Ich weiรŸ nicht, ob man die Entscheidung des Leipziger Stadtrates am 24. Oktober 2018 zum Forstwirtschaftsplan als kollektives Versagen einordnen kann. Ich neige dazu. Gerade weil die Entscheidung so scharf zu einer Meldung der sรคchsischen Landeshauptstadt Dresden nur wenige Tage vorher kontrastiert. Auch dort hat sich der Stadtrat mit der Forstwirtschaft beschรคftigt, aber deutlich anders. Man beschloss bei der Gelegenheit, zwei weitere Waldstรผcke komplett aus der Bewirtschaftung herauszunehmen.

Keine allzu groรŸen, das stimmt wohl. โ€žEine 2,5 Hektar groรŸe Flรคche am Waldhof in Dresden-Wilschdorf und ein 4,8 Hektar groรŸes Gebiet in Dresden-Helfenberg โ€šAn der Kuckscheโ€˜ stehen kรผnftig unter Prozessschutz. Das bedeutet, dass dort keine menschlichen Eingriffe mehr erfolgen, mit Ausnahme von VerkehrssicherungsmaรŸnahmen an den Wanderwegenโ€œ, meldete die Stadt Dresden am 10. Oktober. Und erklรคrte dann auch gleich, was Prozessschutz bedeutet und warum das etwas mit Bรคumen zu tun hat, die jahrhundertealt werden dรผrfen.

โ€žGeschรผtzt sind nun aber nicht nur die Bรคume und Pflanzen, sondern auch die Tiere. Im โ€šKucksche-Waldโ€˜ leben seltene, streng geschรผtzte Tiere wie Schwarzspecht, Waldkauz, Juchtenkรคfer und Fledermausarten wie das GroรŸe Mausohr, die Mopsfledermaus und die Teichfledermaus. Fรผr die Artenvielfalt sind alte Wรคlder sehr wichtig. Mit zunehmendem Alter bilden die Bรคume mehr Hรถhlen, Mulm, Totholz und rissige Borke.

Auf solche Strukturen haben sich viele Tiere spezialisiert. So leben von den etwa 5.800 in Deutschland einheimischen Kรคferarten rund 1.000 im und vom Holz oder von holzbewohnenden Pilzen. Dazu kommen zahlreiche Vertreter anderer Gruppen von Insekten und Gliedertieren aber auch von Vรถgeln und Sรคugetieren. Auf den stehendem und liegendem Totholz fรผhlen sich zahlreiche Pilze, Flechten und Moose wohlโ€œ, listet die Stadt Dresden auf.

So รคhnlich gilt das auch fรผr Leipzigs Auenwald. Nur beschรคftigt sich Leipzigs Stadtrat nicht mit Themen wie Prozessschutz. Als die Stadtrรคte kurz vor der entscheidenden Abstimmung zur Exkursion in die Burgaue eingeladen wurden, standen sie sehr ratlos im Wald, schienen heillos รผberfordert von dem, was ihnen vor allem die am Projekt โ€žLebendige Luppeโ€œ beteiligten Wissenschaftler erzรคhlten. In Leipzig vermischt sich das alles, denn anders als der Eichen-Buchenwald โ€žAn der Kuckscheโ€œ, der gleich in drei Landschaftsschutzgebieten an den Elbhรคngen bei Dresden liegt, ist der Leipziger Auwald im Ganzen und die Burgaue im Speziellen kein naturbelassenes Stรผck Wald mehr.

Freigeschlagene Lichtung in der Burgaue. Die gepflanzten Wildapfelbรคume sind umgefallen. Foto: Ralf Julke
Freigeschlagene Lichtung in der Burgaue. Die gepflanzten Wildapfelbรคume sind umgefallen. Foto: Ralf Julke

In Teilen wurde der Auenwald immer auch forstwirtschaftlich genutzt โ€“ und zwar ungefรคhr bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auch recht intensiv. Das heiรŸt: Der Artenzustand, wie er damals herrschte, war von permanenter menschlicher Nutzung geformt und beeinflusst. Bis auf jene Teile der Elster-Luppe-Aue, die bis in die 1920er Jahre mit vielen verzweigten Armen an Luppe, Nahle und Elster angeschlossen waren. Die Burgaue gehรถrte bis zum Bau der Neuen Luppe und der angrenzenden Deiche mit dazu, weshalb mit hoher Wahrscheinlichkeit Teile der Burgaue noch einen sehr ursprรผnglichen Baumbesatz haben.

