Das klang wie ein Totschlagargument, als das Dezernat Umwelt, Ordnung, Sport am 14. November zur geplanten Freilegung des Pleißemühlgrabens an der Hauptfeuerwache meldete: „Die Freilegung im alten Verlauf würde mit Gesamtkosten von rund 30, 5 Millionen Euro zu Buche schlagen, für den Verlauf am Goerdelerring werden etwa 18,5 Millionen Euro veranschlagt.“ Ein Argument, das wirkt. Die meisten Fraktionen im Stadtrat zeigen sich schon schwer beeindruckt.
Das Dezernat erklärte den Unterschied so: „Hintergrund: Um den alten Verlauf beibehalten zu können, müsste die Hauptfeuerwache durch einen Neubau ergänzt werden und die hintere Hoffläche wäre nicht mehr nutzbar. Zur Sicherung des Brand- und Katastrophenschutzes in der Stadt müssten zudem alternative Standorte gefunden werden. Diese Argumente gaben in der Abwägung der Bürgerbeteiligung letztlich den Ausschlag.“
Was natürlich – auf ganz feine Art – geschwindelt ist. Denn die Bürgerbeteiligung war keine. Sie war genau die Show, die ein überrumpeltes Dezernat abzieht, das an ein sieben Jahre altes Versprechen erinnert wurde, die Entscheidung um den künftigen Verlauf des Pleißemühlgrabens tatsächlich in einer Bürgerbeteiligung zu klären.
Was scheinbar 2017/2018 passierte.
Ohne dass den Bürgern erklärt wurde, dass man 1. den Betriebshof nicht hergeben wollte und 2. dass ein Neubau so eines neuen Komplexes 14,9 Millionen Euro kosten würde. Eine Zahl, die in der Bürgerbeteiligung nie erwähnt wurde. Sie tauchte erst am 14. November auf.
Und funktionierte dann wie ein Hammer. Kein Gedanke, überhaupt noch über die historische Flussvariante nachzudenken. Das Votum der Bürgerbeteiligung – überflüssig. Als eine Abstimmung über den künftigen Verlauf des Pleißemühlgrabens sei die Bürgerbeteiligung auch nicht gedacht gewesen, so Bürgermeister Heiko Rosenthal.
Wozu dann also diese Bürgerbeteiligung, fragen sich gerade all jene zu Recht, die beteiligt waren. Wenn die Extra-Kosten für eine neue Wache erst hinterher wie ein Kaninchen aus dem Hut gezaubert werden, dann war die Sache doch abgekartet. Dann war die Bürgerbeteiligung bloß ein amtlicher Versuch, den Bürgern Beteiligung vorzugaukeln, obwohl amtsintern alles schon entschieden war und die Verantwortlichen gar nicht daran dachten, irgendetwas an ihrem Beschluss zu ändern.
Fake-Beteiligung also.
Und wer ins Jahr 2016 zurückschaut, als Leipzig in einem Affenzahn die 19 Millionen Euro aus dem Förderprogramm „Brücken in die Zukunft“ beantragte, um damit die Hauptfeuerwache zu sanieren, der sieht, warum gerade CDU-Stadträtin Sabine Heymann richtig wütend ist auf so viel Scheinheiligkeit. Sie registrierte nämlich sehr aufmerksam, dass Leipzig mit dem Förderantrag eine Vorentscheidung getroffen hatte.
Und sie fragte aus gutem Grund nach, warum es vorher nicht die versprochene Bürgerbeteiligung gegeben hatte.
Die Auskunft des Umweltbürgermeisters von damals spricht Bände. Gleich in Antwort 1 wird deutlich, dass das Umweltdezernat nicht einen Augenblick lang bereit war, über den betonierten Betriebshof hinter der Feuerwache nachzudenken. Sie will diesen hässlichen Platz in der ganzen Dimension genau so erhalten. Unter dem betonierten Hof aber liegt der alte Mühlgrabenverlauf. Wer nicht mal darüber diskutieren will, ob dieser Betriebshof verlegt werden kann, hat die Bürgerbeteiligung schon ad absurdum geführt. Umso verblüffender, dass man die Bürger dann doch zwei Mal zum Diskutieren einlud. Worüber eigentlich?
Die Fragen und Antworten von Anfang 2017:
- Werden rechtzeitig vor Abschluss der Planung der Komplettsanierung der Hauptfeuerwache die Eckpunkte des B-Planes 366 geklärt sein?
