Wie groß soll das Ding nun werden? Und wie viel Mitspracherecht sollen die Bürger bekommen? Als die Vorlage der Stadt für den Neubau der Georg-Schwarz-Brücken im Januar publik wurde, war man nicht nur im Stadtbezirksbeirat Altwest überrascht und gelinde entsetzt. Mit einem Autobahnkreuz hatte dort niemand gerechnet.
Und auch im Stadtrat gab es zumindest zwei Fraktionen, die auf die Baupläne recht irritiert reagierten. Die Linksfraktion beantragte das, was ganz unübersehbar noch fehlte: eine richtige Bürgerbeteiligung.
Am 21. März diskutierte der Leipziger Stadtrat dann öffentlich über den geplanten Neubau der Georg-Schwarz-Brücken, die Leutzsch mit Böhlitz-Ehrenberg verbinden.
Und Grünen-Stadtrat Tim Elschner las den städtischen Planern am Rednerpult die Leviten.
„Die Vorplanung, die heute vom Stadtrat bestätigt werden soll, stammt aus den 1990er Jahren. Sie entspricht nicht den verkehrspolitischen Zielen des STEP aus dem Jahr 2004 und seiner Fortschreibung, beschlossen vom Stadtrat 2015.“
Die Dimension der geplanten Brücke erinnert an die Zeit, als die Straße Am Ritterschlösschen und die Hupfeldstraße mal Teil des Mittleren Ringes werden sollten – und zwar vierstreifig ausgebaut.
Elschner zählte gleich mehrere Gründe auf, warum die Grünen in Bezug auf die Vorlage einen Absetzungsantrag stellten:
– Am 7. Februar wurde die Vorlage im Stadtbezirksbeirat Alt-West beraten. Nachdem die Vorlage seitens der Verwaltung sehr ausführlich eingebracht wurde, verblieb den Mitgliedern des Stadtbezirksbeirates aufgrund des alarmgesicherten Gebäudes bzw. des Sitzungssaales nicht mehr genügend Zeit, die Vorlage ebenfalls ausführlich zu diskutieren. Zahlreiche anwesende Gäste, die sich ebenfalls zu dem Thema äußern wollten, konnten, weil der Vorsitzende die Diskussion abbrach, nicht mehr gehört werden. Der Stadtbezirksbeirat Alt-West hat aufgrund dessen am 7. März 2018 eine „wichtige Angelegenheit“ einstimmig beschlossen, mit dem Ziel, dass die Verwaltung beauftragt werde solle, hinsichtlich des Neubaus der Georg-Schwarz-Brücken eine umfassende Bürgerbeteiligung durchzuführen. Wir sollten das Anliegen des Stadtbezirksbeirates Alt-West ernst nehmen!
– Am 22. Februar 2018 fanden sich zur Sitzung des Ortschaftsrates Böhlitz-Ehrenberg ca. 150 Interessierte ein, die laut Verwaltung sich ebenfalls überwiegend und auch kontrovers zum Thema „Neubau der Georg-Schwarz-Brücken“ bzw. insbesondere zur „Anbindung Heinrich-Heine-Straße“ äußerten. Ein weiterer Beleg dafür, dass eine frühzeitige Bürger- und Akteursbeteiligung noch vor Bestätigung der Vorplanung notwendig ist bzw. gewesen wäre.
– Bereits im Vorfeld der Beratungen in den Gremien monierten auch Vereine und Verbände nachvollziehbar und zu Recht eine nicht ausreichend stattgefundene Bürger- und Akteursbeteiligung, insbesondere in Bezug auf verschiedene Planungsvarianten. Ich erinnere an den doch von allen Seiten gelobten Beteiligungsprozess zur Karl-Liebknecht-Straße!
– Fragen zu einer „sanfteren Brückenbau-Variante“, Fragen, wie sich mit einem Brückenneubau auch der ÖPNV-Knotenpunkt vor Ort maßgeblich stärken lässt, aber auch Fragen unter dem Gesichtspunkt einer integrierten Stadtentwicklung, die sich unseres Erachtens unweigerlich stellen, konnten nicht wirkungsvoll ausdiskutiert, beantwortet und letztendlich auch sachlich geklärt werden.
„Zwar legt die Verwaltung nun eine Neufassung vor, die die künftige Bürger- und Akteursbeteiligung skizziert. Aber mit einer heutigen Beschlussfassung würde eben doch die Vorplanung im Kern bestätigt werden“, stellte Elschner fest. „Bei dieser – nennen wir sie – ‚nachgelagerten‘ Bürger- und Akteursbeteiligung, ich beziehe mich nun insbesondere auf die Fachgespräche mit den Verbänden und Vereinen, die jetzt stattfinden sollen, geht es deshalb unseres Erachtens vor allem nur noch um die Schaffung von Akzeptanz! Damit wird der Sinn und Zweck von Bürgerbeteiligung doch etwas verkannt, um mich vorsichtig auszudrücken!“
Und das Thema Bürgerbeteiligung kam an diesem Abend noch einmal auf. Denn sie macht keinen Sinn, wenn sie nur dann stattfindet, wenn der Druck aus der Bürgerschaft groß genug ist und die Stadtverwaltung einlenkt.
