Was passiert eigentlich in einer Stadt, in der die zuständige Naturschutzbehörde nicht wie eine Naturschutzbehörde funktioniert? Ungefähr wohl das, was die Familie Viecenz in Böhlitz-Ehrenberg nun seit ein paar Jahren als Papierkrieg mit Ämtern und Gerichten erlebt. Im November wies das Leipziger Verwaltungsgericht ihren Antrag gegen den Bau mehrerer Einfamilienhäuser direkt an der Alten Luppe ab. Mit seltsamen Zahlen.
Und einige dieser Zahlen fallen auf, weil sie eindeutig falsch sind – und direkt aus dem Leipziger Amt für Stadtgrün und Gewässer stammen.
Möglich ist, dass Familie Viecenz der falsche Kläger ist, dass hier ein Naturschutzverein hätte klagen müssen und dass das Verwaltungsgericht möglicherweise recht hat, dass eine nachbarschaftliche Klage hier nicht möglich ist. Das lassen wir offen, denn wenn man die entsprechende Beschlussfeststellung liest, merkt man, dass sich über das Thema ganze Armeen von Rechtsanwälten streiten könnten. Auch über die Frage, ob eine nachbarschaftsrechtliche Klage mit den angeführten Naturschutzgründen möglich ist.
Das Gericht verneint das, es seien Kriterien öffentlicher Belange.
Was ja im Grunde heißt: Hier hätte eigentlich die Naturschutzbehörde einschreiten müssen.
Aber wie gesagt: Die funktioniert in Leipzig nicht ganz so, wie man das von solch einer Behörde erwartet.
Und mit dem Amt für Stadtgrün und Gewässer sieht es leider nicht viel anders aus. Natürlich durfte und musste die Stadt Leipzig schriftlich Stellung nehmen, nachdem die im Forstweg heimische Familie Klage erhob. Die Stellungnahme ist fünf Seiten dick und geht sehr ausführlich darauf ein, warum die Stadt Leipzig 2016 eine Baugenehmigung für die geplanten sechs Einfamilienhäuser direkt am Ufer der Alten Luppe nicht verweigern konnte.
Vorhergegangen war ein Verkauf der bis dato von Bäumen bewachsenen Grundstücke an die Firma Reinbau. Dabei wurde auch das Grundstück mit der Hausnummer 38 verkauft. Und wenn wir alles richtig verstanden haben, wurde der Pachtvertrag, den die Familie Viecenz für dieses Ufergrundstück hatte, von Seiten der Stadt nie gekündigt.
Bestimmt können auch darüber Rechtsanwälte streiten. Aber es sieht ganz so aus, als hätte es die Stadt sehr eilig gehabt, die Grundstücke zu verkaufen und den Bau von sechs Einfamilienhäusern zu genehmigen. Und dass man dabei einige rechtliche Rahmenbedingungen „übersehen“ hat.
Da muss man wirklich erst ein bisschen suchen: Deutsche und sächsische Gesetze sind derart detailliert und auf unterschiedlichste Gesetzbücher verstreut, dass man schon mal ein paar Rahmenbedingungen übersehen kann.
Und dass zumindest im Amt für Stadtgrün eine Rahmensetzung sehr wohl bekannt ist, belegt eine Passage aus der Stellungnahme der Stadt: „In einer Entfernung von ca. 33 Metern vom Baugrundstück liegt das Naturschutzgebiet Leipziger Auwald.
Ebenfalls zutreffend ist die Aussage des Klägers, dass die Abteilung Stadtforsten einen Waldabstand von 30 Metern zu den geplanten Einfamilien- und Doppelhäusern bestätigt hat. Allerdings untersteht der besagte Wald entgegen der Behauptung des Klägers nicht dem Staatsbetrieb Sachsenforst als oberste Forstbehörde, sondern der besagte Wald liegt im Zuständigkeitsbereich der unteren Forstbehörde der Stadt Leipzig.“
An der Passage ist einiges problematisch. Denn es stimmt: Der stadteigene Wald liegt tatsächlich „in einer Entfernung von ca. 33 Metern vom Baugrundstück“, nämlich hinter dem nächsten vom Forstweg abzweigenden Waldweg. Aber schon die nächste Aussage stimmt nicht: Die Grenze des Naturschutzgebiets Leipziger Auwald ist nicht mit der Grenze des Stadtwalds identisch.
Zwischen dem Stadtwald, der etwa 33 Meter nördlich der alten Luppe beginnt, und der Alten Luppe selbst liegt ein Waldstück, das tatsächlich dem Sachsenforst untersteht. Eben jenem Sachsenforst, der die im Bild zu sehenden Sicherheitsfällungen vornahm. Der Wald reicht also über die Alte Luppe hinauf bis zur Böschungskante. Abstand: nicht 33, sondern null Meter.
Die Formulierung der Stadt ist eindeutig irreführend gehalten. Denn um den Wald der Stadt geht es hier gar nicht, sondern um den Wald des Sachsenforsts, der hier direkt an die Alte Luppe grenzt. Anzudeuten, der Sachsenforst sei hier gar nicht zuständig, sondern die Leipziger Stadtförster, ist eindeutig irreführend.
Denn damit wird suggeriert, der Waldabstand von 30 Meter sei gewahrt worden. Was sichtlich nicht stimmt.
Warum ist dieser Waldabstand wichtig?
Das regelt ganz eindeutig das Sächsische Waldgesetz. In § 28 Abschnitt 3 heißt es eindeutig: „Bauliche Anlagen mit Feuerstätten müssen von Wäldern, Mooren und Heiden mindestens 30 Meter entfernt sein; die gleiche Entfernung ist mit Gebäuden von Wäldern sowie mit Wäldern von Gebäuden einzuhalten. Ausnahmen können gestattet werden. Größere Abstände können verlangt werden, soweit dies wegen des Brandschutzes oder zur Sicherheit der Gebäude erforderlich ist. Die Entscheidung trifft die untere Baurechtsbehörde im Benehmen mit der Forstbehörde.“
Indem Leipzigs Verwaltung suggeriert, ihr eigener Stadtwald sei Maßstab für die Entfernung, sorgt sie eindeutig für ein falsches Bild. Da erstaunt es schon, dass die Landesdirektion dem Vorgang zugestimmt hat. Allein dieser Paragraph aus dem Sächsischen Waldgesetz hätte den Bau von Einfamilienhäusern an dieser Stelle eigentlich verboten. Und der Paragraph liest sich nicht wirklich so, als würden sich Rechtsanwälte hier wirklich streiten können. Die Baugenehmigung hätte schon aus Gründen des Brandschutzes für den Wald untersagt werden müssen.
Und es ist nicht der einzige Punkt, wo naturschutzrechtliche Regelungen ignoriert wurden.
Man darf wirklich ins Zweifeln kommen, was sich die Leipziger Stadtverwaltung an dieser Stelle eigentlich gedacht hat und warum das Gericht den Argumenten auch noch gefolgt ist.
Wir machen gleich mit dem zweiten Problem weiter.
Sachsenforst musste die ersten Bäume an der Alten Luppe zur Sicherheit fällen
Sachsenforst musste die ersten Bäume an der Alten Luppe zur Sicherheit fällen
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