Das ist den Forschern und auch dem Stadtfรถrster Andreas Sickert sehr wohl bewusst. Denn das war der Grund, warum ein Teil der Burgaue unter Prozessschutz gestellt wurde. Was nicht unbedingt bedeutet, dass man โ€“ wie in Dresden โ€“ ganz auf Eingriffe verzichtet. Und es bedeutet eben auch nicht, dass auf die Idee verzichtet wird, die Hartholzaue mit forstwirtschaftlichen Mitteln irgendwie zu erhalten.

ร–stlich grenzt deshalb an die Prozessschutzflรคche ein groรŸes Gebiet an, in dem die Abteilung Stadtforsten mit Femelwirtschaft versucht, โ€žden Wald zu verjรผngenโ€œ. Also praktisch das Gegenteil dessen zu tun, was die Dresdener unter Prozessschutz verstehen. Man รผberlรคsst den Wald nicht sich selbst und lรคsst auch die alten Bรคume nicht stehen, bis sie uralt werden. Und man vertraut auch nicht darauf, dass der Wald in der Lage sein kรถnnte, sich selbst zu verjรผngen.

Die drei verschiedenen Bewirtschaftungsarten in der Burgaue. Karte: Stadt Leipzig, Abschlussbericht des Prof. Hellriegel Instituts
Die drei verschiedenen Bewirtschaftungsarten in der Burgaue. Karte: Stadt Leipzig, Abschlussbericht des Prof. Hellriegel Instituts

Stattdessen werden Femellรถcher in den Wald geschlagen, nur einige wenige Starkbรคume stehen gelassen und die freie Flรคche โ€“ wie im Waldgebiet Nonne noch frisch zu besichtigen โ€“ mit der Wunschpflanze Stieleiche bepflanzt.

Im nรถrdlichen Teil der Burgaue sind dann wieder Waldflรคchen fรผr die dritte Bewirtschaftungsart, die Mittelwaldwirtschaft, vorgesehen. Auf ziemlich engem Raum gibt es also drei verschiedene Bewirtschaftungsarten, die in direkter Konkurrenz zueinander stehen.

Das Problem bei forstlicher Bewirtschaftung aber ist immer: Es werden immer wertvolle Altbรคume aus dem Bestand geholt โ€“ und zwar sehr viele. Altbรคume, die selbst ein ganzer Kosmos und Lebensraum fรผr hunderte Tier- und Insektenarten sind. Im Wald geht es nicht um einzelne Bรคume, sondern um ein komplettes Biotop, das unterschiedlichen Spezies unterschiedlichste Rรคume zum Schlafen, an Nahrung, an Schutz bietet.

Das heiรŸt: Wenn in so einem Wald โ€žLรถcherโ€œ entstehen, weil Bรคume umstรผrzen, absterben oder entnommen werden, besetzen sofort hunderte Arten den Standort, zersetzen das Holz, bilden neuen Humus und damit wieder die Grundlage fรผr neue Pflanzen oder junge Bรคume.

Im Auenwald funktioniert das nicht mehr so, wie sich das die Wissenschaftler wรผnschen, denn der Auenwald liegt nun einmal trocken, der Grundwasserspiegel ist deutlich abgesunken, die alten Wasserlรคufe sind ohne Wasser. Das heiรŸt: Typische Bรคume der Hartholzaue finden nicht mehr die Bedingungen vor, die ihnen gegenรผber schnellwachsenden Arten wie etwa dem Ahorn einen Wettbewerbsvorteil bieten.