Dass das bei den Georg-Schwarz-Brücken nicht ganz selbstverständlich stattgefunden hat, fand Elschner zumindest seltsam: „Gemeinsam mit der Koordinierungsstelle für Bürgerbeteiligung ‚Leipzig weiter denken‘ ist zu überlegen, wie diese Bürger- und Akteursbeteiligung so stattfinden kann, dass der Brückenneubau ab 2021 dabei nicht infrage gestellt wird. Das wird doch wohl zu schaffen sein!? – Wir Grüne sind der Auffassung, dass der Stadtrat letztendlich nur so eine sachgerechte und abgewogene Entscheidung wird treffen können!“
Und als das Brückenpaket dann selbst zur Abstimmung kam, meldete sich Elschner genau zu diesem Punkt noch einmal zu Wort. Denn eine „nachgelagerte“ Bürgerbeteiligung macht ja keinen Sinn, wenn die Grundstruktur des Projekts schon beschlossen ist. Da geht es nur noch um Details. Und was ihm besonders auffiel, war, dass die Unterlassung der Bürgerbeteiligung durch die Verwaltung nicht einmal begründet wurde. Könnte ja sein, dass man aus gewichtigen Gründen gezwungen ist, so und nicht anders zu bauen. Aber Alternativvarianten wurden auch keine vorgestellt, obwohl die große Variante sogar als „Vorzugsvariante“ bezeichnet wurde. Da hätte nicht nur Elschner gern gewusst, wie dann die anderen Varianten ausgesehen haben mögen.
Aber am Rednerpult wurde er dann in Bezug auf Bürgerbeteiligung und den „guten Willen“ der Stadtverwaltung noch sehr konkret.
„In Bezug auf das Thema ‚Bürgerbeteiligung‘ möchte ich, weil die Bürger- und Akteursbeteiligung auch Gegenstand dieser Vorlage und erst recht der Neufassung ist, dann doch noch einige kurze Anmerkungen machen“, sagte er und gliederte sie hübsch in Stichpunkten:
„1. Wir Grüne sehen die Notwendigkeit, dass Ämter sich ganz grundsätzlich und mehr mit dem Thema ‚Bürgerbeteiligung‘ befassen müssen, denn laut Stadtratsbeschluss vom April 2017 und aufgrund der sogenannten Vorhabenliste auf Leipzig.de sind sie dazu angehalten, den Vorlagen auch ein Beteiligungskonzept beizulegen. Dies muss ständige Übung werden!
2. Die Koordinierungsstelle für Bürgerbeteiligung ‚Leipzig weiter denken‘ unterstützt und hilft. Dafür wurde diese Koordinierungsstelle auch maßgeblich eingerichtet. Ämter sollten sich also bei Unklarheiten auch schon frühzeitig, wenn es um die Ausarbeitung eines Beteiligungskonzeptes geht, an die Fachstelle wenden. Einige tun dies bereits, andere haben es noch nie getan und noch andere tun dies erst, wenn das Kind bereits in den Brunnen gefallen ist. Das darf noch besser werden!
3. Wir Grüne halten es für ratsam, dass, falls die Verwaltung eine Bürgerbeteiligung in Bezug auf ein Vorhaben für nicht erforderlich hält, dies künftig auch in Verwaltungsvorlagen mit einer Begründung darlegt und somit Klarheit besteht!
4. Der Stadtrat hat im April 2017 beschlossen, dass zur Prozessberatung und -begleitung der Stadtverwaltung in Bezug auf eine weitere kontinuierliche Verstetigung von ‚informellen‘ Bürgerbeteiligungsverfahren ein Gremium einzurichten ist. Dieses Gremium existiert bis heute nicht. Diverse Beteiligungsverfahren in jüngster Zeit belegen, dass es an der Zeit ist, dass dieses Gremium, von dem wir Grüne uns viel versprechen, endlich seine Arbeit aufnehmen kann!“
Da sieht man die Stadt Leipzig regelrecht im Spagat, das Thema Bürgerbeteiligung immer ganz groß zu verkaufen – aber wenn es zur Norm werden soll, funktioniert auf einmal kein Mechanismus mehr. Dann scheint jemand in entscheidender Position dann doch wieder „aus dem Bauch heraus“ zu entscheiden, ob er die Bürger im Boot haben will, oder ob man doch wieder die alte Politik der Königsebene betreibt.
Linke beantragt eine echte Bürgerinformation zum riesigen Brückenprojekt
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