Für den Bebauungsplan sind folgende Eckpunkte vorgesehen:
– Der Standort der Hauptfeuerwache am Goerdelerring ist festgeschrieben.
– Der Hof auf der Rückseite der Hauptfeuerwache wird ganzflächig für die Aufgaben der Feuerwehr benötigt und steht daher in diesem Abschnitt für eine Öffnung des Pleißemühlgrabens in seinem historischen Verlauf nicht zur Verfügung.
Die Eckpunkte sind mit der Komplettsanierung der Hauptfeuerwache kompatibel.
- Wenn nicht: Wird die Planung der Komplettsanierung der Hauptfeuerwache berücksichtigen, dass wesentliche Entscheidungen, die im B-Plan 366 zu treffen sind, die sich auf die Nutzbarkeit des Umfeldes der Hauptfeuerwache künftig auswirken können, noch offen sind?
Die Frage trifft nicht zu (siehe Antwort auf Frage 1).
- Wenn nicht: Auf welchem Weg wird dann die Öffentlichkeit beteiligt, um die Entscheidung zu eben diesen Eckpunkten, wie die Trasse des zu öffnenden Pleißemühlgrabens vorzubereiten?
Die Frage trifft nicht zu (siehe Antwort auf Frage 1). Zur Öffentlichkeitsbeteiligung möchte ich trotzdem folgende Informationen geben:
Im Rahmen des Verfahrens zur Offenlegung des Pleißemühlgrabens wird die Stadtverwaltung intensiv durch die Leipziger Bürgerschaft unterstützt. Maßgeblich erfolgt dies u. a. durch den Förderverein „Neue Ufer“ e. V., der bereits während der Erstellung der Planung LP 1/2 für die Offenlegung des Pleißemühlgrabens an der Hauptfeuerwache durch das Amt für Stadtgrün und Gewässer beteiligt wurde.
Auf Initiative des Fördervereins „Neue Ufer“ e. V. wird als erste Stufe eines zweistufigen Öffentlichkeitsverfahrens mit dem Stadtplanungsamt, dem Amt für Stadtgrün und Gewässer und der Branddirektion ein Bürgerbeteiligungsverfahren in Form einer moderierten Anhörungsveranstaltung Anfang 2017 durchgeführt. Zu dieser Veranstaltung werden neben den beteiligten und ortsansässigen Vereinen, z. B. Waldstraßenviertel e.V., auch Anlieger und betroffene Grundstückseigentümer, z. B. IHK, LWB, sowie die interessierte Fachöffentlichkeit geladen.
Auf der Grundlage dieser ersten Stufe der Bürgerbeteiligung erstellen das Stadtplanungsamt und das Amt für Stadtgrün und Gewässer eine gemeinsame Beschlussvorlage zur Festlegung der Vorzugstrasse des Pleißemühlgrabens. Diese wird als s. g. „2. Stufe“ der Öffentlichkeitsbeteiligung ab April 2017 ins Gremium-Verfahren gegeben und dem Stadtrat zur Beschlussfassung vorgelegt.
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Heute wissen wir, dass sich auch der Verein Neue Ufer durch dieses Vorgehen gelinkt fühlt. Die „Vorzugstrasse“, die ganz augenscheinlich von Anfang an feststand, wurde jetzt – mit anderthalbjähriger Verspätung – genau so ins Verfahren gegeben. Der Stadtrat wird wohl zustimmen, obwohl auch die Aussage gefallen ist, dass nicht mal über eine Verlegung des Betriebshofes vor die Feuerwache (wie von Neue Ufer vorgeschlagen) nachgedacht wurde. Auch über die angedeutete Variante, nur einen Teil des alten Verlaufs zu öffnen und den Betriebshof evtl. zu verkleinern (wie in der Antwort angedeutet) wurde nicht nachgedacht.
Man hatte einfach zwei Jahre lang nichts gemacht und die Bürgerbeteiligung ins Leere laufen lassen.
Und die Stadtratsmehrheit wird sich das wohl auch diesmal wieder gefallen lassen und so tun, als sei der Stadtrat nur ein Anhängsel der Verwaltung.
Bürgerbeteiligung in Leipzig?
Eine Show, die gerade bei jenen, die sich wirklich einbringen, zunehmend das Gefühl erzeugt, dass die Weisheit der Bürger nicht gefragt und nicht gewollt ist.
Es gibt 5 Kommentare
So ist es. Es geht immer weiter. Allerdings unabhängig davon, wie viel Menschen sich beteiligen.
