Der Sommer kommt eh immer überraschend. Da stellen auch manche Stadträte oft genug fest, dass doch wieder nicht alles geschafft wurde. Und manchmal drängt die Zeit. Denn gleich nach den Ferien soll der Masterplan zur Quartiersentwicklung „Eutritzscher Freiladebahnhof“ beraten werden, spätestens zum Jahresende beschlossen. Aber eine Frage ließ jetzt Tim Elschner (Grüne) und Christopher Zenker (SPD) nicht los: Sollte sich Leipzig nicht die Grundstücke fürs Gemeinwohl sichern?
Denn im Prinzip hat sich ja die CG Gruppe bereit erklärt, mit der Stadt Leipzig hier etwas zu wagen, was sich „kooperative Baulandentwicklung“ nennt. Der Investor plant das neue Wohn- und Gewerbegebiet auf dem ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhof gemeinsam mit der Stadt, bringt wichtige Dinge mit unter, die so ein neuer Ortsteil nun einmal braucht und klärt diese Dinge im Gespräch mit der Stadt.
So findet die Schule ihren Platz, eine Kita, ein Sportplatz und möglicherweise auch eine neue Nutzung für den alten Lokschuppen auf dem Gelände.
Aber bislang wurde nicht geklärt, wie mit den dazu nötigen Grundstücken umgegangen wird. In der bisherigen Bürgerbeteiligung und der Städtebauwerkstatt hat die CG City Leipzig Nord GmbH & Co. KG schon deutlich gemacht, dass sie bereit ist, diese Grundstücke in irgendeiner Form an die Stadt abzugeben. Verkaufen wäre natürlich aus Sicht des Investors die lukrativere Form.
Aber Elschner und Zenker sahen nach der intensiven Bürgerbeteiligung die einmalige Chance, die CG Gruppe dazu zu bringen, die Grundstücke kostenfrei an die Stadt abzugeben. Es wäre eine Art Tauschhandel geworden. Denn in den Bürgerbeteiligungen wurde klar, dass sich nicht nur die Bürger hier deutlich mehr Wohnungen und Gewerberaum wünschen, als ursprünglich von CG geplant. Die CG Gruppe sieht selbst die Chance, hier deutlich mehr Wohn- und Gewerberaum zu bauen. Die geplante Wohnfläche wächst von 196.000 auf 217.000 Quadratmeter, die Gewerbefläche von 84.000 auf 98.000 Quadratmeter. Das Quartier wird also wesentlich kompakter und dichter und einige Gebäude werden auch noch höher als zuvor geplant.
Die CG Gruppe kann also mit dem attraktiv gelegenen Grundstück in Innenstadtnähe deutlich besser wirtschaften.
Kooperative Baulandentwicklung aber heißt dann auch, dass das auch mit der Stadt vertraglich vereinbart werden muss. Und die Frage steht tatsächlich: Was bekommt die Stadt im Gegenzug? Was hilft ihr selbst weiter, hier die städtebauliche Entwicklung zu sichern?
Und so zeichnet sich im nun zu erarbeitenden endgültigen Nutzungskonzept ab, dass sich die wesentlichen und in der Planungs- und Entwicklungsvereinbarung vom April 2017 geregelten „vorläufigen“ städtebaulichen Flächenkennziffern für Wohnen und Gewerbe deutlich zugunsten der Vorhabenträgerin verschieben werden.
Weshalb die Stadträte Tim Elschner (Bündnis 90/Die Grünen) und Christopher Zenker (SPD) den Abschluss eines ergänzenden städtebaulichen Vertrages beantragen, der auf der Planungs- und Entwicklungsvereinbarung aufbauen soll. Dass sich die beiden jetzt zusammengetan haben, liegt schlicht daran, dass auch im Stadtrat Sommerpause ist und die Fraktionen nicht tagen. Da aber gleich nach der Sommerpause die Stadtratsdiskussion um den Freiladebahnhof und die nötigen Vertragswerke beginnt, ist Eile angesagt, damit diese nicht unwichtige Veränderung noch Vertragsbestandteil wird.