Was gerade im als Mittelwald bewirtschafteten Gebiet, das direkt an die jetzt geplante Femelflรคche angrenzt, gut zu beobachten ist. Der Ahorn steht hier so dicht, dass im Grunde kein Durchkommen mehr ist. Am Rand findet man noch mehrere der vor wenigen Jahren gepflanzten Stieleichen โ€“ noch schรถn mit dem Plastikschutz gegen Verbiss umwickelt. Aber diese Eichensetzlinge haben kaum Chancen gegen den Ahorn, der ihnen das Licht nimmt. Die meisten sind umgefallen und tot.

Eichensetzlinge im Ahornwald. Foto: Ralf Julke
Eichensetzlinge im Ahornwald. Foto: Ralf Julke

Und dasselbe gilt auch fรผr die vor einigen Jahren im angrenzenden Windbruch gepflanzten Wildapfel-Bรคume. Die gehรถren zwar historisch zur Auenlandschaft โ€“ aber waren stets am Rand der Aue zu finden, nicht mittendrin in den รผberschatteten Wรคldern. Auch dieses Projekt ist sichtlich gescheitert. Auch diese Setzlinge sind abgestorben. Was im Klartext heiรŸt: Die Standortwahl fรผr diese Setzlinge war falsch.

Und wahrscheinlich wรคre es an der Zeit, sรคmtliche bis jetzt angelegten Femel- und Mittelwaldflรคchen daraufhin zu untersuchen, ob die gezielt gepflanzten Jungbรคume (zumeist Eichen) dort รผberhaupt FuรŸ gefasst haben. Denn was man vom Weg aus sieht, sind fast immer groรŸe, dicht von Ahorn und anderen schnellwachsenden Pflanzen bewachsene Inseln, aus denen die wenigen stehen gelassenen Starkbรคume wie traurige Riesen herausragen.

Auch die viel zitierte Studie des Hellriegel-Instituts ist mittlerweile zehn Jahre alt. Zeit genug also, die damaligen Vergleichsergebnisse zu รผberprรผfen und nachzuschauen, ob die Aussagen zur Artenvielfalt so noch aufrechterhalten werden kรถnnen. Denn ein Monitoring, wie es der NuKLA e.V. fordert, bedeutet nun einmal, solche Verรคnderungen langfristig zu begleiten.

Auch die Dresdner betonen, dass erst kรผnftige Generationen erfahren werden, wie sich die Prozessschutzflรคchen tatsรคchlich entwickeln. Wรคlder sind kein statischer Zustand. Sie passen sich an verรคnderte Wasserhaushalte und klimatische Bedingen an. Langsam. Und wenn wichtige Grundparameter nicht stimmen, entwickeln sie sich eben nicht wieder zur Hartholzaue. Wahrscheinlich erzรคhlt die Burgaue genau davon.

Und natรผrlich von einem festen Glauben daran, man kรถnne forstwirtschaftlich wieder reparieren, was der Wald nicht mehr leistet. Denn wirtschaftlichen Nutzen hat die Entnahme verwertbarer Bรคume in Leipzigs Auenwald schon lange nicht mehr. Die Waldpflege ist fรผnfmal teurer als das, was mit dem abtransportierten Holz erwirtschaftet werden kann. Gerade die Burgaue bรถte sich an, gรคnzlich unter Prozessschutz gestellt zu werden โ€“ mit einem gleichzeitigen VorstoรŸ des Stadtrates, hier wirklich eine ร–ffnung der Aue zu den FlieรŸgewรคssern zu erreichen.

Auch die Akteure im Projekt โ€žLebendige Luppeโ€œ begreifen die Revitalisierung einiger Altarme in der Burgaue nur als ersten Schritt hin zu einer Wiederherstellung einer natรผrlichen Auenlandschaft. Aber dagegen sperren sich ausgerechnet Leipziger Verwaltungsinstanzen, sodass mit viel Aufwand etwas versucht wird herzustellen, was der Auenwald selber leisten wรผrde โ€“ wenn er denn nur Wasser hรคtte.

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