Genau deshalb haben die sogenannten Eliten auch eine besondere Verantwortung.
Demokratie wird nicht nur im Land und Bund sondern auch der Kommune gelebt. Dort auch direkt erlebt. Hier darf man die Verachtung durch Verwaltung und Stadtrat zur Kenntnis nehmen – auf Augenhöhe. Diesen Unsinn (auf Augenhöhe) kann man nicht mehr hören. Die treten Demokratie mit Füßen. Und verbreiten Aufrufe. “Aufbruch 2019” zum Beispiel.
Es spielt auch keine Rolle, wieviel Menschen sich beteiligen.
Gegen eine motorisierte Gewässernutzung haben 11.000 protestiert. Heute sind die Gewässer zu (Wasser-) Straßen umgewidmet…
Es wäre jedoch auch schwierig, bestimmten nicht Argumente sondern blanke Zahlen.
Allerdings genau die Argumente gibt es hier nicht.
Bei all diesen berechtigten und verständlichen Kritiken und Vorwürfen (denen ich mich anschließe) darf man aber die Augen nicht davor verschließen, dass bei der Bürgerbeteiligung nur ein paar hundert Leute von fast 600.000 Einwohnern mitgemacht haben. So lange das so ist/bleibt, können sich die Verwaltung und der Stadtrat sicher sein, dass die überwältigende Mehrheit alles, was man ihr vorsetzt – vielleicht grummelnd, meckernd oder nörgelnd, aber dennoch – hinnimmt. Und bei der nächsten Wahl spielen solche Aspekte dann wieder kaum noch eine Rolle. Da entscheiden dann wieder langfristige politische Überzeugungen und tagesaktuelle (bundes- und landes- neben kommunal-)politsche(n) Themen darüber, wer in den Stadtrat einzieht. Und dann geht es genau so weiter, mit kleinen Nuancen vielleicht…
Zockerei im städtischen Eigenbetrieb, Herrenlose Häuser, Ersatzneubau Nahleauslassbauwerk nicht für die Burgaue genutzt, überdimensionierter Kreisel im Clarapark, zu niedriger Bahnbrückenneubau über die Nahle und Luppe, Fällungen im geschützten Auwald, der Pleißemühlgraben an der HFW, das Millionengrab WTNK. Vielleicht sollte man die Reihe versuchen, vollständig(er) zu machen. Um zu fühlen (!), mit welch uneingeschränkter Ignoranz und Willkür die Verwaltung dieser Stadt sich schamlos über die Menschen hinwegsetzt, denen zu dienen sie eigentlich verpflichtet ist. Und der Stadtrat: überfordert und/oder Teil des Systems? Die gewählten VertreterInnen der Bürgerschaft, die sich beharrlich weigern, aufzustehn und sich diesem Trauerspiel zu widersetzen. Warum eigentlich?!
So entstehen Menschen, die dann von solchen Systembeteiligten als “Wutbürger” diffamiert werden.
Solangsam merken immer mehr, dass Leipziger Bürgerbeteiligung eine Farce ist, das ungeheuerliche daran: mit des Bürgers Geld werden die Bürger von der Verwaltung mehr als veräppelt, aktuell läuft ja die Bürgerbeteiligung zur Fortschreibung des WTNK, morgen z. B. trifft sich der Runde Tisch zum 3. Mal dazu. Ich kann nur sagen, dass man sich daran nicht beteiligen sollte, denn wenn doch, so heißt es in einigen Jahren, was wollen sie denn, sie haben daran mitgearbeitet..
Wir brauchen eine neue Verwaltung und neue verantwortliche Politiker in dieser unserer Stadt. Und das schnellstmöglich.
Wie wurde denn der “Neue Ufer” e.V. in LP 1/2 eingebunden?
Wussten die also schon frühzeitig, dass der betonierte Hof unbedingt erhalten bleiben wird?
Gab es nicht einen Stadtratsbeschluss zur historischen Öffnung?
Wird der jetzt aufgehoben?
Wie kann man bei einer Variantenuntersuchung abstimmen, wenn die Varianten offensichtlich gar nicht korrekt geprüft wurden?
Man sollte solche Vorgehensweisen boykottieren.
Was kann man noch tun?
Mich macht vor allem wütend, dass das einfach so passiert; dass die “Verwaltung” wie ein König alles – sogar den Stadtrat – so vorführen kann. Das Prinzipien mit Füßen getreten werden.