„Wir begrüßen, dass durch eine höhere Dichte mehr Platz für Wohnen und Arbeiten in dem neuen Stadtquartier geschaffen wird. Zum Ausgleich dieses wirtschaftlich nicht unerheblichen Vorteils, den die Vorhabenträgerin dadurch erhält, sprechen wir uns für eine kostenfreie Übertragung von bestimmten Baufeldern und Flächen aus, weil mit dieser gewünschten Verdichtung selbstverständlich auch die Anforderungen an die Infrastruktur steigen“, stellt Stadtrat Tim Elschner (Bündnis 90/Die Grünen) fest.
Aber eine Rücksprache mit dem Stadtplanungsamt ergab dann den Hinweis, dass eine solche kostenfreie Übertragung von Grundstücken so in Sachsen nicht möglich ist. Üblicher ist eine Übertragung nach Verkehrswert. Natürlich halte man am Antrag fest, auch wenn noch kostenfrei drin stünde, sagt Elschner. Vielleicht werde man das in einer gemeinsamen Fraktionssitzung noch nachbessern. In welcher Art die Stadt die Grundstücke erwerben könne, sei sowieso Aufgabe der Verwaltung. Der Sinn des Antrags bleibe bestehen.
Elschner: „Neben der Sicherung von Gemeinbedarfsflächen erhält die Stadt die gestalterische Möglichkeit, in diesem neuen Stadtquartier mit einer ‚Kulturmeile‘, einem ‚Sportpark‘ sowie mit der Beförderung kooperativer Wohnprojekte wichtige stadtentwicklungspolitische Ziele wirksam setzen zu können.“
Und SPD-Stadtrat Christopher Zenker: „Das Gelände des ehemaligen Eutritzscher Freiladebahnhof hat eine Fläche, die etwa so groß ist wie drei Viertel der Leipziger Innenstadt. Gerade bei einem so bedeutenden Vorhaben mit Ausstrahlung weit über dieses Quartier hinaus sollten wir ein neues Selbstbewusstsein gegenüber Investoren entwickeln. Die kooperative Baulandentwicklung ist ein gutes Instrument zum Interessenausgleich zwischen Stadt und Investor. Mehr Wohn- und Gewerbeflächen und damit eine höhere Dichte sind vor dem Hintergrund des Grundsatzes ‚Innen- vor Außenentwicklung‘ zu unterstützen.
Lebenswerte Stadtviertel bestehen jedoch nicht allein aus Arbeits- und Wohnstätten, es gehören auch Kitas und Schulen sowie Sportflächen dorthin. Auch der Erhalt und die Weiterentwicklung von Kulturangeboten sind notwendig. Vor diesem Hintergrund halten wir die Übertragung von Flächen mit vorheriger Angemessenheitsprüfung für ein geeignetes Mittel, um allen Interessen gerecht zu werden. Die Wirtschaftlichkeit des Gesamtvorhabens wird damit aus unserer Sicht nicht infrage gestellt.“
Beide Stadträte sprechen sich für die Übertragung von vier definierten Baufeldern und Flächen an die Stadt aus, die für die Sozial- und Bildungsinfrastruktur, für Sportflächen und kulturelle Angebote, für weitere öffentliche Nutzungen sowie für „experimentelles Wohnen“ vorgesehen sind.
Die vier Baufelder, für die sich Elschner und Zenker eine Übertragung an die Stadt vorstellen können:
- a) das gesamte Baufeld „Schulcampus“ (also einschließlich der für das Leibniz-Gymnasium vorgesehen Sporthalle und der Sportfreiflächen) direkt an der Ecke Delitzscher Straße/Theresienstraße
- b) das Baufeld 25 „kulturelle Nutzungen“ sowie die für den angrenzenden „Sportpark“ vorgesehene Fläche sowie die darauf befindlichen Gebäude, die gleich ans Schulgelände angrenzen,
- c) das Baufeld 26 „Lokschuppen“ (Vorhalten für eine öffentliche Nutzung), das direkt an den geplanten Quartierspark angrenzt und zur Belebung des westlichen Wohnquartiers wichtig wäre
- d) und die Baufelder 10 und 11 für die Umsetzung kooperativer Wohnprojekte (Vergabe im Konzeptverfahren). Das ist ein schmaler Streifen, der bis zur Berliner Straße reicht und auch bis jetzt schon für experimentelles Wohnen angedacht war. Aber natürlich sucht ja auch die Stadt verzweifelt nach Grundstücken, auf denen kooperative Wohnformen und Konzeptvergabe möglich sind.
