem der Flüsse vorenthält.
Von Mopsfledermäusen, Eremiten und den wirklichen Bedürfnissen der Biber
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