Da „kostenfrei“ nicht möglich scheint, müsste – falls der Stadtrat zustimmt – die Verwaltung mit der CG Gruppe aushandeln, wie die Grundstücke dennoch in Obhut der Stadt kommen könnten.
„Wo neuer Wohnraum entsteht, muss auch die soziale, kulturelle und sportliche Infrastruktur Schritt halten. Aktuell gibt es mehrere größere Baugrundstücke in Privatbesitz, auf denen der Stadt Leipzig seit Jahren Kitas und Schulen versprochen werden, was aber bis heute nicht ansatzweise realisiert wurde. Ähnlich verhält es sich mit gewachsener Kulturlandschaft“, sagt Christopher Zenker.
„Wir wollen nicht, dass Kultur am Reißbrett geplant wird, sondern dass sich bestehende Angebote weiterentwickeln können. Die Grundstücke in der Hand der Kommune können die langfristige Entwicklung sichern, ohne dass die Kulturbetriebe vom ‚Goodwill‘ der Vorhabenträgerin abhängig sind. Wir erwarten von der Vorhabenträgerin, dass jetzt keine vollendeten Tatsachen geschaffen werden, sondern bestehende Miet- und Pachtverträge bis zur endgültigen Klärung befristet verlängert und Kündigungen zurückgenommen werden.“
Ein Wunsch, der schon am Freitag, als die beiden ihren Antrag vorstellten, den ersten Schlag erhielt: Dem Kulturzentrum „So&So“, das auf dem Gelände ansässig ist, wurde gekündigt.
Wie wichtig die Übertragung einiger Baufelder ist, betont auch Tim Elschner: „Zum Vorhalten einer öffentlichen Nutzung soll der ehemalige Lokschuppen, der unter Denkmalschutz steht, ebenfalls in das Eigentum der Stadt übergehen. Mit einer künftigen öffentlichen Nutzung des Gebäudes wollen wir einen lebendigen Stadtraum absichern, denn vertraglich vereinbartes Ziel ist es, eine gemischte Nutzungsstruktur auf dem gesamten Areal anzustreben.“
Damit Stadtverwaltung und Vorhabenträgerin sich frühzeitig mit dem Antragsinhalt befassen können, haben sich die Antragsteller entschlossen, diesen Antrag in der sitzungsfreien Zeit des Stadtrates einzureichen. Der Antrag soll in der August-Sitzung der Ratsversammlung (1. Lesung) in den Fachausschuss Stadtentwicklung und Bau verwiesen und bereits in der September-Sitzung der Ratsversammlung (2. Lesung) zur Abstimmung gestellt werden. Der ergänzende städtebauliche Vertrag soll dem Stadtrat letztendlich bis spätestens zum Ende des IV. Quartals 2018 zusammen mit dem Masterplan zur Beschlussfassung vorgelegt werden.
Die Beschlussfassung der Masterplanung war bereits ursprünglich im II. Quartal 2018 vorgesehen. Die Fraktionen Bündnis 90/Die Grünen und SPD werden sich damit jeweils in ihren ersten Fraktionssitzungen nach der Sommerpause ausführlich befassen.
Vertrag zur Entwickung des neuen Stadtquartiers ist unterschrieben, ab 2020 kann gebaut werden
Vertrag zur Entwickung des neuen Stadtquartiers ist unterschrieben, ab 2020 kann gebaut werden
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Der Petition “Freiräume erhalten – Clubkultur schützen” an den Leipziger Oberbürgermeister fehlen bis morgen noch die Unterschriften zum Quorum.
https://www.openpetition.de/petition/online/freiraeume-erhalten-clubkultur-schuetzen-petition-der-ig-livekommbinat-leipzig
Dabei geht nicht nur um die Freiräume,
das Selbstbewusstsein des Stadtrates und der Verwaltung muss gestärkt werden,
sich für eine lebenswerte Stadt und bezahlbare Mieten für alle einzusetzen
und sich nicht von Bauentwicklern mit ihren rein profitorientierten Investoren,
hinhalten, vorführen und nötigen zu lassen.